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Buch – Liebe und andere Elektrokanonen

Meinen Roman „Liebe und andere Elektrokanonen“ finden Sie seit dem 28. Februar 2022 unten auf dieser Seite. Er war schon einmal online hier irgendwo zu finden und ich freue mich Ihnen dieses zweite Buch nach „Mr. T-Cup und der (große) Abstimmungsapparat“ vorstellen zu dürfen.

GANZ NEU: „Ich mag mich irren“ — Das Buch bei Amazon, das eBook bei Lübbe

Beachten Sie bitte dass die Überschrift nicht gut mit automatischen Übersetzungen verständlich wird.

Der Kommentar auf Amazon hat die Überschrift „Ein wahnsinnig erstaunliches Leben“ und lautet:

Welch spannende Geschichte! Wie Felix Longolius die Stimmen beschreibt, die in seinem Kopf herumspukten, wie sie sein Leben veränderten, ist einfach grandios. Der Autor reflektiert mit feiner Ironie seine Erfahrungen in der Psychiatrie, die Reaktionen der Familie und von Bekannten, den Weg zurück in soetwas wie Alltag und mit welchen Tricks er die Stimmen in seinem Kopf zum Schweigen bringt. Das Buch ist humorvoll und berührend gleichermaßen und es sind, vielleicht wegen seiner Krankheit?, ganz besondere sprachliche Bilder, die er findet, um sich sich und seiner Umwelt anzunähern und begreifbar zu machen.

Auch: Google Books (unten kommt noch Musik!) (Und „Liebe und andere Elektrokanonen“):

 

 

 

Einer der Autoris von dem Buch das bin ich:

 

Den anderen frage ich jetzt nach einem Foto. Ah, da isser:

Musik!

Und mehr Musik!

 

 

      FIP - Strasbourg (da ist der Sound am besten)

 

(Ecoutez Fip en direct du monde et des nouveautés musicales)

Vorwort

Mein Hirn beantwortete sich in einer psychotischen Phase viel zu
viele Fragen selbst. Es scheint Funktionen der Außenwelt
übernommen zu haben. Aus Einsamkeit, wegen traumatischen
Zeiten in der Vergangenheit, weil es aktuell sehr schwierig ist, die
Drogen, warum auch immer: ich dachte dann anders, oder seltsames
mehr, als die Leute um mich herum. Und für die anderen war ich
dann scheinbar unerreichbar, wenn ich nicht gerade etwas von
ihnen wollte.
Aber, man denke an die viel beschworene Nähe von Wahnsinn und
Genie: Eine Psychose kann auch wahnsinnig interessant werden. Und
zwar, wenn die Unabhängigkeit von der Realität, Wunsch-
vorstellungen in Erfüllung gehen zu lassen scheint.
Da stelle ich mir also vor, ganz Düsseldorf sei geräumt worden, weil
ich auf meiner Reise dort Station mache. Weil ich in einer live-reality
TV-Sendung, die im ganzen bekannten Universum ausgestrahlt wird,
die Hauptrolle spiele. Und erfolgreich, vermutlich auch noch in
Paralleluniversen, zum Frieden aufrufe. Man muss das nicht
verstehen.
Würde mich jetzt jemand darauf ansprechen, warum ich lache.
Würde jemand meinem Wahn widersprechen. Ich würde nur lauter
lachen, weil die Regie offenbar einen schlechten Schauspieler ins
Bild geschickt hat.
Es war mir in meiner Vergangenheit leider nicht vergönnt, dass
mich mal jemand vertrauensvoll – ohne Medikamente – vom
Gegenteil oder der Krankhaftigkeit der Übertreibungen meiner
Psychosen überzeugen konnte. Zum einen, weil ich kein Vertrauen
hatte. Zum anderen, weil es zumindest ab dem zweiten Mal auch
nicht versucht wurde – oder ich habe das gar nicht mitbekommen.
Ich wüsste nicht was mir in einer nächsten Psychose noch einfallen
sollte. Ich war in dieser Fernsehsendung, ich habe mich mit
Hologrammen von Außerirdischen unterhalten, ich habe in einem
telepathischen Gerichtsprozess unverarbeitbar auf Missstände
im Bezug äußerer Einflüsse gegen die Unversehrtheit meiner
Gesundheit ausgesagt ..

<– das ist die erste Seite meiner Buch. Ich mache gleich noch drei. Und das wird ein Spaß sage ich Ihnen. Was steht oben? Ich schreibe das damit Sie mal mit etwas anderem beschäftigt sind. Damit ist alles gesagt.

und meine Ideen zur Polizeiarbeit waren mitunter auch nicht
ausgemacht, ich konnte jede Frau haben und habe dann doch
telepathisch geheiratet, ich konnte Züge schneller fahren lassen, weil
ich daran geglaubt habe, ich habe den Film „Die Truman-Show“
gelebt und „Matrix“ live im TV veräppelt, habe Geheimdienste geliebt
und Wikileaks verurteilt, da war einiges los. Hatte ich erwähnt, dass
ich im Weltfernsehen war?
Und ich habe einige Leute genervt, andere wohl zur Verzweifung
gebracht. Das war zwar jeweils entweder nicht meine Absicht, oder
ich sah mich im Recht. Aber die heile Welt, die sich manchmal in
meiner Fantasie auf dem ganzen Planeten breit machte – inklusive
der Idee, dass McDonalds von seinen Gewinnen das bedingungslose
Grundeinkommen in Bangladesch fnanziert – hatte ich tatsächlich
bei anderen demoliert.
Damit ich an die Welt, die sich in meinem Hirn abspielte, glauben
konnte, mussten für mich Fernsehsendungen gefaked werden und
Sonderausgaben von Zeitungen gedruckt werden, und zwar so, dass
dort alles ganz normal aussah. Aus einer kruden inneren Logik
heraus durfte ich nicht sehen, dass McDonalds meinen Vorschlag
tatsächlich umgesetzt hatte. Oder anders gesprochen: Es kann in
bestimmten Situationen leichter sein, davon auszugehen, dass alles
anders ist, als man es bisher dachte, als zurück zur Realität zu
kommen.
Ich habe die Hoffnung, dass ich in Zukunft die Realität gestalte, in
der die echten Probleme herrschen und die, dass ich mich nun
wirklich ausreichend ausgetobt habe in der Fantasie. Die monatliche
Spritze unterstützt das schon sehr, vielleicht auch ausschlaggebend.
Mit dem Eindruck die Außerirdischen kommunizierten mit mir nur
noch so ein bisschen komme ich ganz gut klar, indem ich mir zum
Beispiel vorstelle, dass die Außerirdischen sich nicht gern mit
Psychotikern unterhalten.
Und wie gesagt, ich wüsste nicht, was mir in einer Psychose noch
einfallen sollte. Insbesondere was mir einfallen sollte, das man mit
guten Chancen überlebt und das zumindest reparierbare, oder
besser keine, sozialen Schäden hinterlässt. Dass ich wenigstens so

nochmal denke, war einige Zeit nicht absehbar.
Ohne einen Pfennig Geld wollte ich einmal nach Karlsruhe fahren,
um dort einen der Anwälte mit Zulassung beim Bundesgerichtshof
davon zu überzeugen, dass mir zu Unrecht eine gesetzliche
Betreuung auferlegt wurde. Eine sinnbildliche Tat, die man vielleicht
für einen Widerspruch in sich halten wird.
Gut eineinhalb Jahre war ich dann untergebracht, ich will mich
nicht aufregen, aber nur weil ich dachte, der Betreuungsbeschluss sei
politisch motiviert. Aber ich will mich nicht aufregen.
Und wie furchtbar muss es sein, wenn die Stimmen nicht
freundlich und spannend sind. Wenn sich in der Psychose nicht die
internationale Geheimdienstelite wohlwollend als Stimmen meldet,
sondern Stimmen die fese Kommentare ablassen. Da hab ich wohl
noch mal Glück gehabt. Schließlich nehmen sich erschreckende 10
Prozent oder mehr Betroffene im Zuge der Erkrankung das Leben.
Und wieder andere werden angetrieben vom Stimmen hören zu
Gewalttätern (auch wenn Schizophrene ja statistisch gesehen nur
geringfügig mehr Straftaten begehen, als nicht kranke). Ich mag gar
nicht darüber nachdenken, wie unlogisch mein eigenes fantastisches
Erleben durch diese Vorfälle eigentlich wird, bei denen das Stimmen
hören richtig großen Mist anrichtet.
Das mit dem Suizid war übrigens mal ziemlich knapp bei mir. Zu
Anfang meiner Krankengeschichte gab es eine fast verhängnisvolle
Verstrickung. Damals überzeugten mich die Stimmen, ich hätte auf
Grund telepathischer Fehltritte jemanden in den Selbstmord
getrieben, die dann auch noch die Prinzessin einer geheimen
Monarchie eines Landes mit Atombomben war. Der Vater, der König,
war ziemlich sauer auf mich, und drohte die Bombe auf Hamburg zu
werfen, wenn ich mich nicht umbringe. Ich dachte dann, die
Nachbarn würden telepathisch auf mich einreden, ich solle das doch
bitte tun. Eine Problemstellung die wohl noch nicht viele, aber der
eine oder andere so ähnlich, zu lösen hatten.
Im Nachhinein bleibt für mich die selten Anwendung fndende
Lehre, dass selbst wenn man wirklich einen Atomkrieg verhindern
könnte, in dem man sich etwas antut, es gerechter, oder zumindest

klüger ist, mit dieser Welt kaputt zu gehen, als sich Schaden
zuzufügen. Schon weil man sich mit der Realität dieser Bedrohung,
niemals sicher sein kann. Wenn man beim Bergsteigen nach einem
Absturz unter jemandem hängt und sich das Seil langsam auföst,
kann man über den Zusammenhang vielleicht nochmal nachdenken.
Aber ansonsten ist nur jedem zu Wünschen, dass die Chuzpe
vorherrscht, solche Stimmen nicht ernst zu nehmen.
Eigentlich spricht sogar nichts dagegen, die Stimmen bei der Polizei
anzuzeigen, aber das nur am Rande. Ich habe die Polizei in solchen
Fällen jedenfalls als verständnisvoll erlebt. Nur bei meiner ersten
Psychose, als ich auf der Flucht vor der Mutter der Prinzessin ein
Kellerfenster einschlug, um mich dort zu verstecken, haben mich die
Polizisten danach einfach nach Hause gefahren, statt ins
Krankenhaus. Oder nachdem ich zur Polizei ging, weil ich dachte mit
LSD vergiftet worden zu sein. Da musste ich im Krankenhaus so
lange warten, dass ich wieder von dannen zog.
Es ist aber auch komplizierter als man annehmen mag. Von einer
Psychose überzeugt kann man schon mal die Kapazitäten, oder auch
den guten Willen, des Systems, insbesondere des Gesund-
heitswesens, sprengen. Was war ich sauer auf die Ärzte, dass sie mich
ein andern mal nicht mehr gehen ließen. Ich meldete mich damals
selbst beim Krankenhaus. Und statt am nächsten Tag ausgeschlafen
joggen gehen zu dürfen, kam die Unterbringung und Zwangsbehandlung.
Das neue Psychiatrierecht, wonach psychisch Kranke nur noch
einigermaßen bedingt unter Zwang behandelt werden dürfen, passt
übrigens zu dem, was ich damals vor Gericht erstreiten wollte. Dass
die dafür entscheidende Klage gegen Zwangsbehandlungen beim
Bundesgerichtshof, von einem verurteilten Pädophilen stammte, der
aus Therapiegründen ein leichtes Neuroleptikum bekommen sollte,
macht die Beschäftigung mit der Rechtsprechung allerdings
irgendwie unangenehm.
Jedenfalls kam das neue Psychiatrierecht damals ein wenig zu spät
für mich, wenn ich auch nicht voller Überzeugung sagen kann, dass
die Zwangsbehandlung, oder gar überhaupt Medikamente, nicht das

##

Seltsamen Hinweis entfernt.

geschrieben vor einigen Jahren
##
neu hier 28.2.2022, ca. 6 Uhr morgens CEWT

einzige Mittel waren. Ein sehr, sehr schwieriges Thema. Ich muss da
zwischen den realen Kapazitäten des Systems, und der eigentlich
wünschenswerten Behandlung, unterscheiden.
Nachdem ich, knapp zwei Jahre nach der Unterbringung, wieder in
der eigenen Wohnung lebte, wurde ich dann wieder psychotisch.
Dieses mal mit dem neuen Psychiatrierecht, meldete ich mich
hungrig und erschöpft beim Krankenhaus. Und musste keine
Medikamente nehmen. Allerdings gab es die folgenden Wochen
außer drei Mahlzeiten am Tag auch sonst wenig Input. Als dann ein
ebenfalls hungriger und erschöpfter neuer Patient auf mein Zimmer
kam, bekam ich Fernweh, und durfte die Station mitten in der Nacht
verlassen. Wobei ich eigentlich am nächsten Tag Besuch von
Freunden erwartete, die mich dann aber nicht mehr antrafen. Ich
dachte, der Besuch würde mich ja eh im Fernsehen sehen und
wüsste deshalb, dass ich nicht mehr auf der Station war.
Das TV-Programm des Weltfernsehsenders gestaltend, landete ich
dann ein paar Tage später in besagtem Düsseldorf im Krankenhaus,
weil ich nach wohl drei Tagen aus dem Flughafenterminal verwiesen
wurde. Die Einwohner Düsseldorfs hatten sich nämlich nicht auf
dem Rollfeld versammelt, um das große Finale des Weltfern-
sehsenders mit einer Liveshow auf der Großbildleinwand zu
bestaunen, worauf hin ich mich im Terminal einquartierte. Wenn
man es ganz natürlich macht, kann man mit imaginären Kameras
diskutierend, und vor allem auch mal rauchend, tagelang durch eine
Abfughalle wandern.
Zwei oder drei Nächte später erhielt ich dann aber doch
Platzverbot, und ich meldete mich verzweifelt bei der Polizei. Dieses
mal mit Beschluss nach dem psychisch-Kranken-Gesetz in der
geschlossenen Station untergebracht, bekam ich eigentlich auch
keine Medikamente. Bis es keine Zigaretten mehr für mich gab. Da
kündigte ich an, jetzt so lange gegen die Stationstür zu treten, bis
man mir eine Zigarette geben würde oder man mich festschnallen
würde. Letzteres schien den Mitarbeitern das Mittel der Wahl zu sein,
sowie eine Injektion eines Akutneuroleptikums.
Am Morgen durfte ich dann wieder raus aus der symbolischen,

aber durchaus unüberwindbaren halbseitigen Fixierung. Hätte ich
am folgenden Tag gewusst, dass die Verkrampfung meines
Unterkiefers nicht durch Strahlenkanonen hervorgerufen wurde,
sondern eine Nebenwirkung war, hätte ich nicht gebeten in meinem
Zimmer laut schreien zu dürfen, sondern um ein Gegenmittel,
worauf die Mitarbeiter allerdings auch hätten kommen können. Ich
verließ dann einige Zeit später auch dieses Etablissement.
Die Fernsehsendung endete dann in einem Krankenhaus in
Strasbourg, wo Gerichtsbeschlüsse zur Zwangsbehandlung noch
ohne Anhörung möglich und, das kann man sich in Deutschland
nicht vorstellen, erst Wochen nach dem Beginn der Maßnahme nötig
sind. Das war schrecklich aber hoch wirksam, wenn ich auch
wehleidig an die vertane Chance denke, mich in den deutschen
Krankenhäusern, ohne Medikamente, einfach mal von meiner
Paranoia zu lösen. Der Zug ist jetzt abgefahren und der Bahnhof wird
gerade abgerissen.
Aber meine Psychosen scheinen Lücken in meinem Weltbild zu
füllen, Fragen zu beantworten, die ich sonst unterdrücken müsste.
Ich mag mich irren.
Und was bei der Nähe von Genie und Wahnsinn an Unterschieden
übrigbleibt, könnte unter anderem die gesellschaftliche Funktion
sein, am Beispiel anderer sehen zu können, welche Denkansätze
funktionieren und welche zum Scheitern verurteilt sind. Es könnte
für gesunde Menschen ohne die Gewissheit, dass andere dies oder
das ausprobiert haben, die Chance sinken, den gesunden Weg zu
erkennen. Dann könnten meine Geschichten, auch neben dem
streckenweise ekstatisch angenehmen eigenen Unterhaltungswert,
Sinn ergeben.
Eine von hundert Personen wird nach verbreiteten, und offenbar
belastbaren Statistiken (es gibt sie wirklich in jedem Überblickartikel
zu Schizophrenie), mindestens einmal im Leben psychotisch. Das
heißt, nicht jeder kennt einen Psychotiker, aber es ist wahrscheinlich,
dass man mal von jemandem im Umfeld hört, der die Welt eben so
erlebt. Man kann sich einmal fragen, ob das dem Weltbild der nicht
psychisch krank durchs Leben kommenden hilft. Also, zumindest

einen Psychotiker, über den man sich erzählen kann, muss es nach
dieser Theorie geben. Ich mag mich bei der Notwendigkeit von
Psychosen in der Welt aber auch einfach irren.
Im Übrigen ist es schwer zu sagen, ob ich unter Umständen doch
auf die Rolle verzichtet hätte.


Liebe und andere Elektrokanonen

„.. und deshalb wäre es mir so wichtig, wenn Sie mir .. bff, jetzt bin
ich schon wieder so durcheinander .. das ist alles mit so vielen
verschiedenen Emotionen verbunden, je nachdem, wovon ich
erzähle. Und jetzt habe ich schon so viel erzählt. Aber ich denke, das
ein oder andere können Sie nachvollziehen.“
„Ein schönes Schlusswort. Danke. – Wir sehen uns nächste Woche
wieder und in zwei Wochen ist Herr Longolius wieder bei uns.“
Ich sah Professor Heise an und erhielt ein Nicken, als sei halt nicht
mehr drin gewesen.
Während die Studenten am Ausgang einen kleinen Stau
bewältigten, war ich wieder einmal glücklich. Meine Idee, bei der
mich Heise von Anfang an unterstützt hatte, wie ein Auslands-
korrespondent im Journalistikunterricht, ein Weitgereister für
Landeskundler, Spitzenphysiker für angehende Wissenschaftler, als
Psychotiker in einem Psychiatrieseminar von meinen Erfahrungen zu
erzählen, war ein guter Schritt. Ich fühlte mich auch heute wieder
nicht sofort bemitleidet, krank oder vorgeführt.
Doch ein Ziel, die Zuhörer davon zu überzeugen, dass die Sinne
und das Gehirn selbst nicht immer der alleinige Gesprächspartner
des Gehirns sind, blieb wieder unerreicht. So unerreicht, dass man
den Weg vernünftigerweise zum alleinigen Ziel der Reise erklären
sollte.
Gerade ist die erste Veranstaltung zu Ende gegangen.
Es war zunächst ein Kennenlernen und ich war bemüht, einen
guten Eindruck zu machen. Wir kamen aber auch gleich zur Sache.
Meine Refexionen zum Graubereich zwischen kranker Psychose
und Metaphysik führten zu einem Durcheinander. Und wenn ich
dann anfange von einem Graubereich zu sprechen, der eigentlich
nicht in der Mitte, sondern an der Spitze liegt, einer grauen Spitze
aus Psychose und Metaphysik, dann kann ich mir zwar selbst noch
folgen, falle aber manchmal von der grauen Spitze in ein schwarzes
Loch.
Lichtblick im schwarzen Loch, das war ein Student aus dem

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neu hier 28.2.2022, ca. 16 Uhr nachmittags CEWT

Seniorenprogramm der Universität, der die peinliche Stille jedoch
zunächst nutzte, um seine straighte Religiosität unter Beweis zu
stellen. Ich habe davon behalten: „Die Religion weist uns den Weg
aus der Dunkelheit. Als wir nach dem Krieg nichts zu essen hatten,
haben wir immer zu Gott gebeten. Und manchmal gab es etwas zu
essen.“
Ich war wahrscheinlich kein guter Zuhörer. Vielleicht sagte er auch,
er habe ‘zu Gott gebetet‘. Gebeten, Gebetet. Ich bitte um Nachsicht.
Doch, wie auch immer, fand ich seine Quintessenz richtig gut. Er
sagte, und er sagte wirklich ‘Herr Longolius‘:
„Herr Longolius, wir hatten damals ja keine Ahnung, ob unser Beten
erhört wurden. Aber ich würde es wieder tun. Bin ja nicht blöd.
Irgendwie haben wir es damals jedenfalls geschafft.“
Heise hatte meinen Auftritt zuvor mit dankenswerten Worten
eingeleitet. „Unser Gast schrieb mir vor einigen Monaten einen Brief
mit der Bitte, sich der Forschung zur Verfügung stellen zu dürfen. Bei
ihm sei vor einigen Jahren eine chronische Schizophrenie
diagnostiziert worden, doch er halte sich insgesamt für psychotisch
gesund, nicht krankhaft psychotisch. Er habe sich zwar im Sinne
einer Psychose phasenweise geirrt. Er wolle aber dafür kämpfen, dass
psychotisches Erleben als Erkenntnisprozess stärker gewürdigt wird.
Und außerdem will er die Metaphysik nicht den Religionen
überlassen, wie …“ – Heise trat mir zur Seite und deutete an, mich mit
seiner Hand hinter meinem Rücken den Zuhörern zu präsentieren –
„mir Herr Longolius durchaus bemerkenswert im Zusammenhang
mit seinen besonderen Wahrnehmungen bei unseren Vor-
gesprächen geschildert hat.“
Dann richtete er sich direkter an die Studenten: „Wenn alles so
klappt, wie wir uns das vorstellen, dann werden viele von Ihnen in
wenigen Jahren praktizierende Psychiater sein. Es könnte sein, dass
vor Ihnen dann jemand wie Herr Longolius sitzt. Und der Echte steht
uns jetzt hier zur Verfügung. Seine Krankheit refektiert er
außergewöhnlich stark und konsistent. Deshalb, denke ich, werden
Sie ein paar Einblicke gewinnen können, die Ihnen in Ihrer späteren
Praxis helfen werden.“

Es war das Jahr 2014, ich war 35 Jahre alt und stand vor rund 40
Studenten, um ihnen etwas über Psychosen zu erzählen, mit denen
ich mich nun wirklich gut auskannte. Ich leitete meinen Vortrag ein:
„Mein Thema: Alternative Antworten auf das Rätsel Schizophrenie,
die keine Angst machen. Also Alternativen zur einfachen
Krankheitsdefnition – aber bitte eben keine Strahlenkanonen,
Geheimdienste, bösen Mächte oder alles zusammen.
Ich will versuchen Sie abzuholen, wo Sie gerade sind. Vor Ihnen
stehe ich, ein Schizophrener, der das Wort hässlich fndet, aber damit
arbeiten wird, was es bedeutet: Es ist ein Oberbegriff für Leute, die
sich phasenweise extrem irren, und bei denen man dieses Irren auf
eine Krankheit zurückführt. Heutzutage würde man sagen, es handelt
sich um eine Stoffwechselstörung. Eine Stoffwechselstörung der für
das Denken zuständigen Botenstoffe im Gehirn. Die Pillen dagegen
wandern zwar erst einmal in den Bauch, aber wie Sie wissen, hängt
das alles irgendwie miteinander zusammen. Eine Denkkrankheit,
oder damit es alle gehört haben: Eine Krankheit des Denkens.“
Den folgenden Teil meiner Einleitung hatte ich überlegt für die
Studenten zu visualisieren, aber sie schienen meinen vorbereiteten
Satzbausteinen auch so folgen zu können. „Jetzt kenne ich aus
eigener Erfahrung verschiedene Stufen des Irrens. Die höchste Stufe
bildet hierbei der Wahn. Unter Wahn versteht man einen Zustand, in
dem der Betroffene sich so sehr irrt, dass es für ihn mehr Sinn ergibt,
sich weiter zu irren, als seine Annahmen der Situation zu
hinterfragen. Der Wahn wird, vereinfacht gesprochen, noch von
Sinnestäuschungen gekrönt. Vielleicht sind sie die Ursache für den
Wahn, vielleicht sind sie auch nur Beiwerk.
Aber stellen wir uns ein Gehirn im Wahn vor. Gehen wir einmal
davon aus, dass ein Gedanke ein Zustand des Gehirns ist, bei dem
verschiedene Hirnareale erregt sind und im Zusammenspiel
Bewusstsein und Unbewusstes erzeugen.
Die Frage muss bleiben, wo das Bewusstsein aufhört und das
Unbewusste anfängt, und ich will hier auch vernachlässigen, ob das
Unbewusste zum Denken gehört. Ich fnde das Unbewusste hat hier
in dem Seminar sowieso nichts zu suchen und hoffe, Sie hören mir

alle gut zu.
Neben dem Wort Schizophrenie mag ich noch ein anderes nicht
und das heißt Dopamin. Das liegt daran, dass die Wissenschaft das
Dopamin für sehr wichtig hält beim Denken, und ich mich so ungern
auf einen Botenstoff reduzieren lasse. Aber auch hiermit kann nicht
nur die Pharmaindustrie gut arbeiten.
Nehmen wir also an, das Bewusstsein wird durch das Zusam-
menspiel verschiedener Hirnareale erzeugt, und ein wichtiges
Medium dieses Zusammenspiels ist zum Beispiel ein Botenstoff
namens Dopamin.
Wird ein Gedanke gebraucht, schicken alle Hirnareale, die das für
nötig erachten, unter anderem eine bestimmte Menge Dopamin los.
Die Areale sind aktiviert und aktivieren sich gegenseitig. Es kommt zu
einem Gedanken.
Was im wahnhaften Gehirn nun nicht zu funktionieren scheint, ist,
dass sich die kleinen Boten im Gehirn, salopp gesagt, danach wieder
um etwas anderes kümmern. Stattdessen ist so viel Dopamin
unterwegs, dass die Verbindungen zwischen den Hirnarealen, nach
einem, der Krise des Betroffenen entsprechenden Muster, zu
Trampelpfaden werden. Irgendwann nimmt der Gedanke dann nur
noch diese Wege.
Nach Trampelpfaden kommen etymologisch Straßen und
Autobahnen. Aber ich bleibe mal bei Trampelpfaden – vielleicht in
einem hübschen grünen Gehirndschungel.
Und dieser Dschungel ist groß.“
Professor Heise warf ein: „Nun ja, so oder so ähnlich stellt sich die
Wissenschaft das tatsächlich vor. Erzählen Sie bitte mehr vom Dschungel.“

An einem anderen Ort, knapp vier Jahre zuvor, irgendwann Anfang
Dezember 2010.
Betty, Mathilda, Ingmar, Sporty, Bart und Basti sahen gut aus im
Büro ihres Chefs. Ein Assistent fuhr mehrere Karren Kartons an,

während sich die jungen Nachrichtendienstler mit der Coolness,
wegen der sie ihren Job hatten, nur ab und zu fragend ansahen.
Sechs Kartons zählte Betty inzwischen.
„Das war‘s“, gab der Assistent bekannt und schloß die Tür hinter
sich, nachdem sich Chef kurz bedankt hatte.
„Wir haben Euch als Team zusammengestellt, weil wir nicht
weiterwußten. Ich sage es Euch ganz ehrlich: davon dass ihr
Aufgaben meistert, auf die sich niemand vorbereiten kann, hängt
sehr viel ab.“ sagte Chef.
Auf den Kartons lag eine Akte. Chef nahm sie und setzte sich an
seinen Schreibtisch, öffnete den Riemen und zog das erste Blatt an
sich heran. Er lächelte. „Außerdem seid ihr gut.“
Er blätterte die ersten losen Seiten umgedreht auf einen eigenen
Stapel um. „Nun, ihr seid nicht die Besten ..“
Bevor er die ganze Akte weiter ohne richtig hinzugucken durch
hatte, legte er den umgeblätterten Stapel zurück. Blickte von der Akte
auf. „Die Besten machen bei uns die Drecksarbeit.“
Die Augen der sechs wurden größer. Nicht aus Neugier, sondern
weil ihnen mit geschlossenem Mund die Kinnlade runterfiel.
„Wir haben hier also etwas für euch zu tun … hört euch zum
Beispiel das hier mal an ..“
Er nahm zwei, drei Seiten in Augenschein und fing an, aus einer
vorzulesen:
„Zwei mal zwei macht neun, Widdewiddebumm plus vier macht
sechse ..“
Bart grunzte auf, ohne den Ernst in Chefs Stimme zu boykottieren.
„Wir denken auch: Es ist Zeit!“
Chef blätterte die Seite um und suchte eine andere, las auch diese
vor.
„Seid ihr verrückt geworden? Wir sind es. Auf gute Zusammen-
arbeit!“
Chef legte die Seite ab. Wählte eine andere aus. Er blickte die
Anwesenden über den Rand seiner Brille an. Sah wieder herunter.
„Das erste Schreiben kam von unseren schwedischen Kollegen. Das
andere kommt aus Zagreb.“

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Formatierung korrigiert. Deshalb sofort noch vier Seiten. Mit Ca. 16 Uhr 50 CEWT, Montag, 28. Februar 2022 hier zu sehen.

Er fand wieder eine Seite:
„Hört auf damit!“
Chef blickte nicht auf.
„Das war die NATO.“
Er blätterte weiter. Suchte etwas Bestimmtes.
„Ihr könnt euch vorstellen, dass das normalerweise förmlicher
aussieht ..
.. ah, hier ist noch eins. Polen:
Ja! Wenn wir den kriegen! Dann könnten wir wirklich endlich
schöne Knoten in die Läufe unserer Pistolen machen. Wir
veranstalten einen Kongress, öffentlich versteht sich, und arbeiten
das mal richtig aus. Anhaltspunkte gibt es doch wirklich dafür. Kann
uns jemand ein gutes Shampoo empfehlen. Ach, und danke für den
Fisch.“
Betty hatte eine Frage, während Bart nochmal prustete:
„Ähm, Chef. Die Nato duzt, die Schweden zitieren Pippi
Langstrumpf, die Kroaten bieten eine gute Zusammenarbeit an und
die Polen haben Per Anhalter durch die Galaxis gelesen? Was ist hier
los?“
„Danke Betty. Gut aufgepasst. Ich bin mir nicht sicher, ob die Polen
Douglas Adams lesen, aber sie wissen auf jeden Fall, dass wir das
lesen.“
Chef überlegte. Setzte nochmal an.
„Wir haben hier ein Problem. Ich will es mal so sagen: Stellt euch
vor, jemand hat Gott angezeigt. Und die Polen machen Scherze darüber.“

Ich setzte wieder an.
„Wir lassen den Gehirndschungel einmal stehen. Was ich jetzt
darstellen möchte, ließe sich allerdings in das Bild einbauen.
Sozusagen: Unser Unwissen über den Dschungel.
Die Schizophrenie an sich hat klassische Verläufe. Ich will nun
aufzeigen, was die Merkmale eines klassischen Psychoseverlaufs sein

können und warum.
Klassisches Merkmal einer Schizophrenie ist eine Störung von
Denken und Wahrnehmung.
Gedankenlautwerden.
Gedankeneingebung.
Gedankenentzug.
Gedankenausbreitung.
Wahnwahrnehmung.
Kontrollwahn.
Beeinfussungswahn.
Das Gefühl des Gemachten.
Gerade stellte ich großmäulig in Aussicht, Ihnen zu sagen, warum
diese Merkmale zur Schizophrenie gehören. Dabei kann ich das gar
nicht, zumindest neurologisch. Ich will Ihnen die Antwort dennoch
geben. Allerdings mögen Sie gleich den Eindruck bekommen, ich
zwänge Ihnen ein ausgeklügeltes Wahnsystem auf.
Denn ich denke, die Neurologie ist nicht der Schlüssel für
abschließende Antworten im Bereich der Schizophrenie, sondern die
Raumfahrt. Nun bin ich bloß kein Astronaut. Es sei denn, Sie lassen
unseren Planeten als Raumschiff gelten.“

Sporty hatte sich gerade frisch verliebt und fand das gar nicht
lustig, auf unbestimmte Zeit in einem Atombunker arbeiten zu
müssen, was bei seinem Jobprofl in einem Atombunker leben zu
müssen bedeutete. Mathilda fand er ganz süß.
Betty auch.
Alle bauten erst mal ihre Computer auf. Alle, außer Betty, hatten
sich zwei Monitore bestellt. Bart war es egal, dass man eigentlich
keine Fremdgeräte anschließen durfte und war schon beim USB-
Tassenwärmer.
Die Kartons und die anderen Sachen standen jetzt hier, irgendwo
tief unter der norddeutschen Erde. Weit von der Zivilisation entfernt,
so man annimmt, die vielleicht 150 Kollegen vom Bundes-

nachrichtendienst aus den anderen Büros, seien etwas anderes.
Irgendwie ging eine Besprechung los. Zwei saßen auf den Tischen,
drei auf Stühlen, Basti saß auf dem Boden, an die Wand gelehnt.
Ingmar, 32 Jahre alt, gelernter Bundeswehr-Taucher, aber seit
einem Unfall nicht mehr in der Lage dazu, nicht schlecht im Lügen,
aber erfahren im Entscheidungen revidieren:
„Ein gewisser Felix Longolius, nach allem was wir wissen ein
Schizophreniker .. wie sagt man das .. Mathilda, du kennst dich doch
mit so was aus. Wie sagt man?“
„Schizophrener.“
„Danke. Na gut. Ein Schizophrener zeigt bei 54 Geheimdiensten an,
dass er von seinen Stimmen in den Selbstmord getrieben werden
sollte. Eine Anzeige gegen Unbekannt. Und wir werden dafür
abgestellt – wie auch immer Chef das verrechnen will – den Typen zu
überwachen, weil inzwischen 46 der Vereine über seine von den
Franzosen gehackte Webseite – weltpolizei.de – Nachrichten
untereinander austauschen. Und daraus langsam ein verdammt
nochmal so langer Running Gag geworden ist, dass Chefs Chefs
befürchten .. was hat Chef gesagt?“
„Dass der Typ nun mal Deutscher ist und seine Aufmerksamkeit
den Punkt überschritten hat, an dem es interessant wird.“
half Betty aus.

Heise unterbrach mich: „Ich denke, worauf Herr Longolius hinaus
will, ist, dass wir uns nicht abschließend sicher sein können, ob
Psychotiker – oder die Menschen ganz allgemein – Wahrnehmungen
haben können, deren Ursprung wir uns noch nicht erklären können.
Liege ich hier richtig?“
„Meiner Meinung nach sollten wir uns in unserem Denken
mindestens die Möglichkeit offen halten, dass es Dinge gibt, die wir
uns nicht erklären können, die aber vollkommen wahr sind.“ sagte ich
zunächst. Stärken wollte ich meinen Standpunkt dadurch,
Gegenargumente zu widerlegen. Das schien aber reifich schief zu

gehen:
„Es ist mir selbst manchmal rätselhaft, warum ich mir eigentlich so
sicher bin, dass eine Stimme ist, wofür ich sie halte. Nämlich die
einer anderen Person, vielleicht eines Außerirdischen oder einer
Außerirdischen, der oder die mit mir kommuniziert. Es ist auch
rätselhaft, weil Schizophrene selten, aber es kommt leider vor, von
ihren Stimmen dazu getrieben werden, schlimme Dinge zu tun. Bis
hin dazu, im Wahn sich selbst oder andere zu verletzen oder gar zu
töten. Und denken Sie nur daran, wie man verzweifeln könnte, dass
andere Wesen, die so viel mehr wissen dürften als wir, so viele
Probleme auf der Erde zulassen. Das sind Dilemmata, das will ich
offen zugeben.“

„Das ist ja eine halbe Wohnungseinrichtung!“
„Guckt mal hier!“ schrie Mathilda. „Iiih!“
Mathilda sichtete das gesammelte digitale Material. „Der Typ“,
worauf sie sich als Bezeichnung für ihre Zielperson stillschweigend
geeinigt hatten, wurde offenbar schon mehrmals von den Kollegen
geknipst. Und Mathilda hatte ein Foto von ihm in einer anzüglichen
Situation ausfindig gemacht.
Typ in der Badewanne, vom Fernsehturm aus fotografiert, aber so,
dass es sich gewaschen hat.
„Porno“, befand Betty.
„Naja, tut nicht so, als seht ihr so was zum ersten Mal.“
beschwichtigte Ingmar. Basti betonte die Unwichtigkeit, von
irgendeinem Typen in der Wanne vom Fernsehturm aus Bilder zu
machen. Mathilda hielt sich immer noch entsetzt die Hand vor den
Mund. Bart wendete sich wieder der Wohnungseinrichtung zu, doch
Sporty musste noch einen Kommentar abgeben:
„Wie .. üäh! Wenn ich nicht müsste, wär‘ der Typ jetzt schon für
mich gestorben.“
„Der Typ hat halt keine Freundin.“ gab Bart zu bedenken. „Übrigens
hat er ein Buch geschrieben. Seht mal hier ..“ er hielt ein kleines

##
Hier online seit 1. März 2022, ca. 1:30 morgens

Heftchen, bestenfalls eine Novelle, in der Hand. „Der Titel: Mr. T-Cup
und der (große) Abstimmungsapparat. Mit Typs Namen drauf.“
„Doll!“ quakte Betty.
„Ja, ich guck mir das mal an, d‘accord?“
„Mach doch. Klingt nach Weltliteratur. Oh Mann, Leute. Was haben
wir falsch gemacht?!“
Ingmar saß schon an einem der anderen Rechner: „Also, Typ hat
2000 die www-Adresse weltpolizei.de auf seinen Namen registriert.
Keine Ahnung, aber er hat die immer noch. Man wird da gerade auf
die chinesische Nachrichtenagentur weitergeleitet. Die archivierten
Snapshots der Seite sind die ersten Jahre etwas langweilig. Bis 2003
steht da einfach nur ‘Sie sind verhaftet‘“
„Scherzkeks.“
„Im Frühjahr 2003, also als der Irak-Krieg begann, zeigt die Seite
dann ab und zu eine andere Farbe an.“
„Trendsetter.“
„Wie auch immer“, erwiderte Ingmar. „Ende 2003 dann fängt er an
was zu veröffentlichen.“
„Zeig‘ mal her.“ Basti rollt rüber.
„Aha, ein Foto von einem alten Apfel .. ey, das ist ganz witzig .. Die
Erde schimmelt. Mit dem nächsten UFO bin ich weg. Haltet die
Temperatur schön niedrig, dann wird‘s vielleicht ein Käse.“
„Das fndest du witzig?“ Sporty konnte darüber nicht mal lächeln.
Ihr sechser-Büro schien trotz seiner Miesepetrigkeit ein bisschen in
Weihnachtsstimmung zu sein. Bart hatte inzwischen etwa zwei
Drittel der größeren Geschenke ausgepackt und auf dem Gabentisch
bereitgestellt.
Mathilda inspizierte, was die Kartons für sie bereithielten.
Liebesbriefe fanden ihr Interesse. Dann Fotos. Ein kleiner Holzengel,
der durch seine Korpulenz bestach, wurde kurz belächelt. Von fünf
DSL-Routern wurden zwei von beiden Seiten begutachtet, worauf
die restlichen drei ihren Reiz verloren. Ein Briefmarkenalbum war
noch dabei.
„Was ist denn das?“ Sie hielt ein bunt verschmiertes rundes Ding in
der Hand.

„Ein Globus.“ beriet sie Bart, der das Teil bereits in der Hand hatte.
„Mit ausgeschnittenen Kontinenten.“
„Lass mal sehen“, bat Basti pflichtgemäß neugierig. „Das scheint
eine Art Schablone zu sein. Typ hat da irgendwas gebastelt.“
„Ich glaube das gehört dazu.“ Bart gab Basti eine Luftpumpe. „Da
sind die selben Farben dran.“
Betty stand von ihrem Tisch auf. „Gib mal her. Ich glaube ich hab‘s.
Passt auf. Das ist eine Schablone, um die Erde an die Wand zu malen.
Und an die Decke. Du nimmst einen kleinen Ballon – so eine Art
Wasserbombe, wisst ihr? Den Ballon steckst du unten durch die
Antarktis in die Schablone, füllst Farbe ein und pumpst den dann auf.
Irgendwann platzt der Ballon und die Farbe verteilt sich durch die
ausgeschnittenen Kontinente an die Wand. Ich glaub‘ aber nicht, dass
das funktioniert hat. Vielleicht deshalb die vielen Farben. Für jeden
Versuch eine.“
„Betty!“
„Ja?“
„Du spinnst.“
Sie verzog das Gesicht und verzichtete auf eine Verteidigung. Betty
war gerade 35 geworden, hatte einen Sohn, der gerade beim Vater
war, und ist früher in der Hochbegabtenklasse für ihr Interesse für
Banalitäten aufgefallen. Damals war Helmut Kohl Bundeskanzler,
genau wie während ihres Abiturs. Als sie sich bei der Polizei bewarb
auch. Betty war politikinteressiert, führte früher im Schauspielkurs
ihres Jahrgangs Regie, ließ ihre Darsteller bei Romeo und Julia in
Ameisenkostümen auftreten und war auch ansonsten gewaltig
kreativ.
Stress war für sie das, weswegen sie meist im Urlaub krank wurde.
Genau wie Aufregung ein Mittel zum Zweck.

„Nun, das sind Fragen, die auch in die Sphäre der Religiosität
hineinreichen. Aber erzählen Sie uns bitte: Warum glauben Sie, dass
die Stimmen zumindest teilweise wahr sind?“ Professor Heise

glaubte offenbar noch, dass der Gedanke für Studenten der
Psychiatrie wertvoll sei.
„Das ist relativ klar beantwortbar: Krankhaft psychotische
Menschen hören ihre eigenen Gedanken, als wären es die Stimmen
anderer. Diese eigenen Gedanken sind von ihrer Phänomenologie
her nicht von Telepathie unterscheidbar. Ich will die Stimmen also
gewissermaßen ..“
Ich zögerte, da mir der nächste Gedanke gehörig Kopfzerbrechen
bereitete. Jetzt würden die Studenten meine ganze innere
Zerbrochenheit auf dem Tablett serviert bekommen.
„.. in Schutz nehmen. .. Doch .. Entschuldigung, vielleicht irre ich
mich doch.“ Ich schaute wohl ziemlich verloren in die Runde, an
diesem Punkt war ich schon häufg angelangt. „Denn, wenn es die
Telepathie gibt, warum mischen sich die Außerirdischen dann nicht
ein, wenn ein Schizophrener vom rechten Weg abkommt? Warum
haben sie schon oft zugelassen, dass Menschen sich im Namen ihrer
Stimmen quer stellen zu Dingen, die anderen etwas bedeuten oder
einfach großen Mist bauen?“
Es entstand eine Pause. Heise setzte an, die Stille zu durchbrechen.
Doch ich gab zu verstehen, dass ich noch nicht verloren war.
„Also, das ist wirklich ein Schlamassel .. zum Verzweifeln. Sie
müssen sich vorstellen, dass ich, der ich hier vor Ihnen stehe, einfach
nicht verneinen kann, dass ich diese Wahrnehmungen habe, die
insgesamt angenehm und richtig zu sein scheinen. Es erscheint
Ihnen vielleicht etwas zwanghaft, wenn ich nach Argumenten suche,
warum selbst größte Probleme, wie ich sie gerade angedeutet habe,
nicht der Kern des Phänomens tatsächlichen Hörens der Stimmen
anderer ist.“
Jetzt guckte ich allerdings hilfos zu Heise hinüber.
„Fahren Sie bitte fort.“
„Ok. Ich wurde mal gefragt, warum die Stimmen uns nicht helfen,
Krankheiten, Ebola, HIV, Krebs zu besiegen. Warum die Stimmen,
oder konkret die Außerirdischen, unsere Kinder verrecken lassen. Sie
verstehen ja, dass ich mich schon viele Stunden, ja Tage und Wochen,
mit den Stimmen unterhalten habe. Und da glaube ich, einen

Eindruck von ihrer Haltung gewonnen zu haben. Nun ja, in einem
Satz: Dann hätten die Außerirdischen auch den Dinosauriern das
Sprechen beibringen können.“
Ich schaute zu Boden.
„Ist das verständlich?“ wollte ich wissen.
„Ich glaube, das müssen Sie uns nochmal näher erklären.“ bat
Professor Heise.

Am zweiten Tag im Bunker war Typ schon ziemlich gut
ausgeleuchtet. Er hatte seine Wohnung verloren und seine Sachen
auf die Straße gestellt. Die wurden dann von der Stadtreinigung
abgeholt. So kam der Bundesweihnachtsmann zu seinen Gaben.
Chef stellte auf höhere Interessen ab. Da es für alle sechs das erste
eigene Projekt war, wurde absolute Kritik vertagt, bis man sich die
leisten konnte. Interessanterweise übernahm Sporty die Aufgabe,
wenigstens Pflichtzweifel zu äußern. Die galten jedoch weniger den
Heimlichkeiten des BND gegenüber „Typ“, als der Frage, warum man
Typ nicht einfach aus dem Verkehr zöge.
Die anderen machten sich lieber ihre eigenen Gedanken.
Chef stand noch am Türpfosten, kurz vorm Rausgehen. Wie man
am Türpfosten stehen bleibt, um noch kurz Informelles zu klären,
kurz die wichtigsten Fragen zu beantworten.
Betty hätte gern gewusst, wie es weitergeht: „Chef, unser Zielobjekt
ist unschuldig, oder? Ihm wird nichts vorgeworfen? Warum sollen
wir ihn überwachen?“
„Der Mann hat gerade seine Therapie abgebrochen und läuft Tag
und Nacht durch Hamburg. Nach unseren Erkenntnissen ist er
wieder psychotisch, aber, ja, das ist keine Straftat. Dass er gut 50
Geheimdienste auf eine Mailingliste gesetzt hat, ist auch keine
Straftat. Dass er dann an diese Liste diese Anzeige gegen die
Stimmen, die er 2003 hatte, geschickt hat, auch nicht. Aber was die
Dienste jetzt, ohne dass er etwas davon mitbekommt, mit dieser Liste
machen, das kann für ihn .. bedrohlich werden. Ihr seid gerade seine

##
Die folgenden Seiten hier online seit 1. 3. 2022, ca. 19:10h CEWT

Schutzengel. Und damit ihr das sein könnt, bekommt ihr heute eure Zugänge.“

Die Studenten wurden jetzt ziemlich unruhig auf ihren Stühlen. Es
hätte bloß gefehlt, dass einer aufgestanden wäre und den Professor
gefragt hätte, ob man sich das anhören müsse. So kam es mir
jedenfalls vor. Doch Heise hatte mich gebeten, meinen Gedanken
auszuführen, also blieb ich in der Rolle:
„Dann hätten sie auch den Dinosauriern das sprechen beibringen
können. Ui, jetzt habe ich aber ein großes Faß aufgemacht. Also, Sie
müssen verstehen, dass ich davon ausgehe, dass die meisten Wesen
im All in einer sehr alten Gesellschaft leben, oder sogar selbst sehr alt
sind. Ich glaube ja nicht, dass Menschen allein Gedanken übertragen
können. Also, da bin ich zumindest sehr skeptisch. Aber ich höre
diese Stimmen, zumindest habe ich das .. also nicht jetzt gerade. Ach,
ich kann nicht erwarten, dass Sie mir folgen können.“
Ich faltete meine Hände und schaute wieder zu Boden. Dann
versuchte ich wieder einen Faden zu fnden, der für die Studenten
interessant wäre:
„Vielleicht können Sie gerade live miterleben, wie ein Wahngebilde
in sich zusammenfällt.“

Der Netzwerkadmin des BND-Bunkers brachte dann gegen 17 Uhr
die Zugänge mit. Er hieß Michael und Michael saß jetzt an Mathildas
Rechner. Die sechs rückten ran und guckten ihm über die Schulter,
während er zu erklären begann:
„Mathilda001 ist dein Benutzername und hier gibst du bitte dein
Passwort ein.“
Mathilda tat, wie ihr gesagt wurde.
„Enter?“
Leicht erkennbar baute sich auf dem Bildschirm eine Über-

wachungsmaske auf. Eine Straßenkarte zeigte mit einem weißen,
transparenten Punkt, umrandet von einem roten Kreis Typs Position
an. Ein anderes Fenster zeigte seine letzten Kontakte.
„Hier unter Kontakte seht ihr, was euer Mann so als Letztes von sich
gegeben hat. Alles digitale und – warum auch immer – bei ihm auch
das Gesprächsprotokoll.“
Michael zeigte auf einen der letzten Einträge. Neben einer Galileo-
Koordinate erschien tatsächlich ein sehr genau transkribiertes
Gesprächsprotokoll. ZP stand für Zielperson. Dort stand:
16:38h. ZP geht in Kiosk.
ZP: Ein TomTom bitte.
Verkäufer: TomTom? Mr. Tom. 60 Cent bitte.
ZP: Danke.
V: Danke, schönen Tag noch.
ZP: Gleichfalls, danke.
Betty und Ingmar hatten so etwas schon gesehen. Die anderen
nicht. Das wusste aber jeweils keiner. Außer Michael, doch der
behielt es für sich.
„Ok?“ fragte Bart. „Habt ihr das über sein Smartphone?“
„Was weiß ich? Ich weiß nur, dass irgendwo in, lass mal sehen,
Hamburg, eure Zielperson rumläuft und seine Gespräche quasi in
Echtzeit transkribiert werden und ich euch Zugänge geben soll,
damit ihr wisst was eure ZP gerade macht.“ erklärte Michael seinen
Zuständigkeitsbereich. „Die Suchmaske hier ist klar.“
Er klickte eine Lupe im Kontakte-Fenster an, worauf sich eine
Suchmaske öffnete. „Damit kommt ihr klar.“ Er ging offenbar nach
dem Prinzip vor, er werde am Ende schon nichts wichtiges vergessen
haben.
„Dann haben wir noch die Nacht- und Wärmebilder der
Luftüberwachung.“ Michael klickte auf einen Menüpunkt neben der
Straßenkarte, der aus einer Taschenlampe bestand, woraufhin der
Bildschirm überhell wurde. „So, Nachtsicht. Etwas hell gerade, ist ja
klar.“ Und auf eine Schaltfäche mit einem Insekt. „Die Mücke hier
steht für das Wärmebild.“ Das Bild änderte die Farbgebung. „Hier,
etwas heller, seht ihr die Abgase und, mal gucken ..“ Michael suchte

auf der Karte nach etwas Bestimmten. „Hier haben wir eine Eisdiele.
So. Jetzt kaufe sich bitte mal jemand ein Eis.“
„Das ist ja geil!“ juchzte Mathilda.
„Ok, also wenn da jetzt jemand ein Eis kaufen würde, dann seht ihr
das als schwarzen Fleck. Funktioniert andersrum in einer richtig
kalten Nacht aber besser. Da seht ihr die Fürze der Leute als würde
ein Drache aus dem Allerwertesten Feuer Spucken! Der Rest ist
selbsterklärend.“
„Was ist das hier?“ Mathilda zeigte auf einen anderen Menüpunkt
neben der Straßenkarte mit einer Art Preisschild.
„Ah, ok, da blendet ihr allerlei Spielkram ein. Handydaten über die
Netzortung“, Michael klickte ein bisschen in einem Untermenü
herum. Personen, die sich im Bild der Luftüberwachung befanden,
bekamen eine Einblendung ihrer Telefon- und IMEI-Nummer.
„Wow!“ Mathildas Frage hatte sich gelohnt.
„Kfz-Zulassungen“, Michael klickte weiter. Er guckte sich kurz um
und erkannte, weitererklären zu müssen: „Nummernschildscans.“
Sechs Gesichter sahen weiter gespannt auf den Monitor. „Über die
Verkehrsüberwachung, hm?“
„Nee nee, ist klar.“ stellte Bart skeptisch leicht erkennbar ironisch
fest.
„Also dann.“ Michael klatschte mit den Händen auf die
Oberschenkel und stand auf. „Viel Erfolg. Ich gebe euch noch einen
Tipp: Wenn‘s spannend ist, wollt ihr alle gleichzeitig gucken und
wenn‘s langweilig ist keiner. Macht das nicht. Haltet euch an euren
Dienstplan, sonst gibt es nur Stress.“
„Wer schreibt denn eigentlich die Transkripte der Kontakte?“ wollte
Betty noch wissen.
„Die fleißigen Wichtel.“
„Die .. fleißigen Wichtel?“ hakte sie nach.
„Die fleißigen Wichtel.“ Michael gab jedem einen Notizzettel mit
dem Benutzernamen für das System und verschwand ohne weitere
Worte.

„Nein nein“, meldete sich Professor Heise. „Das sind Gedanken, die
Ihnen sehr wichtig sind und wir würden uns freuen, wenn Sie uns
einen Einblick geben würden.“
„Ok.“ Ich versuchte den Gedanken genau so klar zu fassen, wie er
eigentlich in mir vorhanden war:
„Ich wiederhole mich, wenn ich sage, dass es ein Dilemma ist, aber
das ist es einfach. Warum helfen uns die Wesen nicht? Und warum
halte ich meine Einstellung aufrecht, dass es sie gibt? Ich denke man
muss da einige Kompromisse eingehen, was Wunsch und Wirklichkeit
betrifft. Es ist nun mal so, wie es ist. Wir haben keine
Außerirdischen auf der Erde, die uns bei existentiellen Fragen helfen.
Und ich denke gerade mit Ihnen laut über die Möglichkeit nach, dass
es doch einen Kontakt zu den Außerirdischen geben könnte. Kennen
Sie die Welt von Star Trek? Raumschiff Enterprise?“ fragte ich in die
Runde.
Ein Student meldete sich zu Wort: „Die oberste Direktive. Das
Gebot, dass man sich als Außerirdischer nicht in das Leben eines
Planeten einmischt, bevor die Bewohner selbst die Raumfahrt
beherrschen?“
Ich bestätigte. Der Student hatte aber noch eine Frage:
„Warum gerade Sie?“
„Warum gerade ich?“
„Warum hören gerade Sie die Stimmen von Außerirdischen?“
„Das ist eine berechtigte Frage. Vielleicht habe ich am Ende doch
einfach in meiner Jugend zu viel gekifft und bin einsam.“

Ingmar und Mathilda hatten gerade Dienst. Sporty und Basti waren
in der Kantine. Betty und Bart hatten die ganze Nacht am Rechner
gesessen und lagen nun nebenan und ruhten sich aus, vielleicht
schliefen sie sogar.
Basti hatte gestern die Idee, bei Michael einen Videobeamer zu
bestellen, damit sie sich nicht immer um die kleinen Monitore

##
mehr am 4. 3. 2022 um ca. 23:45 MEWZ

versammeln mussten. Der wurde vorhin geliefert und Mathilda
stellte ihn gerade auf. Ingmar beobachtete Typ währenddessen dabei,
wie er Pfandfaschen in einem Supermarkt abgab.
Mathilda schaltete den Beamer ein und Ingmar legte seinen
Bildschirminhalt auf. Es sah jetzt etwas so aus wie ein Raumfahrt-
Kontrollzentrum, nur viel kleiner. Sporty und Basti kamen vom Essen.
„Ah, er gibt die Flaschen ab.“ bemerkte Basti.
„Ist ja auch vollkommen blank der Mann.“ ergänzte Sporty seiner
persönlichen Abneigung entsprechend.
„Hab ich das richtig verstanden. Vor sechs Wochen hat unser Herr
Longolius noch beim Spiegel gearbeitet. Dann ist er raus geflogen,
weil er nicht mehr richtig gearbeitet hat, oder so ähnlich. Er hat sich
einen Anwalt besorgt, damit er an sein ausstehendes Gehalt kommt
und davon ist er ein Wochenende nach Schweden gefahren. Dann
kommt er wieder, und weil er seit drei Monaten keine Miete gezahlt
hat, muss er seine Wohnung räumen.“ will Mathilda wissen, die
gerade fertig mit dem Einstellen des Beamers wurde.
„Die Wohnung hätte er gar nicht verlassen müssen. Er hätte die mit
ein bisschen Hilfe locker halten können. Du kannst ja jemanden nicht
einfach auf die Straße setzen in Deutschland.“ weiß Basti.
„Kann man schon!“ sagt Mathilda. „Aber das Gesundheitsamt war ja
da. Warum hat er sich von denen nicht helfen lassen?“
„Es sieht so aus, als meint er gerade keine Wohnung zu brauchen.
Außerdem, guckt mal hier ..“ Ingmar legt ein Gesprächsprotokoll auf
den Beamer. „Der Mann vom Gesundheitsamt war da und hat zu Typ
gesagt, wenn er Hilfe braucht, dann kann er sich jederzeit melden.
Aber dann ..“ er vergrößert ein Dokument. „Dann kriegt er ein paar
Tage später vom Gericht ein Schreiben. Der Mann vom Amt, der ihn
besucht hat, hat bei Gericht eine gesetzliche Betreuung angeregt. Das
hat er Typ aber nicht angekündigt, als er da war.“
„Was bedeutet das?“ fragt Sporty.
„Naja, so ein Betreuer kann dann bei Gericht beantragen, dass
jemand ins Krankenhaus kommt. Und zwar eskortiert von der Polizei.
So, gegen die Betreuung hat er beim Amtsgericht Widerspruch
eingelegt. Dann ging es zum Landgericht, und die haben die

Betreuung bestätigt. Ich ..“ Ingmar schloss das Dokument. „.. fnde das
etwas seltsam. Jemand der erfolgreich Widerspruch gegen eine
Betreuung einlegen kann, so dass das in die nächste Instanz geht, fällt
doch irgendwie fach für eine Betreuung, oder bin ich doof?“
Mathilda fand das auch interessant, konnte sich aber durchaus
vorstellen, dass eine Zwangsbehandlung, und darauf würde eine
Betreuung bei jemandem wie ihrer Zielperson wohl hinauslaufen,
dem nicht widersprechen müsse.
„Aber irgendwas ist da faul. Der Betreuer, der beim Landgericht
dabei war ..“ Ingmar zog ein Foto des Betreuers auf die Leinwand. „..
Longolius kennt den noch von den Jahren nach seiner Psychose in Der
Betreuer hat nach der Anhörung beim Landgericht mit
dem eigentlichen Psychiater von unserer ZP telefoniert. Und da hat er
gesagt, warte ..“
Ingmar zog ein Gesprächsprotokoll auf die Leinwand.
Betreuer: Herr Longolius war sehr gestresst in der Anhörung. Er hat
den Richter gefragt, was denn dann die nächste Instanz sei. Der
Richter hat gesagt, das sei der Bundesgerichtshof in Karlsruhe. Da will
er jetzt hin.
Ingmar scrollte etwas herunter.
„So, dann ein bisschen Blabla aber hier ..“
Ingmar markierte mit der Maus eine Textstelle.
„.. wird‘s spooky. Der Betreuer erwähnt, dass der Richter ihn
regelrecht überredet hat, Felix ins Krankenhaus einliefern zu lassen.
Da ist was faul.“
Betty betrat verschlafen das Büro: „Was gibt‘s Neues?“
„Bist Du schon wieder auf den Beinen?“ fragte Mathilda.
„Bart schnarcht wie ein Weltmeister. Bin aufgewacht.“
„Ach, wir unterhalten uns über das Gericht. Und Typ bringt seine
letzten Pfandfaschen zum Supermarkt. Muss ziemlich Hunger
haben.“ sagt Basti.
„Kriegt er noch welche vom Getränkemarkt?“ wollte Betty wissen.
„Nee, das sind die letzten. Sein Abo ist abgelaufen.“
„Welches Abo?“ fragte Mathilda.
„Ach.“ Betty wußte Bescheid. „Er hat sich von seinem letzten Geld

beim Getränkelieferanten zwei Wasserkisten pro Woche bestellt.
Aber wie lange kann er denn noch bei seinem Kumpel wohnen? Der
muss doch bald mal wiederkommen.“
„Die feißigen Wichtel haben uns nur aufgeschrieben, dass sein
Freund in Polen im Krankenhaus ist.“
„Wegen Depression.“ ergänzte Betty.
„In einem Krankenhaus.“ bestätigt Basti.
Ingmar holte die Überwachungskamera des Supermarkts auf den
Schirm. Typ hatte alle Flaschen in den Automaten gesteckt und sich
drei Kilo Mehl, Hefe, eine Packung Margarine, Pfeffer und Rosenkohl
ausgesucht. Er stand an der Kasse und löste gerade den Pfandbon
ein.
„Der sieht fertig aus.“ fand Ingmar.
„Jepp.“ bestätigt Basti.
Typ hat eine komische Unterhaltung mit der Kassiererin. Die
Agenten sehen die Szene gespannt an.
„Er hat irgendwas mit dem Wechselgeld.“ meint Mathilda zu
erkennen.
„Naja. Für den zählt jeder Cent.“
Typ hält an der Kasse offenbar einen kleinen Vortrag. Er gestikuliert
wild und spricht an der Kasse die Leute in der Schlange an.
„Ach, wenn man das Transkript braucht ist keins da.“
Doch die Wichtel sind wirklich feißig, offenbar ist einer in der
Schlange hinter Typ und die Daten kommen gerade rein.
„Ok.“ Ingmar holte den aufgeschriebenen Dialog nach vorn.
ZP löst Bon ein. Kassiererin gibt Wechselgeld.
ZP: Was soll das denn? Bei 4 Cent Wechselgeld muss ich wie oft
Einkaufen, um auf einen Euro zu kommen? 25 mal. Ich muss 25 mal
einkaufen um mir von dem Wechselgeld eine halbe Packung Pfeffer
kaufen zu können. Die 4 Cent können Sie behalten.
„Na toll. Was um Himmels willen machen wir hier eigentlich.“
Sporty war genervt.
„Ja, schon komisch.“ pflichtete Mathilda bei. „Sagt mal, wo ist denn
der Wichtel?“
Ingmar spulte im Video zurück und zoomte in die Schlange.

Mehrmals. „Wahrscheinlich hat da einer ein Mikrofon und tippen
tut‘s jemand anderes.“
„Und wieso kriegen wir nicht gleich das Audio?“ fragte Mathilda.

Die Frage, warum gerade ich Stimmen höre, wurde dieses mal
dann aus Zeitgründen nicht weiter erörtert und Professor Heise
beendete die Veranstaltung: „Vielen Dank! Ich hoffe Sie haben den
Einblick, den uns unser Gast heute gegeben hat, genauso wertvoll
gefunden wie ich. Es ist die Frage, welche Seite eigentlich
verunsichert sein sollte, auch wenn es beiden Seiten eindeutig zu
sein scheint: Wir rationalen Mediziner mögen geneigt sein, Herrn
Longolius nahezulegen, das mit dem Stimmen hören nochmal zu
überdenken, während sich unser telepathierender Gast zu wünschen
scheint, mit seinem Weltbild mehr Halt in unserer wissen-
schaftlichen Gesellschaft zu fnden. Ich freue mich jedenfalls auf das
nächste Mal und hoffe, ich sehe Sie genau so zahlreich wieder, damit
wir diesem Widerspruch weiter auf den Grund gehen können.“
Heise lud mich dann ein, mit ihm in die Mensa zu gehen. Bei einem
Stück Kuchen und Kaffee redeten wir Tacheles:
„Warum lassen Sie mich so sehr kommen in dem Seminar. Die
Studenten machen sich doch sicherlich schon lustig über mich, den
Typ der Stimmen hört, obwohl‘s total unlogisch ist.“ fragte ich Heise,
weil ich inzwischen die Sorge hatte, er wolle mich irgendwie
aufaufen lassen. Doch der packte mich jetzt ganz schön hart an:
„Herr Longolius, Sie schrieben mir, dass Sie von Ihrer Psychose
berichten wollen und nicht, dass Sie eine öffentliche Therapie
machen wollen. Dass es nicht leicht wird, angehende Psychiater in
ihre Psychose einzuweihen, dürfte Ihnen zumal klar gewesen sein.
Außerdem liefern Sie die Gegenargumente zu Ihren Argumenten ja
gleich mit bei Ihrem Vortrag.“
„Denken Sie nicht, die Situation ist etwas zu klassisch: Irrer
versucht, Außenwelt auch verrückt zu machen?“ fragte ich ihn.
„Sagen Sie so etwas nicht. Überlegen Sie lieber, wie Sie gedacht

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Das Folgende neu hier vom 5. 3. 2022 2:30h CEWT

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haben, als Sie mir angeboten haben, im Seminar vorzutragen. Sie
waren doch da noch überzeugt, mit Ihren besonderen Wahr-
nehmungen im Recht zu sein. Oder etwa nicht?“
„Naja, da müsste ich mich erst mal wieder rein denken. Also, 2013
kam ich aus dem Krankenhaus. Und ich dachte ja vorher, ich hab
Kontakt zu Außerirdischen. Das denke ich ja heute noch. Allerdings
dachte ich damals auch, ganz viele Geheimdienste hätten mich unter
Beobachtung. Da glaube ich heute, habe ich übertrieben.“

Nachdem ihr „Typ“ wieder in der Wohnung ankam, schaltete er
seinen Computer ein. Der war angezapft und die sechs hatten den
Ton aus der Wohnung auf die Lautsprecher gelegt. Er schien ein Brot
backen zu wollen, auf jeden Fall hörte man so etwas, wie das
Klatschen eines gerade zubereiteten Teigs.
Bart war inzwischen aufgestanden, dafür hatten sich Ingmar und
Mathilda hingelegt.
Alle 10 Sekunden kam ein Screenshot von Typs Computer rein.
Außerdem hatten sie live Zugriff auf seinen Internetverkehr. Er hörte
ein Konzert von The Cinematic Orchestra in der Royal Albert Hall.
Basti las in Typs Buch ‘Mr. T-Cup und der (große) Abstimmungs-apparat‘, Bart war im Raucherraum, Sporty und Betty blätterten die
Nachrichten durch, die sich die 52 Geheimdienste über die
Mailingliste gesendet hatten. Betty fand etwas, das sie den beiden
anderen mitteilen wollte:
„Das ist ja nicht zu glauben. Typ hat also 2003 gedacht, er versucht
mal den Krieg zu verhindern. Durch irgendeinen kruden Plan für
einen Friedensmarsch. An dem Tag an dem er losgehen will, wird er
aber psychotisch und landet total verwirrt im Krankenhaus. So weit
bekannt. Jetzt schreiben aber die Schweden etwas über eine bunte
und eine militärfarbende Jacke an die Liste, die Typ offenbar ..“
„Guckt mal!“ sagte Bart, der gerade reinkam und als einziger sah,
dass Typ gerade etwas am Computer machte. Bart holte die
Tastatureingaben, die der Keylogger direkt in ihr Büro sendete, auf

den großen Schirm.
„Er googelt etwas ..“
Hippies worsened war
„Hippies worsened war?“ las Sporty laut vor.
„Hippies verschlechterten Krieg. .. wer googelt denn so was?“ fragte
Betty in die Runde.
„Bisher noch niemand.“ behauptete Basti.
„Woher willst‘n das wissen?“
„Wir haben einen Admin-Zugriff auf den google-Algorithmus,
wusstet ihr das nicht?“
Bart war erstaunt: „Im Ernst?“
„Ja, hab‘s gerade nachgeguckt.“ stolzierte Basti. „Ich glaube: er weiß,
dass er überwacht wird. Er kommuniziert mit uns.“
„Oder mit den Amis.“ streute Betty ein.
In dem Moment fing Typ wahnsinnig an zu stöhnen. Über die
Lautsprecher kam ein schmerzverkrampftes „Arrrrrrgh!“ zu den
jungen Agenten in den Bunker.
„Meine Güte, was ist denn los?“ Bart war entsetzt.
„Aua!“ rief Typ noch hintendran. „Hossa, das war nicht schlecht!“
sagt er jetzt in die Leere seines Unterschlupfs.
„Vielleicht hat er sich am Ofen verbrannt.“ konnte sich Basti
vorstellen.
Betty hielt das für unwahrscheinlich: „Hmm, weiß nicht.“
„Er ruft wieder google auf.“ machte Sporty aufmerksam.
Packed on top of Drones that could be a lifesaver, I guess.
„Ok, ok! Ich weiß was los ist. Ich hab davon gelesen, wartet ..“ Basti
hackte in die Tasten seines Computers. „Wartet ..“ Er zog eine
Webseite auf die Leinwand. „Das muss es sein.“
Die anderen sahen sich die Seite an, die aus Text und einer
Computergrafk bestand, die eine Art Kanone zeigte.
„Strahlenkanonen?“ fragte Sporty, als wäre es klar, dass es gerade

das bestimmt nicht war, wenn die folgenden Argumente ihn nicht
überzeugen sollten.
„Jepp.“ bestätigte Basti. „Passt doch alles zusammen.“
„Er googelt wieder etwas ..“ machte Betty aufmerksam.
Let‘s see if you can do that outside, too!
„Er will sehen, ob die auch draußen mit der Bestrahlung an ihn ran
kommen!“ meinte Basti.
„Zumindest will er mit seinen Suchanfragen mit jemandem
kommunizieren. Das steht fest. Mit den Strahlenkanonen – ich weiß
noch nicht.“ gab sich Betty skeptisch. „Was sollen die denn können?“
Basti antwortete: „Na, was sollte man mit Strahlenkanonen schon
machen können. Also, man muss sich von der Vorstellung
verabschieden, dass man den Strahl sehen kann. Ansonsten dürfte
das ziemlich nah an jede Science-Fiction ran kommen.“
„Science-Fiction?“ Ingmar betrat das Büro. „Was ist Science-
Fiction?“
„Typ schreit am Spieß und Basti meint, das waren Strahlenkanonen,
mit denen Typ beschossen wurde.“ fasste Bart zusammen.
„Lass mal hören.“ bat Ingmar, setzte sich dann aber selbst an den
Rechner und ging die Aufzeichnungen durch.

Der Tag nach dem Seminar mit den Außerirdischen war eine
einzige Katastrophe. Ich nahm die extra-Medikamente für Tage an
denen es mir schlecht ging, doch dadurch ging es mir nur noch
schlechter. Die Seminare waren ja gerade meine Hauptaufgabe.
Aufgabe? Irgendwie konnte ich sie heute nicht als Aufgabe sehen.
Sie waren vielmehr Teil der großen Verfehlung die mein Leben war.
Dieses normale Leben. Warum war es für mich nicht möglich.
War das normale Leben für mich möglich? Ich könnte arbeiten.
Wenn ich einen Job hätte. Aber momentan hatte ich nicht den Drive,
trotz – oder wegen – meiner fast vierjährigen Abstinenz vom

Arbeitsmarkt auf Jobsuche zu gehen. Ach, wenn ich doch ein paar
Neuro-Wissenschaftler kennen würde, die an mir ausprobieren
wollen, wie ich mich ohne die Medikamente zurechtfnden würde.
Oder welche, die neue Medikamente an mir ausprobieren wollen.
Mir war es inzwischen egal.
Ich müsste nochmal mit Heise sprechen, ob ich weitermachen
sollte.
Die fantastischen Welten meiner Psychose waren gerade so weit
weg. Das lag sicher auch an den extra-Medikamenten. Aber auch
irgendwie daran, dass ich gerade auf der normalen Seite war.
Damals hatte ich mir vorgenommen, es nicht wieder zu vergessen,
dass ich das erlebt habe und es für wahr hielt. Aber heute war es weit
weg. Nein, heute hielt ich es nicht für wahr.

Im BND-Bunker gab es natürlich nie Tageslicht. Aber inzwischen
war es auch an der Oberfäche stockfnstere Nacht geworden. Weil
Mathilda das beste Gehör hatte, wurde sie auf Ingmars drängen hin
geweckt. Sie hörte sich immer wieder Typs Schreierei an, während
der eigentlich inzwischen durchs nächtliche Hamburg lief.
„Ich kann‘s nicht sagen.“
„Aber Mathilda“, insistierte Basti, „was soll es denn sonst sein?“ Er
fasste sich missverstanden mit der Handfäche an die Stirn. „Ok, aber
Du würdest es für möglich halten?“
„Möglich ist vieles ..“ Mathilda streifte die Kopfhörer ab und wandte
sich der Überwachungsmaske zu, die seit einiger Zeit auf dem
Beamer lag. „Was macht er?“
„Er ist von Eppendorf nach Barmbek gelaufen und läuft weiter
Richtung Nord-Ost. Außerdem stimmt das mit den Fürzen.“
„Prima. Sporty, hast Du was herausgefunden?“
Sporty hatte sich bereit erklärt, Typs Suchvorgänge etwa der letzten
drei Monate nochmal durchzugehen.
„Ich muss inzwischen sagen, dass unser Mann nicht dumm ist.“ Er
ließ die Hände von der Tastatur und drehte sich auf seinem Bürostuhl

klicken Sie auch auf deepmonitor.site herum. Deepmonitor.site, die Seite für einen tiefen Monitor.

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neu hier vom 6. 3. 2022 – 1:40h CEWT

zu den anderen. „Erst mal sitzt er seit drei Wochen in 25-Stunden
Schichten am Rechner.“
„Das klingt ziemlich dumm.“ fand Mathilda vernünftigerweise. „Und
was macht er da?“
„Er recherchiert zu Software. Vor allen Dingen Help-Desk-Systeme
und Telefonanlagen-Software. Wenn wir die Screenshots nicht erst
ab gestern bekommen würden, könnte ich mehr sagen. Aber seinen
Suchanfragen nach zu urteilen, hat er neun Help-Desk-Systeme auf
seinem Server ausprobiert und sich ansonsten ziemlich in diese
Telefonanlagensache vertieft. Ah, und er hat Anbieter und Preise für
internationale Rufnummernpakete recherchiert. Wenn ihr mich
fragt..“
„Wir fragen dich.“
„.. Er will ein internationales Notrufsystem basteln. Und das will er
dann wohl der ganzen Welt vorstellen. Er hat nämlich eine
alphabetische Liste aller Länder abgerufen. Und dann bei A
angefangen, Adressen von Internetzeitungen raus zu suchen. Ist aber
gerade mal bis Armenien gekommen, unser Quichotte.“
„Aber trotzdem weckt das deinen Respekt. Interessant.“ fand Betty.
„Aber wie soll er das allein schaffen?“
„Keine Ahnung.“ sagte Sporty. „Da hat er wohl echt ein Problem mit
der Realität.“
Ihr Typ lief derweil immer weiter.
„Irgendwelche Anzeichen für Beschüsse durch Strahlenkanonen?“
wollte Mathilda unterdessen wissen.
„Nichts zu erkennen.“ sagte Basti ernst, obwohl Mathildas Frage
wohl nicht so gemeint war.
„Und wenn die Amerikaner wirklich an ihm dran sind ..“ überlegte
Betty, „ich meine .. wir, die Amerikaner, wer weiß ob noch mehr
involviert sind?“
„Meinst Du nicht, unsere Kollegen haben auch noch was anderes
zu tun? Er ist ja nun kein Sicherheitsrisiko.“ meinte Ingmar.
„Das stimmt. Lass uns nochmal überlegen. Er ist ja psychotisch.
Was sagt uns das?“
„Stell‘s Dir doch mal vor!“ Mathilda hatte wirklich am meisten

Ahnung von der Materie. „Er hört Stimmen. Also er nimmt seine
eigenen Gedanken so laut wahr, dass er denkt sie kämen von außen.
Es ist eher selten, dass Psychotiker von ihren Stimmen nicht genervt
sind. Aber bei ihm scheint das ja eher motivierend zu sein.“
„Also seine Stimme sagt ihm zum Beispiel ‘das machst Du gut‘
oder ..“ Sporty überlegt „.. ‘kündige mal deinen Job, du musst die Welt
retten!‘“
„Denkbar.“ Mathilda wusste noch mehr: „Und er hat wahrscheinlich
gerade Kraft bis zum geht nicht mehr. Typisches Phänomen. Kennt
man auch von bipolaren Menschen in der Manie. Nur, dass er danach
nicht depressiv wird. Der kommt da vielmehr nicht von selbst wieder
raus. Schizophrene werden oft erst durch Medikamente wieder
runter geholt.“
„Ich geh mal eine rauchen.“ Bart hatte sich lange nicht mehr zu
Wort gemeldet.
„Rauchen ist ungesund!“ gab Mathilda ihm mit auf den Weg.
„Ach, wirklich? Waffen auch.“
„Wie philosophisch .. wie wär‘s, wenn wir Deine Zigaretten in die
Waffenkammer einschließen?“
„Dann muss ich ja immer in die Waffenkammer, wenn ich eine
rauchen will.“
„Scherzkeks.“
„Ok, ich frag mich gerade, ob es viele gibt, die Stimmen hören und
keine Probleme kriegen.“ lenkte Betty wieder aufs alte Thema.
„Ich weiß nur, dass es Leute, die Probleme damit kriegen, überall
gibt. Man sagt allgemein, dass egal in welcher Kultur, ein Prozent der
Leute mindestens einmal im Leben psychotisch wird. Ich hol mir
einen Kaffee, noch jemand?“
„Das ist lieb, Mathilda, bringst Du mir einen grünen Tee mit? Das
scheint ja eine lange Nacht zu werden.“
„Ich will ‘ne Cola. Warte, ich komme mit.“ Sporty stand auf.
„Ich will auch eine!“ bat Ingmar.
„Basti, du nichts?“ fragte Mathilda.
„Danke, ich bleib bei meinem Wasser.“
Eine kleine Teeküche war schräg gegenüber.

Ich saß in der S-Bahn, auf dem Weg zu meinem Psychiater. Da kam
ein junger Typ in die Bahn. Ich glaube nicht, dass er Drogen nahm,
sondern wirklich Geld für was anderes schnorrte, weil er gerade
nichts hatte. Darüber hinaus glaube ich aber, dass er psychotisch war.
So wie ich damals. Nur, dass ich mir damals zu fein dazu war,
schnorren zu gehen.
Ich sprach ihn an.
Er reagierte freundlich. Wie auch immer, konnte ich ihm offenbar
den Eindruck vermitteln, mit der Frage, was er denn gerade am
dringendsten bräuchte, eine Hilfe sein zu können. Naja, ich hatte
selbst wenig Mittel. Aber auf jeden Fall mehr als gar nichts.
Er hatte nur einen Rucksack, genau wie ich damals. Er war auf
Reisen, passte auch. Aber er war so hoffnungsvoll und seinem
Schicksal gegenüber aufgeschlossen, nämlich mit den geringen
Möglichkeiten, die sich ihm boten zurechtzukommen – so war ich
nicht.
Der Mann pennte allen ernstes in Kirchen. Also nicht direkt in den
Kirchen, sondern er fragte die Pastoren, ob sie ihm Unterschlupf
gewähren. Diese Nacht hatte er schon einen Schlafplatz vermittelt
bekommen, zwar im Obdachlosenheim, aber, so einfach kann‘s
gehen. Manchmal konnte er auch einfach im Gemeindehaus schlafen
– er schaffte es irgendwie, nicht wirklich den Status eines
Obdachlosen zu haben. Das Geld brauchte er dann auch tatsächlich
um sich Mobilfunkguthaben zu besorgen, damit er unterwegs, und er
war ja die ganze Zeit unterwegs, ins Internet kommt. Letzteres
Problem kannte ich nun wieder auch.
Außerdem war er wohl so eine Art Programmierer, was ich mir
über mich auch einbildete. Was er genau machte, wollte er mir nicht
sagen. Und ich war dann auch ein bisschen eingeschnappt, so wie es
alle sind, dass er so ein lockeres Leben lebt und Mobilfunkguthaben
schnorrt. Dass er es schaffte, woran ich damals gescheitert war. Ich
konnte ihn nicht fragen, ob er Stimmen hört und so. Aber woher

sollte er sonst die Energie nehmen, ich konnte es mir nicht
vorstellen. Mehr als ein kleines Frühstück beim Umsteigen war für
ihn, beziehungsweise für mich, dann auch nicht drin. Ich werde mich
noch eine Weile ärgern, nicht mehr aus ihm rausbekommen zu haben.

Die Nacht zog vorbei. Felix Longolius, den die sechs Nachrichten-
dienstler immer noch nur „Typ“ nannten, hatte Hamburg verlassen
und lief inzwischen auf der Landstraße, die sich an den Seiten der
Autobahn Richtung Lübeck entlang schlängelte. Mit seinem Handy
und kleinen Lautsprechern, die er sich an den Rucksack gehängt hat,
hörte er Musik, irgendeine Jazz-Sendung aus dem Radio.
Alle waren wach. Michael hatte sie gewarnt.
Während die sechs sich das selbe Radioprogramm anhörten wie
Typ auf der Landstraße, war Mathilda Wortführerin dabei, sich
gemeinsam vorzustellen, wie es sein dürfte, psychotisch zu sein. Die
anderen recherchierten nebenbei über alles mögliche, das ihnen
irgendwie nützlich zu sein schien. Und jeweils einer schaute
ununterbrochen auf Typ.
Das Wärmebild der Drohne, die Typs Verfolgung hielt, muss mit
seinem übernatürlichen Charakter, mehr sehen zu können als das
menschliche Auge, etwas meditatives ausgelöst haben. In jedem Fall
war die Stimmung entsprechend. Sporty unterbrach dann die Arbeit
daran, Typ und die Situation zu verstehen:
„Ok, Leute. Wir haben viel Spaß, aber es ist jetzt vier Uhr morgens.
Wenn ich das richtig sehe, müssen mindestens zwei von uns jetzt
mal ne Runde schlafen. Mathilda und Ingmar sind am kürzesten
wach. Basti, wir seit heute morgen. Wie wäre es wenn wir morgen
weitermachen?“
„Ach Sporty, leg dich doch einfach hin, wenn du müde bist!“
versuchte Betty zu beschwichtigen.
„Ja, ich bin hier doch gerade echt an einer wichtigen Sache dran.“
nörgelte Basti ein wenig.

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mehr heute hier, 6. 3. 13h CEWT
Wenn Sie das hier lesen. Ich freue mich über eine Rückmeldung. Felix Longolius. Bald die nächsten vier Seiten.

Sporty gab auf: „Na gut, ich leg mich hin. Bis später!“
Typ überquerte gerade abermals die Autobahn. Er stellte sein
Telefon auf eine andere Musik um. Die Filmmusik von Tron Legacy, in
dem sich Menschen in einer Paralellwelt als Computerprogramme
durch eine Welt aus Bits und Bytes kämpfen, donnernde
Orchesterspannung von Daft Punk. Da die sechs das Audiosignal auf
die Lautsprecher gelegt hatten, ertönte die Filmmusik auch im
Bunker.
Bart guckte seit eineinhalb Stunden fast ohne etwas zu sagen das
Wärmebild an, während die anderen sich unterhalten hatten. Ohne
aufzuschauen, offenbarte er seinen Gedanken.
„Ich kann mir inzwischen vorstellen, wie das mit dem
Telepathieren funktioniert.“
„Hast du vorhin gekifft?“ fragte Mathilda. Bart war vorhin ja
tatsächlich im Raucherraum.
„Ja, wieso. Viel hilft viel.“
„Bart, du bist im Dienst. Du kannst doch nicht einfach rausgehen
und einen durchziehen!“
„Ach, ich mach doch nur Spaß. Ich hab natürlich nicht gekifft. Aber
ich meins ernst. Wir sollten der Sache eine Chance lassen. Ich guck
mir Typ jetzt eine Weile an. Und warum soll ich nicht wissen, was er
denkt.“
„Aber da ist doch ein meilenweiter Unterschied dazwischen, zu
wissen, was jemand denkt und zu wissen was jemand denkt.“
widersprach Mathilda. „Und woher willst du überhaupt wissen, was
er denkt.“
„Naja, es hat nur acht Grad. Wenn er stehen bleibt wird ihm kalt. Er
hat vor einer Stunde eine Pause gemacht, dabei ist seine Temperatur,
also die seiner Klamotten, laut unserer Drohne, um gut drei Grad
abgefallen. Ich weiß also, dass er gerade denkt, dass er gehen muss,
um nicht zu frieren. Punkt für mich?“
„Ein halber.“ Ingmar wollte zumindest hören, wie es weiterging.
„Der Weg schlängelt sich an der Autobahn entlang. Er will offenbar
nach Lübeck ..“
„.. seinen Freund Mo besuchen ..“ ergänzte Ingmar

„.. seinen Freund Mo besuchen. Da fndet er alles was er braucht:
Was zu essen und ein Bett. Umzudrehen und nach Hause zu gehen
steht nicht zur Debatte, schließlich hat er auch schon ein Drittel des
Wegs geschafft. Wenn der Weg also nach links geht, geht er nach
links. Bei einer Rechtskurve geht er nach rechts. Punkt für mich?“
„Ich weiß nicht.“ jetzt verweigerte Ingmar die Zustimmung.
„Bart. Bitte. Du hast aber doch keinen Einfuss darauf, ob er nach
links oder nach rechts geht. Dann wär‘s Telepathieren.“
„Da hab ich natürlich schon drüber nachgedacht. Wenn ich jetzt
aber eine Strahlenkanone hätte, mit der ich ihn die ganze Zeit so
bestrahle, dass er das gar nicht merkt, beziehungsweise so, dass er
sich daran gewöhnt. Vielleicht eine angenehme Bestrahlung, leichte
warme Mikrowellen oder irgendwie ein Kribbeln.“
Bart ging inzwischen nachdenklich auf und ab. „Dann geht er den
Weg entlang, und ich beobachte sein Tempo. Und ich kenne ihn, weil
ich den Menschen kenne und weil ich ihn kenne. Jetzt wird er
langsamer. Er verliert die Motivation. Und ich verstärke das negative
Gefühl mit der Bestrahlung.“
„Halte ich für möglich soweit.“ pflichtete Basti bei, der sich ja gerade
genau in diese Materie einarbeitete.
„Danke. So, er wird langsamer, ich verstärke das negative Gefühl.
Und jetzt kommt der Punkt, an dem er übers Umkehren nachdenkt.
Ich weiß ja wann der Punkt kommt. Weil ich den Menschen kenne
und ihn kenne und zumindest einen halben Punkt weit weiß, was er
denkt.
Bart zog mit beiden Händen seine Hose hoch und setzte sich, als
würde er jetzt auch argumentativ Platz nehmen: „Und jetzt will ich
aber, dass er weiter geht. Also schalte ich um. Wohldosiert lasse ich
ihn jetzt etwas angenehmes fühlen. Er merkt nicht mehr, dass sein
Körper eigentlich andere Signale sendet und geht weiter. Ich will
nämlich, dass er verrückte Sachen macht. Ich will, dass er in der
Psychiatrie landet!“
„Dann ist man ihn los!“ Basti stimmte mit ein. „Das ist genial, das ist
die Antwort, danke Bart!“ Basti war überzeugt.
Mathilda noch nicht wirklich: „Pawlow oder wie?“

Jepp, komplett konditioniert der Mann.“ bestätigte Bart das
Verständnis seiner Aussage. „Ich meine, er kann nichts dafür,
aber er ist eine Marionette!“

Der Termin bei meinem eigentlich sehr geschätzten Psychiater, lag
vier Wochen vor mir, jetzt war ich drei Minuten zu spät. Ein schöner
Herbsttag, an den man sich im Winter gern würde erinnern können,
brachte mich ins Schwitzen, weil ich jetzt zur Praxis rennen musste.
Wie immer freute ich mich aber darüber, einen Termin zu haben.
Ein blödes Stück Papier, die quartalsweise Überweisung von
meiner Hausärztin für den Psychiater, hatte ich nicht dabei, obwohl
es bereits Oktober war. Nur eine ältere Dame, vermutlich depressiv,
saß bereits im Wartezimmer. Ich würde mich jetzt entschuldigen
müssen, wegen der fehlenden Überweisung. Um die Sprech-
stundenhilfe nicht in Verlegenheit zu bringen.
Eigentlich, damit ich keinen Ärger bekam.
Ich erzählte meinem Gehirnadministrator dieses Mal dann, dass es
nun tatsächlich einen Professor gab, der mich erzählen ließ.
Er fand das gut, warnte mich aber gleichzeitig davor, dass es auch
eine Enttäuschung werden könne. Der Psychiatrie-Student an sich
könnte mich vielleicht sogar in meinen Gefühlen verletzen, meinte er.

Zwischen Hamburg und Lübeck ging inzwischen langsam die
Sonne auf, kurz vor sechs Uhr morgens. Unter den neuen Vorzeichen
wurde Typs Verhalten nun genau beobachtet. Basti hatte sich
inzwischen übermüdet auch hingelegt.
Er ging auf eine Autobahnraststätte zu, die auch von der Landstraße
aus erreichbar war. Das war so erwartbar, dass Ingmar sich bereits in
die Überwachungskameras gehackt hatte, als er die Gaststätte betrat.
Die Wichtel waren zur Stelle. Im Protokoll tauchte ein ‘ZP betritt

Gaststätte‘ auf.
Typ ging erstmal zum Klo. Ingmar suchte auf den Videobildern den
Wichtel, und konnte einen älteren Mann und eine junge Frau in die
engere Wahl nehmen.
Vom Klo kommend verstaute er seine große Wasserfasche, die er
offenbar gerade aufgefüllt hatte, im Rucksack. Er ging zur Kasse und
sprach mit dem Kassierer. Ingmar holte das Gesprächsprotokoll auf
die Leinwand:
ZP: Guten Morgen.
Verkäufer: Guten Morgen.
ZP: Hätten Sie etwas Brot vom Vortrag?
V: Warum kaufen Sie nichts?
ZP: Ich habe kein Geld.
V: Dann können Sie auch nichts essen.
ZP: Ich gehe gerade zu Fuß nach Lübeck. Können Sie das nicht
irgendwie unterstützen?
V: Zu Fuß? Ich kann Ihnen welche von den Keksen geben.
ZP: Das wäre nett.
Der Kassierer ging zur Espressomaschine und nahm eine Handvoll
von den Keksen, die normalerweise zum Kaffee serviert werden, und
gab sie Typ. Das Protokoll hatte die übliche Verzögerung, war aber
eigentlich auch unnötig, um zu verstehen, was vor sich ging.
ZP: Hätten Sie noch irgendwas für mich?
V: Ich kann Ihnen einen Kaffee geben, aber nur Filter.
ZP: Vielen Dank.
„Ich glaube, zu viel sollte er sowieso nicht essen gerade. Das macht
nur müde.“ überlegte Ingmar. „Bei meiner Ausbildung haben wir
während der Trainingseinsätze eigentlich auch nur Zucker zu uns
genommen.“
„Aber er ist kein Kampftaucher.“ wendete Bart ein.
„Och, sein Pensum ist schon ganz ordentlich, würde ich sagen. Ich
meine, wann hat er zuletzt geschlafen?“ Ingmar guckte auf seinen
Bildschirm. „Er ist um 4 Uhr 56 aufgestanden.“
„Nachdem er elf Stunden geschlafen hat.“ ergänzte Betty.
„Nichts desto trotz.“

##
Hier veröffentlicht zum 7. 3. 2022 – 22:15 CEWT

Felix überredete noch den Verkäufer, ihm zwei alte Zeitungen zu
geben. Er verstaute auch die in seinem Rucksack.
Von Betty bekamen die anderen die Nacht über vor allem mit, dass
sie sich um die Verpfegung gekümmert hatte. Dass sie sich
zwischendrin auch intensiv mit den Nachrichten auf Typs gehackter
Webseite beschäftigt hatte, fiel bislang nicht auf:
„Die letzte Nachricht auf Typs Mailingliste ist von den Italienern.
Eine offenbar ziemlich ernst gemeinte Auseinandersetzung mit der
Möglichkeit, Gott anzuzeigen. Sie schreiben vor allen Dingen über die
Problematik für die Strafverfolgungsbehörden, ihm im Falle eines
Schuldspruchs habhaft zu werden. Auf jeden Fall könnte es sein, dass
die das, was wir von den Wichteln bekommen, auch haben. Lasst uns
..“ Betty stützte den Ellbogen, hielt sich die Hand nachdenklich unter
die Nase und öffnete sie schließlich in Richtung der anderen, als
müsse man nicht diskutieren, dass sie den einzig logischen
Gedanken gefunden hätte „.. lasst uns nochmal durchgehen, was wir
tun können, falls er wirklich in Gefahr gerät.“
„Naja, nicht viel ..“ sagte Bart. „.. wir könnten versuchen einen
Krankenwagen zu rufen.“
„Oder die Polizei.“ ergänzte Mathilda.
„Wenn uns Chef an die Liste ran lassen würde ..“ so ein genervter
Ingmar, „.. dann könnten wir wirklich Einfuss nehmen.“
„Auf der Liste unterhält sich ja nicht irgendwer. Das sind wohl die
think-tanks der Dienste. Wer weiß, mit wem wir da so alles Kontakt
hätten.“ malte Betty sich aus. „Bemerkenswert ist ja vor allen Dingen,
dass wir uns auf der Liste noch gar nicht gemeldet haben.“
„Echt?“ Bart war erstaunt.
„Typ hat uns, den Verfassungsschutz und den Militärischen
Abschirmdienst drauf gesetzt. Aber über die Liste kam bisher weder
vom einen, noch von den anderen was.“
„Dann sprechen wir das heute an. Wann ist die Besprechung?“
wollte Bart wissen.
„Um elf.“
„Nochmal kurz hinlegen?“
Betty war derselben Meinung. Ingmar und Mathilda würden die
Stellung halten müssen.

Weil ich mir wirklich nicht sicher war, ob das Seminar für mich
oder die Studenten das richtige war, rief ich in der nächsten Woche
bei Professor Heise an.
Seine Sekretärin sagte, sie würde es ihm ausrichten.
Ich legte mich aufs Bett und dachte nochmal über die ganze Sache
nach. Die Stille brachte ein eigenes Phänomen hervor, das ich seit
2003 kannte: Ein doofes Klicken auf dem Ohr, das meine Gedanken
zu kommentieren scheint. Und dann auch diverses Knacken
verschiedener Möbel in der Wohnung. Noch bevor Heise zurückrief,
hatte ich mich entschieden, weiter in dem Seminar zu berichten.

Als die sechs den Besprechungsraum betraten, saß da neben Chef
noch jemand. Ein dicklicher Mann mit einer grauen Halbglatze, einer
großen gestelllosen Brille auf freundlichem Gesicht und amerikanischem Akzent, begrüßte sie einzeln mit Handschlag und nicht
ohne ihre Namen zu kennen.
„Ingmar, freut mich Sie kennenzulernen. Basti, Sie werden für Ihre
Skills in höchsten Tönen gelobt. Bart, Sporty, da habt ihr euch ja
schöne Decknamen ausgesucht. Mathilda, bitte sagen Sie mir nicht,
was Sie über mich denken.“ Er spielte auf Mathildas Ausbildung als
Psychologin und Proflerin hin. „Betty, guten Tag. Schön sie dabei zu
haben.“
Chef klärte die Situation ziemlich direkt auf: „Ja.“ sagte er fast
seufzend. „Ähm.“ Er nahm doch merklich Anlauf. „Ich darf euch Chris
von unseren Kollegen von der CIA vorstellen. Er wird euch von nun
an in eurem Team verstärken.“
„Ja, danke Rolf. Man konnte mich entbehren und somit ich kann
euch jetzt wohl bei der ein oder anderen Frage helfen. Das Objekt
unseres Interesses, Herr Felix Longolius, den Sie ja jetzt kennen-

gelernt haben, ist ein tough guy, wie sagt man?“
„Harter Hund.“ warf Betty ein.
„Genau. Das sehen Sie an seinem Marsch seit gestern morgen.“
Chef ergänzte das entscheidende: „Chris ist seit 2003 für unsere
Zielperson zuständig.“
„Seine Akte wurde allerdings in 2000 aufgemacht, als er
weltpolizei.de registered hat“ warf Chris ein.
Es waren alle sechs professionell und kannten solche Vorgänge
zumindest aus Erzählungen, weshalb Betty keinen Grund sah, nicht
beim Thema zu bleiben. „Chef, wir haben uns gefragt, wie wir
Longolius eigentlich helfen sollen, falls es dazu kommt?“
„Oh, ich habe Schreibrechte für die List!“ sagte Chris jovial, als hätte
er ihnen noch ein Weihnachtsgeschenk mitgebracht.
Sporty war es, der – man hätte es nicht gedacht – dann wieder
ziemlich mutig vorpreschte. Es ging ihm um die Strahlen-
kanonenfrage. Dass sie sich da vielleicht in etwas rein gesteigert
hatten, war Sporty in dem Moment nicht bewusst, auch wenn er
seine Frage so defensiv wie möglich formulierte: „Chef? Chris, Sie
kann ich das auch fragen. Wie weit ist die Technologie
fortgeschritten, andere aus der Distanz ..“ er suchte noch Worte. „..
körperlich beeinfussen zu können?“
„Sie meinen ..“ Chef ließ eine fragende Pause.
„Mit ..“ Sporty hatte doch Muffensausen „Strahlenkanonen ..?“ Er
hatte es tatsächlich rausgekriegt.
Chef sah Chris formvollendet fragend an. Chris nickte und Chef
antwortete.
„Unsere Kollegen waren ziemlich erfolgreich auf dem Gebiet.“
„Wusste ich‘s doch!“ triumphierte Basti.
„Chris wird euch dazu einiges sagen können. Ich möchte Euch bloß
noch bitten, einen ordentlichen Schichtplan zu führen und nicht alle
die Nacht durchzumachen.“

Die nächste Veranstaltung war eindeutig schlechter besucht als die

Vorige. Doch ich war gut gelaunt und dachte nur, dass die, die
anwesend waren, dann wenigstens richtig motiviert wären.
Heise bemerkte dann auch in seiner Einleitung, dass die
Abwesenden seiner Meinung nach „etwas verpassen“ würden und
kreiste das Thema des Tages ein. Es solle um die konkrete Welt des
Stimmen Hörens gehen. Wie ich das erlebte oder erlebe und was die
Wissenschaft dazu sagt.
Ich erzählte schnell und ich erzählte viel. Davon, wie das
angefangen hatte. Dass ich schwer verliebt war und dachte mit der
Bekannten so kommunizieren zu können. Und wie es weiter ging.
Dass ich jeden Abend zu Hause herumlungerte und telepathierte.
Dass ich dann neben der Angebeteten noch andere Personen
wahrgenommen habe in der Stadt. Und dass ich mir dann vorstellte,
das US-Konsulat und andere Stellen in der Stadt, seien Zentren der
telepathischen Kraft.
Dass ich tagsüber durch die Straßen gelaufen bin, und erst die
einzelnen Wohnungen, schließlich ganze Straßenzüge, telepathisch
miteinander vernetzte, so habe ich es in dem Seminar jedenfalls
genannt. Und wenn ich dann abends zu Hause auf dem Bett lag, dann
war es mir, als hätte ich, durch das tägliche ziehen telepathischer
Strippen, mehr Energie als die einzelnen telepathischen Zentren.
Dann hätte ich mit der Energie so herum gespielt, als könnte ich die
Zentren davon abhalten, mit anderen Zentren in Kontakt zu treten.
Denn dazu seien sie ja schließlich da gewesen: Knotenpunkte eines
globalen telepathischen Netzwerks.
Ich erzählte dann auch davon, dass ich ausgelöst durch meine
Webseite weltpolizei.de meinte, den Irak-Krieg verhindern zu
können – oder vielmehr zu müssen. Dass ich einen Friedensmarsch
anfangen wollte. Und dass ich dachte, das Fernsehen würde dem auf
die Sprünge helfen. An dem Tag, an dem ich losgehen wollte, sei ein
Licht vor mir erschienen, das ich für die katholische Kirche, oder
sogar für einen gerade gestorbenen Johannes Paul II gehalten hatte.
Später dann hätte ich eine unglaubliche Energie empfangen, eine
Kreissäge aus Licht und Energie habe sich in und um meinen Kopf
gedreht. In der Erinnerung stelle sich das mal wie eine Erleuchtung

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Dies zum 8. 3. 2022, 19:30 CEWT hier neu

dar, mal wie sprichwörtliches Durchknallen auf Grund des Stresses,
der mit dem Aufbruch zum Marsch verbundenen war.
Dass ich dann im Krankenhaus gelandet sei.
Heise ließ mich einfach weitererzählen.
Dass ich dann entlassen wurde und ich dann so richtig Stimmen
hörte.
Die erste Stimme hätte sich als ‘französischer UN-Botschafter‘
vorgestellt und mir erklärt, dass sie mir jetzt das Telepathieren
beibringen würden. Dann sei es mir peinlich gewesen auf die Toilette
zu gehen, da ich mich beobachtet fühlte.
Der Lehrer von den Vereinten Nationen – ich würde jetzt einfach so
erzählen wie ich es damals erlebt habe, sagte ich – der Lehrer hätte
dann gesagt, das sei kein Problem. Das würde allen so gehen, zum
Beispiel auch den Saudis, die im Übrigen – gerade telepathisch – viel
mehr Humor hätten, als man sich das denken würde.
Ich erinnerte mich dann sehr lebhaft daran, wie das bei dieser
ersten Psychose gewesen sei und bemerkte, dass ich das schon ganz
vergessen hatte. Das Telepathieren.
Das Telepathieren müsse man sich anders vorstellen als das
einfache Sprechen. Dass dabei vieles über Bilder transportiert würde,
es eine eigene Bildersprache gäbe. Dass es verschiedene Lager gäbe,
die sich untereinander mit Bildern, ja, fast bekriegen würden. Dass
dieser Bilderkrieg aber sehr unterhaltsam, und vor allem
wunderschön, sei. Meist.

Chris war ein alter Haudegen, euphemistisch gesprochen. Die
Sympathie für CIA-Haudegen hatte jedoch für den Kenner immer
etwas gespaltenes. Ingmar und Betty waren geübte Kenner. Basti ein
ungeübter. Bart ging auch vom schlimmsten aus. Mathilda und vor
allem Sporty malten sich jedoch wohl nicht aus, was für eine Scheiße
Chris schon mitgemacht hatte, in seinen geschätzten
fünfundzwanzig bis dreißig Dienstjahren, falls er als junger
Erwachsener seinen Dienst angetreten hatte.

Er tat aber überraschender Weise nicht geheimnisvoll. Es war noch
nicht mal klar, ob es da eine Grenze gab in dem, was er den sechs
mitteilte. Chris stand Rede und Antwort. Er stand wirklich, und zwar
an die Wand gelehnt.
Er bat darum, dass alle die Fragen stellten, die sich ihnen auftun.
„Um zu sehen, wo man sich befindet“, sagte Chris. Die sechs folgten
der Aufforderung.
Wie viele Dienste die Daten erhalten würden, ob die
Strahlenkanonen auf Drohnen geschnallt werden könnten, ob das
stimme, dass ihre ZP konditioniert sei, ob die ZP wichtig sei, ob die
ZP schon 2003 beeinfusst wurde, ob sie die alten Akten mal sehen
dürften, ob sich schon Leute wegen der Konditionierung das Leben
genommen hätten und ob die ZP auch ohne die Strahlenkanonen
psychotisch wäre. Es fehlte auch nicht die Frage, die wohl nicht ganz
ernst gemeint war, ob es in Area 51 Aliens gebe.
„Mit der Area 51 kenne ich mich nun gar nicht aus.“
Ziemlich unter Stress lachten erst mal alle sieben.
„Lasst uns vor allen Dingen Longolius nicht aus den Augen
verlieren. Was macht er denn gerade?“
Die ZP lag am Wegesrand in der Sonne auf einer Bank und schlief.
„Ok, es sei ihm gegönnt.“ Chris war für seine ganze Erscheinung
unerwartbar locker. „Dass der Typ noch lebt ist übrigens ein
Wunder.“
Sporty erzählte, dass sie ihn nur noch „Typ“ nennen würden. Chris
fand das nicht besonders witzig und schlug vor, ihn Felix zu nennen.
Betty hielt es für interessanter zu fragen, warum es so
unwahrscheinlich sei, dass Typ noch lebte.
„Felix hat 2003, nachdem sein Friedensmarsch gescheitert war, in
hohen Kreisen einigen Wirbel verursacht. Er war damals schon im
Krankenhaus. Der Krieg war eigentlich nicht mehr abzuwenden. Da
hat unsere Weltpolizei seinen Freund in Israel angerufen.“ Chris
lehnte sich von einem Bein auf das andere. „Er hatte vorher eine
Meldung in einer Zeitung gelesen, dass alle Auslandsgespräche von
und nach Israel abgehört wurden. Er schlug in dem Telefonat vor,
dass man Saddam Hussein anbieten müsse, das UN-Hauptquartier

nach Bagdad zu verlegen. Punkt. Die Nachricht wurde wirklich
abgefangen “
Chris setzte sich hin.
„Der Freund aus Israel hat denkwürdiger Weise geantwortet, dass
dieses Hauptquartier wohl mit vielen Bombenanschlägen zu rechnen
hätte. Und er war nicht der letzte, der den Vorschlag mit diesen
Worten abgelehnt hatte. Der BND und der Mossad hatten
Aufnahmen von dem Gespräch und mindestens eine von beiden
Seiten, hat das Rad weiter gedreht. Die Idee wurde jedenfalls
schließlich beim Weltsicherheitsrats besprochen.“
„Ein Vorschlag von Typ – und nicht irgendeiner – wurde damals im
Weltsicherheitsrat besprochen?“ fragte Betty verwundert.
„Nicht ganz ..“ Chris hatte noch Erklärungsspielraum. „.. nicht in
dem Raum, den man von den Fotos kennt und schon gar nicht
öffentlich. Es gibt wohl noch nicht einmal Aufzeichnungen davon.
Und die wenigsten wissen, dass seine Idee damals so eine Karriere
gemacht hat. Dass das beim Weltsicherheitsrat besprochen wurde,
wisst ihr jetzt, weiß ich und wissen die, die damals beteiligt waren.
Euer Kanzler von damals stand zum Beispiel voll dahinter und hat die
deutsche Kriegsbeteiligung abgelehnt, weil die Lösung seiner
Meinung nach, nicht zuletzt durch Felix Vorschlag, vorlag. Aber das
sind für die meisten, die überhaupt etwas davon wissen, nur
Gerüchte.“
„Ok, also dass ich das richtig verstehe. Es gab damals hohe Tiere,
die dafür waren, das UN-Hauptquartier nach Bagdad zu verlegen?“
fragte Sporty.
„Erst mal ging es darum, Saddam das vorzuschlagen. Ein
verwegener Plan. Hätte er zugestimmt, wäre seine Macht durch all
die Kosmopolitik, die in seiner Hauptstadt Einzug gehalten hätte, von
innen zersetzt worden. So zumindest die Idee. Hätte er es abgelehnt,
hätte er sich einem Entschluss der Vereinten Nationen widersetzt, sie
bei sich aufzunehmen, hätten die Deutschen, und nicht nur die, beim
Einmarsch mitgemacht. Aber, das so konkret zu betrachten, wird der
Sache nicht gerecht. Es ging um die Bereitschaft, den Krieg
überhaupt zu verhindern. Und Schröder wollte ihn um jeden Preis

verhindern.“
Das Gesagte sackte in der folgenden Stille und die sieben guckten
sich traurig an.
Ja, es kam dann anders, wie wir alle wissen und wir werden nie
heraus fnden, was wäre wenn.“
„Moment mal ..“ Bart verstand noch etwas. „.. dann ist die Anzeige
vielleicht gar nicht so unsinnig, wie wir dachten und Felix sollte
damals wirklich in den Selbstmord getrieben werden?“
„Es gab einen geheimen Auftrag, Felix telepathisch vom Selbstmord
.. zu überzeugen.“
„Telepathisch?“ Mathilda hatte während ihres Studiums wirklich
anderes gelernt.
„Der Mensch hat da ein paar Fähigkeiten, über die man nicht in der
Zeitung liest. Ihr müsst wissen, dass mir klar ist, dass ihr das nicht auf
Anhieb glauben könnt ..“
„Ich schon!“ warf Basti ein.
„Ok, Basti, Du schon. Aber .. also, ich will versuchen es euch zu
erklären. In manchen Gegenden sind es die religiösen Strukturen, in
der westlichen Welt sind es politisch verfasste Strukturen, die, .. stellt
euch einen Affenfelsen im Zoo vor.“ Chris stand wieder auf und
gestikulierte ein wenig, während er einen Schritt auf die sechs zu
ging.
„Auf dem Affenfelsen gibt es, oder es entsteht, eine Hierarchie
zwischen den Bewohnern. Und diese Hierarchie basiert nicht nur
darauf, dass die Tiere im Kampf gewinnen oder unterliegen, sondern
es gibt eine unbewusste Kraft auf dem Felsen, die nicht leicht zu
verstehen ist. Ich will es mal so sagen: Auch ohne auf die Schnauze
zu bekommen, wüsste der kleine Affe die meiste Zeit über, wer sein
Vorgesetzter ist.“
„Aha aha aha.“ Basti teilte sein Verständnis mit.
„Ja, so ist es bei den Affen. Und wir Menschen wissen um diese
Kraft. Und weil unsere Städte so etwas wie riesige Affenfelsen sind,
entsteht dort so viel von der Kraft, dass man sie gezielt einsetzen
kann. Und wenn man weiß wie, kann man damit Gedanken
transportieren. Aber wie es aussieht, wissen nur wenige Menschen

##
Vier Weitere Seiten neu, 20220309 2:00 CEWT

davon. Und die, die es wissen, gehören entweder zu den
Verschwörungstheoretikern oder sind Imame, Pastoren, Priester,
Rabbiner, Mönche – Christen, Muslime, Juden, Buddhisten,
Hinduisten oder aber sind eben ..“ Chris ließ eine Pause. „.. Teil des
Staats, zum Beispiel als Nachrichtendienstler.“
Chris machte eine längere Pause, redete aber weiter.
„Mit diesem Wissen zurück zu Felix. Der Typ ..“ Chris lächelte und
wies mit seinem Blick auf das Kamerabild der Drohne, die ihn
schlafend auf der Parkbank zeigte. „.. wurde dann also einigen Leuten
ziemlich lästig.“
„Und sollte verschwinden.“ Ingmar wusste wo‘s langgeht.
„Und sollte verschwinden. Naja, nicht sofort. Die ersten die an ihm
dran waren, waren welche von den Unterstützern seiner Idee. Die
haben sich ihm als UN-Mitarbeiter vorgestellt, und wollten ihm das
Telepathieren beibringen. Ein ähnlich verwegener Plan, wie das UN-
Hauptquartier nach Bagdad zu verlegen. Weil, wie ihr alle wisst .. Felix
war ein Kiffer und Querulant zu der Zeit. Letzteres ist er ja auch
heute noch. Und Manieren hatte ihm auch noch nie jemand
beigebracht. Das ganze war also ein schwieriges Unterfangen. Hinzu
kam, dass er in einer echt beschissenen sozialen Situation war. Dem
konnte man telepathisch noch so viele Perlen hinwerfen – aber auf
Grund der Realität waren sie alle für die Säue. Sagt man doch so,
oder?“
„Ja, du sprichst überhaupt sehr gut deutsch. Wo hast du das
eigentlich gelernt?“ Betty merkte selbst, dass sie vom Thema abkam,
aber Chris erklärte sich:
„Ich war in Rammstein stationiert. Ok?“
Betty nickte.
„Ok, schließlich wurde bei meinem Dienst das jemanden-in-den-
Selbstmord-treiben-Programm abgerufen.“
„Weil?“ fragte Basti.
„Weil das aussichtslos war, ihm das Telepathieren beizubringen, er
aber auf der anderen Seite zu viel wusste. Weil der Bagdad-Vorschlag
manche zur Weißglut brachte. Weil das einfach die Refexe unseres
Apparats sind.“

„Aber man hätte ihm das Telepathieren nicht zeigen müssen.“ gab
Basti zu bedenken.
„Einige Leute hegten den Plan, die Bagdad-Idee öffentlich zu
machen. Und die Telepathie gleich mit. Da war was los, das kann ich
euch sagen.“
„Mannometer!“ Mathilda hatte einiges zu verkraften.
„Felix sollte eine Person des öffentlichen Lebens werden. Und zwar
als Telepath.“
„Guckt mal, er ist aufgewacht!“ Sporty hatte es als erster gesehen.
Felix war aufgestanden und weitergegangen.
„Hach, die hätten ihn ruhig noch schlafen lassen können.“ ärgerte
sich Chris.
„Also stimmt das mit der Konditionierung?“ wollten alle wissen,
aber Mathilda hatte es gesagt.
„Konditionierung?“ fragte Chris, weil er den Begriff nicht als erstes
mit dem, was richtiger Weise gemeint war, in Verbindung brachte.
„Na, dass ihr ihn mit irgendsolchen Strahlenkanonen manipuliert?“
formulierte Mathilda nochmal um.
„Ja, das stimmt. Es gibt neben euren Kamera-Drohnen noch welche
von meinen Leuten.“
„Aber, das müsste unsere Luftüberwachung doch sehen.“ Basti
zweifelte an der Plausibilität der Aussage.
„Das sehen die. Ihr seid junge Mitarbeiter eines wohlorganisierten
Nachrichtendienstes. Da sagt man euch natürlich nicht gleich alles.
Aber jetzt bin ich ja da.“
„Warum eigentlich?“ wollte Ingmar verständlicher Weise wissen.
„Nehmt‘s nicht zu persönlich. Ihr habt dieses Projekt weil ihr gut
seid ..“
„Aber nicht die Besten!“ Mathilda und Sporty hatten einen
Gedanken.
Chris Frage, was sie wohl meinen würden, wurde aber mit
Schweigen bedacht, worauf er wieder anknüpfte. „Also ihr habt das
Projekt weil ihr gut seid, aber ich bin seinetwegen hier.“
„Verstehen wir.“ sagte Ingmar stellvertretend.
„Also, was habt ihr euch denn da ausgedacht mit euren

Strahlenkanonen?“
Basti nahm die Bürde auf sich, etwas zu erläutern, das der Fragende
vermutlich viel besser wusste: „Naja, da kam eins zum anderen.
Unterm Strich gehen wir inzwischen davon aus, dass er
möglicherweise komplett unter der Kontrolle eurer Drohnenpiloten
steht. Ich denke ..“ Er guckte bedeutsam in die Runde, weil er einen
neuen Gedanken, über den er sich noch nicht mit den anderen fünf
ausgetauscht hatte, sagen wollte. „.. dass ihr ihm auch Stimmen aufs
Ohr zaubern könnt. Also jetzt mit den Drohnen. Ich mein‘, nicht
telepathisch, das hab ich auch noch nicht ganz verstanden, das mit
dem Affenfelsen.“
„Ok, ihr habt da einen ziemlich rasanten Wissenssprung gemacht
in den letzten 48 Stunden. Haben euch eure Vorgesetzten eigentlich
auf euren neuen Status vorbereitet?“
Zwei von sechs jungen Nachrichtendienstlern bliesen die Backen
auf, die anderen dachten nur entsprechendes.
„Naja, nevermind. Also es gibt beides, Stimmen von den Drohnen
und Telepathie. Das müsst ihr mir soweit einfach mal glauben. Und
den Durchschnittsmensch können wir wirklich ziemlich willenlos
machen, wenn auch mit viel Aufwand.“
Chris zeigte auf Felix: „Aber er sollte schon mal ziemlich aufwendig
in den Suizid getrieben werden. Wer einmal überstanden hat, dass
ihm eingeredet wird, er müsse durch Selbstmord einen Atomkrieg
verhindern, ist danach schwer zu handlen.“ Chris setzte sich wieder.
Jemand von den sechsen fragte das offensichtliche: „Bitte was?!“

Da ich plötzlich ein bisschen Gedankenverloren war, brachte
Professor Heise sich ein: „Sie beschreiben eine telepathische
Bilderwelt. Kann man sich Entsprechendes auch für Gefühle
vorstellen?“
„Oh ja!“ Heises Einwürfe lösten immer mehr Wohlbefnden in mir
aus. „Gefühle auch ganz stark. Die Grenzen verschwimmen in diesem
Zustand. Das hat auch immer etwas gefährliches, muss ich heute

sagen. Denn man ist nicht immer die stärkste Kraft im eigenen Haus,
wenn Sie verstehen was ich meine. In dieser Beeinfussung von
außen – meine Erinnerung bietet mir heute einen ganz eigenen
Zugang zu dieser Welt – in dieser Beeinfussung, ob es sie nun
wirklich gibt, muss ich natürlich Ihnen überlassen, steckt auch schon
der Grund, warum so eine Psychose oft im Wahn endet. Sie merken,
dass ich zwischen dem Stimmen hören und einem Wahn
unterscheide. Oh oh, es könnte sein, dass ich gleich wieder ziemlich
schwimme.“
Aber heute machte es mir nichts aus, es war wie ein Spiel.
„Die bloße Tatsache, dass das Denken beim Telepathieren so offen
für Beeinfussungen ist, ist das Einfallstor für einen Wahn. Erst
kommt die Telepathie und dann, oh ja, ich schwimme, im Wahn hört
der Betroffene auch Stimmen ..“
Ich wurde immer lauter und sprach staccato.
„.. aber das ist dann seine eigene innere Stimme, die andere
Telepathen imitiert. Und dann zusätzlich die echte Telepathie. Da
wird es ungesund. Denn die Telepathen wollen keine Irren in ihren
Reihen.“ Heise musste mich bremsen, allerdings wäre mir auch nicht
mehr eingefallen.
Er bat mich wieder da anzuknüpfen, wo ich aufgehört hatte, von
meinen Erinnerungen zu berichten.
„Die Stimme hat mir also ein paar Tage, vielleicht auch ein paar
Wochen, Unterricht im Telepathieren gegeben. Dann wurde es
hektisch. Es hieß ich sei nicht unterrichtbar. Ich würde jetzt eine Art
Klicken auf die Ohren zur Hilfe bekommen. Einmal klicken bedeute
‘Ja‘, zweimal klicken bedeute ‘Nein‘. Und dann hat mich die Stimme
gefragt, ob es da eine Frau in meinem Leben gäbe.“

„Und dann wurde er gefragt, ob es da eine Frau in seinem Leben
gäbe. Er hat echt lange gezögert, aber dann erzählte er von einer Tine,
mit der er zusammen zur Schule gegangen sei. Und das wurde dann
das Thema, mit dem er in den Suizid getrieben werden sollte.

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Diese 4 hier neuen Seiten veröffentliche ich am 9. 3. 2022 um ca. 4:45 CEWT

„Ich hatte vorhin schon davon erzählt, wie ich mir einen Kontakt zu
der Bekannten herbei fantasiert hatte.“ Ich wurde wohl rot im
Gesicht. „Naja, und dann ging das Schlag auf Schlag. Dass sie mich
auch mögen würde, hat die Stimme gesagt. Mir wurde vorgespielt,
ich würde mit ihrem Vater telepathieren. Wie altbacken, fällt mir
gerade auf. Ich dachte sogar, es hätte eine telepathische Verlobung
gegeben. Dann wurde es fies.“

„Ihm wurde vorgespielt, dass es einen Hochzeitstermin gäbe und
ganz nebenbei, dass es sich bei Tine um eine geheime französische
Prinzessin handelte.“
„Das hat er aber nicht geglaubt?“ wollte Betty wissen.
„Er hatte keine Chance, glaubt mir. CIA-Telepathen sind ziemlich
kompetent, wenn es um so etwas geht. Auf jeden Fall ..“

„Die Prinzessin die ich plötzlich heiraten sollte wurde dann total
hysterisch. Das war ein Horrortrip. Sie wolle vor der Hochzeit alles
erleben, was ich erlebt habe und noch so richtig auf die Kacke hauen,
wenn Sie verstehen, was ich meine. Ich dachte dann, die Stimmen
sagen mir wo sie ist. Ich habe sie ja fast nie gesehen seit der Schule.
Und dass ich sie fnden solle, hieß es auch. Sie sei jetzt sehr betrunken.“

„Schließlich wurde Felix eingeredet, dass sie mit ihrem Bruder
geschlafen habe. Felix schlug daraufhin vor, die Pille danach zu
nehmen. Ein paar Minuten später bekam er als Rückmeldung, sie

habe eine Rasierklinge geschluckt. Und dass sie später gestorben sei.
Der König mache ihn dafür verantwortlich.“

„Ich hatte die Wahl, entweder ich bringe mich um, oder der König
von Frankreich würde aus Wut eine Atombombe auf Eimsbüttel
werfen lassen.“
„Das haben Sie aber nicht wirklich geglaubt?“ wollte jetzt eine der
Studentinnen wissen.

„Er hatte wirklich keine Chance. Sein Bewusstsein war nicht mehr
unter seiner Kontrolle. Man konnte mit ihm machen, was man wollte.
Man kann wohl auch sagen, dass er geistig ziemlich verwahrlost war.
Und man darf nicht vergessen, dass er nach dem Krankenhaus mit
den Medikamenten aufgehört hatte. Die hätten ihn davor bewahrt.“
„Chris, ich meine ..“ Mathilda zögerte. „.. es scheint mir auf der Hand
zu liegen. Sie wissen so viel darüber. Waren Sie der Telepath.“
„Ich hab‘s befürchtet. Vor Ihnen kann man wirklich nichts
verheimlichen. Ja.“ Chris presste die Lippen zusammen. „Das ist ein
dunkles Kapitel. Ich sollte Felix in den Selbstmord treiben.“
Nachdenklich und abwesend mit abwesenden Augen bewegte er
den Kopf in leichtem Nicken vor und zurück. Dann sprach er wieder
mit Leben in den Augen weiter: „Aber der war nicht kleinzukriegen.
Zum Glück!“

„Alles wurde dann zu einer Geisterwelt. Ich habe dann Hitler vor
mir gesehen. Die Stimme sagte, Hitler sei das erste mal seit seinem
Tod aus der Hölle gekommen, um sich das Spektakel anzusehen. Ich
wurde gefragt, ob Hitler getötet werden solle. Ich hätte die Wahl.“

Er hat dann allen Ernstes geantwortet, dass er gegen die
Todesstrafe sei. Und außerdem sei Hitler ja schon tot. Der Mann hat
sich einfach nicht von unserer Todesstimmung anstecken lassen.“
Chris lächelte verschmitzt. „Was macht er übrigens? Mal sehen ..“
Chris setzte sich an den Rechner, der gerade das Bild für die
Leinwand lieferte und zoomte auf Felix, der einfach weiter zu gehen
schien.
„Dann habe ich ihm vorgeworfen, dass er Hitler nicht getötet hat.
Und auf ihn eingeredet, dass der König gleich die Atombombe
abwerfen lässt, wenn er sich nicht endlich das Leben nimmt. Aber
immer, wenn er einen Versuch unternahm, habe ich kurz vorm Ende
abgebrochen. Ich konnte es irgendwie nicht zulassen. Obwohl – oder
gerade weil – ich damals nichts von seiner Vergangenheit wusste. Ich
hatte einfach den Auftrag, ihn umzubringen. Dass er bloß dieser
arme Irre war, der seine Wohnung gekündigt, sein Leben aufgegeben
hatte, um den Krieg zu verhindern und das mit dem
Weltsicherheitsrat, das habe ich damals nicht gewusst. Dann bin ich
übergelaufen.“
„Du bist also gar nicht mehr beim CIA?“ hatte Betty raus gehört.
„Das kann man so auch wieder nicht sagen. Es gibt da immer
verschiedene Lager und ich bin sozusagen jetzt bei den
Außenseitern. Ein verlorener Sohn. Jedenfalls sollte ich in den
nächsten 100 Jahren nicht mehr in die USA reisen.“ Chris ging in die
Teeküche. Die sechs anderen guckten sich verwundert an.
„Na, das ist ja mal ‘ne Geschichte. Ein CIA-Telepath also .. der Felix
umbringen sollte .. und uns jetzt helfen soll, ihn zu beschützen.“
fasste Betty zusammen.
„Ihr glaubt das doch nicht alles?“ gab Mathilda zu bedenken.
„Vor vier Tagen habe ich noch die russische Botschaft observiert
und Entschuldigungsgeschenke an Ehefrauen dokumentiert und jetzt
..“ Bart machte eine kleine Handbewegung um auf die Situation zu
zeigen. „.. all das. Warum nicht auch Telepathie?“
„Naja, er wird das nicht erzählen, wenn er uns da nicht auch was

zeigen kann. Warten wir ab.“ schlug Ingmar vor.
Chris trank Apfeltee mit Milch. Warum sollten sie nicht auch den
Rest glauben.

„Und wie ging es weiter?“ wollte Heise ernsthaft wissen. Ich durfte
also weitererzählen, was es auch immer bringen sollte.
„Die Stimmen hatten mir mitgeteilt, dass alle meine Nachbarn
wollen, dass ich mich umbringe. Das ist natürlich total unrealistisch,
aber in dem Moment war das Fakt. Dass mich niemand darauf
ansprach, dass meinetwegen gerade eine Atombombe auf Hamburg
zu fiegt, erklärte ich mir auch irgendwie. Nach mehreren Ansätzen
in der Wohnung klingelte ich also bei der Nachbarin, bat um Gift.
Und die rief dann die Polizei und den Krankenwagen. Dann ging‘s
erst mal wieder ins Krankenhaus.“
„Wo Sie auf unsere Kollegen trafen. Was haben Sie in der Situation
gefühlt?“
„Naja, was soll ich gefühlt haben. Ich dachte, die Station würde
jeden Moment von französischen Elitesoldaten gestürmt werden, die
mich umbringen wollen, also, Angst? Panik?“
„Verständlich.“
„Ja, und die ganze Geschichte habe ich auch niemandem erzählt.
Eine Woche später oder so hat mich dann ein Freund besucht. Den
hab ich gefragt, ob Tine noch lebt. Zum Glück hatte ich gesponnen.“
„Bei Herrn Longolius kann man gut sehen, dass die Inhalte einer
Psychose gut erinnert werden können.“
„Oh ja! Es hängt dann von meiner Stimmung ab, ob ich es beim
Erzählen erlebe, als spräche ich über mich, oder über jemand
anderen. Heute scheint es mir als spräche ich über mich. Natürlich
habe ich mich mit der Atombombe geirrt. Aber diese Atombombe in
ihrer Wahrhaftigkeit abzulehnen ist das eine. Die ganze Psychose
abzulehnen ist da weitaus schwieriger.“
„In dieser Situation, in der Sie uns davon erzählen ..“ sagte Heise
dann weise klingend, „.. setzen Sie sich dem auch ein Stück weit aus,

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Weitere Seiten die hier erscheinen am 9. 3. 2022, 10:30h CEWT

weiter als Sie müssten. Aber Herr Longolius ..“ Er sprach jetzt mehr zu
den Seminarteilnehmern. „.. verspürt den Drang, den Wahn nicht zu
begraben. Er würde die Psychose am liebsten mit der Realität in
Einklang bringen. Durch die Beschäftigung mit dem Wahn. Was
halten Sie davon?“ fragte er die Studenten.
„Vielleicht sollte er das einfach alles hinter sich lassen. Was bringt
es, da immer wieder drüber nachzudenken?“ Der Student sprach
jetzt mich an: „Ich meine, so wie Sie das erzählen kommt Ihnen das
doch auch unrealistisch vor, oder?“
„Ich denke halt, dass mir da jemand ein Rätsel aufgegeben hat. Also
jemand anderes. Dass ich mich auch irre, wenn ich das alles nur für
Auswüchse einer lebhaften Fantasie halte.“

Es war jetzt früher Nachmittag. Ingmar und Mathilda kündigten an
sich hinzulegen, nachdem Chris die dringendsten Fragen zur
Telepathie beantwortet hätte.
Obwohl Chris vor knapp acht Jahren übergelaufen war, hatte der
BND bis vor kurzem kein Telepathie-Programm, noch nicht einmal
ein inoffzielles inoffzielles. Als Tatsache zu unglaubwürdig, aber
auch in der Umsetzung zu lächerlich, schien es den
Entscheidungsträgern. Doch Chris schaffte über die Zeit Beweise ran
und überzeugte ein paar ehemalige Kollegen, mit den gleichen
Fähigkeiten, der CIA auch den Rücken zu kehren.
Inzwischen sei das telepathische Netz in Europa in einigen Teilen
bereits in der Hand der dort beheimateten Dienste. Denn in den
letzten zwei Jahren seien viele Agenten für die Tätigkeit als
Telepathie-Knoten ausgebildet worden, zusätzlich seien aber auch
knapp 20 buddhistische Mönche angeworben worden. Und seit Felix
Anzeige gegen Gott brodele die Gerüchteküche was das ganze
Thema betrifft. Was natürlich auch vom BND forciert wird. Nicht auf
der Mailingliste zu posten war also mehr Tarnung als Humorlosigkeit.
Auch bezüglich der Strahlenkanonen, Chris nannte sie „Manrays“,
ging es voran. Das Team würde im Laufe des Nachmittags einen

Terminal erhalten, mit dem es Zugriff auf die Daten der Manray-
Drohne erhalten würde. Aber nur zur Überwachung. An die
Steuerung würde man sie ‘gewiss nicht‘ ran lassen. Es sei ohnehin
schwierig gewesen, vom CIA überhaupt dieses Zugeständnis zu
erhalten.
Von Chris Anwesenheit wusste man dort offziell nichts.
Chef erklärte übereinstimmend mit Chris, dass bei der CIA gerade
Befürworter der Idee mit dem UN-Hauptquartier in Bagdad, eine Art
Revolution zu starten versuchten. Also, ‘wirklich umgesetzt‘ würde
die Idee natürlich nicht mehr. Aber der kreative Umgang mit den
drängenden globalen Krisen habe momentan genug Sympathisanten,
um weitgehend unbemerkt von den großen Schnittstellen der Macht,
oder sogar teilweise mit ihrer Unterstützung, solche Operationen
durchzuziehen. Wie diese von Felix angestoßene, deren Ziele
allerdings noch nicht klar ausformuliert waren.
Inzwischen ging es wohl darum, dass mindestens 50
Geheimdienste zumindest spielerisch darüber nachdachten, gegen
Gott zu ermitteln. Das war jedoch nur ein interessanter Nebeneffekt.
Das eigentlich besondere war, dass die Dienste überhaupt etwas
gemeinsam machten. Man wusste, dass die Türken die Nachrichten
der Liste an die Jordanier weitergaben und die an die Libanesen.
Portugal brachte über Brasilien Südamerika ins Spiel. Russland war
auf der Liste und damit China. Und Südafrika versorgte den
afrikanischen Kontinent mit den meist sehr lustigen Nachrichten.
Etwa jener kleinen Diskussion, bei der es um die Zukunft der
Schuldunfähigkeit ging, welche doch auch eine ernsthafte
Komponenten hatte.
Wenn sich in Zukunft jeder darauf berufen könne, Gott habe
einem eingeredet, Verbrechen zu begehen, würde sich diesbezüglich
einiges ändern. Schon wurde verbrannte Erde betreten.
Die kessen Dänen machten etwa Scherze, dass die religiösen
Attentäter der Vergangenheit natürlich zu entschuldigen seien für
Anschläge, die dann nachweislich Gott eingeredet hatte. Nach einer
Verurteilung Gottes, sei das aber ja zum Glück nicht mehr so einfach,
sich auf so etwas zu berufen, weil dann ja alle wüssten, dass man sich

mit einem Verbrecher einlasse.
Prompt bildete sich ein Lager gläubiger Geheimdienstmitarbeiter,
welches die Fahne der menschlichen Verantwortung hoch hielt, was
den Scherzkeksen aus Dänemark, und dann vor allem Frankreich, ein
wenig widersprüchlich zu sein schien, da Gott doch nicht allmächtig
und unverantwortlich zu gleich sein könne. Es wurde in jedem Fall
viel diskutiert.
Dass beim Auslöser der Diskussion, dem Versuch, Felix in den
Selbstmord zu treiben, die CIA den Part Gottes übernommen hatte,
tauchte auf der Liste bislang nicht auf.

„Was für ein Rätsel könnte es sein, das Sie da lösen müssen?“ fragte
Heise. „Warum Sie Stimmen hören und die meisten nicht?“
„Ja, das könnte eine Frage sein. Aber ..“ Ich machte eine Denkpause,
obwohl ich schon wusste, was ich sagen wollte. „.. aber mir fällt noch
etwas ein: Ich, also wir alle, leben in der bemerkenswertesten Zeit,
die es bislang auf diesem Planeten gab. Die Globalisierung fordert
ein, dass sich die Gesellschaft verändert. Seit der Erfndung der
Atombombe sind die Gefahren global. Die Medien sind seit der
Erfndung des Internet global. Warum lebe ich gerade heute?“
„Spielt da auch Ihre Webseite eine Rolle. Also, dass Sie sich diese
großen Fragen deshalb stellen? Ich weiß jetzt gar nicht ..“ Heise
sprach die Seminarteilnehmer an, „.. ob wir das erwähnt hatten. Herr
Longolius ist ein heimlicher global player, er ist nämlich Inhaber der
Webseite Weltpolizei.“
„Punkt de. Ja das stimmt.“
Die meisten Studenten lächelten.
„Ich denke aber eigentlich, dass das nur mich verrückt macht. Auch
wenn die Reaktionen, die ich erhalte, wenn ich von der Webseite
erzähle, immer etwas ganz besonderes sind.“
„Denken Sie, Sie sind die Weltpolizei?“ fragte Heise jetzt.
„Neeiiin. Aber ich mache mir viele Gedanken über den Begriff.
Wahrscheinlich habe ich da eine recht andere Perspektive drauf, als

die meisten. Für die meisten ist das ja immer ‘Weltpolizei USA‘. Das
hat mich 2000, nachdem ich die registriert habe, auch beschäftigt.
Naja, auf jeden Fall bin ich einer der ersten der es erfährt, wenn es
irgendwann wirklich eine Weltpolizei gibt.“
„Ok, wir verstehen recht: Sie empfnden es so, als lebten Sie in
einer besonderen Zeit. Und Sie fragen sich, warum Sie gerade jetzt
leben. Glauben Sie, dass Ihnen das Schicksal eine besondere Rolle
zugedacht hat?“
„Schicksal? Prff, das ist ein großer Begriff. Ich habe schlechte
Erfahrungen gemacht damit, mit dem Fluss dessen, was sich einfach
so zu ergeben scheint, zu gehen. Aber ich denke, für angehende
Psychiater ist ein Typ, der so eine Webseite und eine Psychose hat,
eine Fundgrube der menschlichen Wirrungen!“
Ein Student setzte gerade an, darauf einzugehen, da fiel mir noch
etwas ein: „Entschuldigung, aber jetzt da ich darüber nachdenke, war
da schon etwas mit dem Begriff Weltpolizei und mir. Aber ich dachte
nicht, dass ich allein die Weltpolizei bin. Zum einen ging ich davon
aus, dass es im Universum Außerirdische gibt, deren Organisation
man mit Weltpolizei übersetzen würde. Und aber auch auf Erden
vermutete ich, dass sich so etwas wie ein globales Gewaltmonopol
bildete. Ach ja, genau, so war das ..“

Die ganzen Sachen von Felix wurden dann wieder mehr oder
weniger ordentlich in die Kartons gepackt und zur Seite gestellt.
Denn Michael und einer seiner Helfer schoben den Terminal für die
Manray-Kontrolle herein.
„Das ist ja ein dolles Ding!“ quiekste Mathilda.
Eigentlich war es einfach ein Computertisch mit einem Computer
auf der Bodenplatte und einem Monitor, Tastatur und Maus auf den
zwei versetzt übereinanderliegenden Tischfächen, aber die
Vorfreude, Teil einer technischen Revolution zu werden, schwappte
irgendwie über.
„Und damit kann man dolle Sachen machen!“ sagte Chris mit lustig

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Wieso? Yoghurt-Tee, das hat in Argentinien auch schon mal jemand gemacht. Neu hier am 9. 3. 2022, 15:52h CEWT

„Aber man hätte ihm das Telepathieren nicht zeigen müssen.“ gab
Basti zu bedenken.
„Einige Leute hegten den Plan, die Bagdad-Idee öffentlich zu
machen. Und die Telepathie gleich mit. Da war was los, das kann ich
euch sagen.“
„Mannometer!“ Mathilda hatte einiges zu verkraften.
„Felix sollte eine Person des öffentlichen Lebens werden. Und zwar
als Telepath.“
„Guckt mal, er ist aufgewacht!“ Sporty hatte es als erster gesehen.
Felix war aufgestanden und weitergegangen.
„Hach, die hätten ihn ruhig noch schlafen lassen können.“ ärgerte
sich Chris.
„Also stimmt das mit der Konditionierung?“ wollten alle wissen,
aber Mathilda hatte es gesagt.
„Konditionierung?“ fragte Chris, weil er den Begriff nicht als erstes
mit dem, was richtiger Weise gemeint war, in Verbindung brachte.
„Na, dass ihr ihn mit irgendsolchen Strahlenkanonen manipuliert?“
formulierte Mathilda nochmal um.
„Ja, das stimmt. Es gibt neben euren Kamera-Drohnen noch welche
von meinen Leuten.“
„Aber, das müsste unsere Luftüberwachung doch sehen.“ Basti
zweifelte an der Plausibilität der Aussage.
„Das sehen die. Ihr seid junge Mitarbeiter eines wohlorganisierten
Nachrichtendienstes. Da sagt man euch natürlich nicht gleich alles.
Aber jetzt bin ich ja da.“
„Warum eigentlich?“ wollte Ingmar verständlicher Weise wissen.
„Nehmt‘s nicht zu persönlich. Ihr habt dieses Projekt weil ihr gut
seid ..“
„Aber nicht die Besten!“ Mathilda und Sporty hatten einen
Gedanken.
Chris Frage, was sie wohl meinen würden, wurde aber mit
Schweigen bedacht, worauf er wieder anknüpfte. „Also ihr habt das
Projekt weil ihr gut seid, aber ich bin seinetwegen hier.“
„Verstehen wir.“ sagte Ingmar stellvertretend.
„Also, was habt ihr euch denn da ausgedacht mit euren

gespielter Begeisterung.
Michael war weniger begeistert. „Ach, scheiß Fremdgeräte. Also
eins will ich euch sagen! Das Ding hat einen VPN-Tunnel was-weiß-
ich wohin. In die USA oder ins Takatuka-Land. Und zwar über die
Netzwerk-Dose 1267. Wenn ihr den Terminal ans Hausnetz
anschließt, dann komme ich persönlich vorbei und drehe euch den
Hals um. Haben wir uns verstanden?“
„Ist angekommen.“ sagte Basti stellvertretend.
„Ok. Dann lasst mal sehen, was das Ding kann.“ Michael war
sichtlich neugierig, wurde aber von Chris erst mal gebremst.
„Haben Sie denn Sicherheitsstufe fünf?“ fragte er witzelnd.
„Ich mache die Sicherheitsstufen hier. Verdammt. Jetzt zeigt schon
her!“
„Also gut. Basti, dann schmeiß die Kiste mal an! Sagt man doch so,
oder?“
„Korrekt!“ bestätigte Basti und nachdem Michael den Terminal
verkabelt hat, schaltet er den Rechner ein. Das CIA-Logo erschien.
Dann eine Passwort-Aufforderung.
Chris setzte sich an den Rechner. „Lass mich mal ran.“ Er reckte die
Hände nach vorn, dass die Ärmel die Handgelenke frei machten und
legte konzentriert die Finger auf die Tastatur. „Meinen Zugang sollte
ich wohl besser nicht nehmen. Mal sehen ob der hier geht.“ Er hackte
etwas in die Tasten und drückte Enter. „Ok, wir sind drin!“
Auf dem Bildschirm erschienen zwei schematische Darstellungen
eines Menschen, eine von der Seite und eine von vorn. Daneben
allerlei Schaltfächen, die aber grau unterlegt waren. Am Oberkörper
und am Hinterkopf waren irgendwelche Aktivierungen zu erkennen.
Chris setzte an, mit dem eingefahrenen Kugelschreiber am
Bildschirm Dinge zu zeigen und gleichzeitig zu erklären:
„So, da wären wir. Das hier ist unser Felix. Die Kollegen bestrahlen
gerade seit 19 Stunden, wie ihr hier erkennen könnt, Felix
Oberkörper.“ Er zeigte auf ein kleines Fenster neben dem
Oberkörper. „Und zwar aktuell mit 391,64 Hertz, also einem schönen
G.“
„Das ist ein bisschen tiefer als ein G.“ berichtigte Bart.

„Ok, einem schönen Ton, etwas tiefer als ein G. Und zwar mit 6 ..“ er
nahm die Brille ab, um mehr zu sehen. „6,3 Dezibel. Jetzt wollen wir
mal sehen .. Basti, ruf doch mal das Tagesprotokoll auf, bitte.“
Basti suchte das gefragte raus und legte es auf die Leinwand.
„Ok, vergleichen wir mal. Als er mit den Keksen und dem Kaffee die
Raststätte verlässt, wurden die Manrays am Oberkörper auf 3 Dezibel
runter gefahren, weil?“ Chris fragte in die Runde.
„Weil es ihm da sowieso gut ging?“ vermutete Bart.
„Ja, das lasse ich gelten. Man könnte auch sagen, dass keine
Entscheidungen zu treffen waren und man ihn mal in Ruhe essen
ließ. Am Kopf hingegen wird er gleichzeitig mit Unterschall in H und
einem Ton, der etwas höher als ein D ist mit 6,2 beziehungsweise 3,7
Dezibel bestrahlt. Was soll das bringen?“
„Glücksgefühle! Zusammen mit dem Oberkörper ist das wie ein
Dur-Ton. Also ein klarer, fröhlicher Ton. Der Unterschall dürfte sich
irgendwie warm anfühlen.“ vermutete Bart jetzt.
„Ok, Leute. Viel Spaß noch, mir ist das zu unheimlich, außerdem
hab ich noch zu tun!“ verabschiedete sich Michael.
„Danke für deine Mühe!“
„Und er kriegt davon wirklich überhaupt nichts mit?“ wollte Betty
wissen.
„Nein, nichts. Aber er ist schlau. Der kommt da noch drauf.“
„Seit wann geht das denn so?“ fragte wieder Betty.
„Naja, ehrlich gesagt, gibt es einigermaßen einsetzbare Manray-
Geräte seit Ende der Neunziger. Damals konnte man die natürlich
noch nicht auf Drohnen spannen. Aber ich denke, Felix wurde
ziemlich genau am 24. Februar 2003 das erste Mal unter Beschuss
genommen, dem Tag an dem er seinen Friedensmarsch antreten
wollte.“
„Ich hab davon in den Akten gelesen!“ sagte Bart. „Einem Psychiater
hat er erzählt, dass an dem Tag ein Licht zu ihm geflogen sei, das er
für den Papst hielt. Und er dann entweder erleuchtet wurde, oder
etwas in seinem Hirn durchgeknallt ist. Und von Stimmen im Radio,
obwohl‘s ausgeschaltet war.“
Chris lächelte: „Hehe, nur dass wir das mit dem Licht wohl nicht
waren.“

„Erzählen Sie uns von dem Klicken und knacken, das Sie vorhin
andeuteten.“ bat mich jetzt Heise.
„Oh, also, wenn ich etwas überlege, dann habe ich, seit einem Tag
in 2003, recht häufg so ein Klicken im Ohr. Das meine Gedanken zu
kommentieren scheint. Das habe ich, seit der vermeintliche UN-
Botschafter sagte, ich sei nicht unterrichtbar. Einmal klicken
interpretiere ich dabei als ‘Ja‘ und zweimal hintereinander als ‘Nein‘.
Also das klickt dann so im Ohr. Oder in den Möbeln knackt es. Das ist
sehr verwirrend. Nicht zuletzt, weil es mich immer wieder an die
psychotischen Zeiten erinnert. Ich war mal bei der Ohrenärztin
deshalb, aber die konnte nichts feststellen. Seien sauber meine
Ohren.“
„Wann tritt das genau auf?“
„Eigentlich immer wenn ich beim Einschlafen bin. Aber auch
tagsüber. Gerade gestern überlegte ich, ob ich ein Brot in der Form
backen soll, oder auf dem Blech und ich dachte, wenn ich es auf dem
Blech backe, dann brennt es mir sicherlich an. Dann hatte ich ein
Klicken, und ich wusste eigentlich, der Tipp ist also, es nicht auf dem
Blech zu backen. Das ist dann tatsächlich etwas brauner geworden
und dann ärgere ich mich, dass ich dem Ratschlag nicht gefolgt bin.“
„Und ärgern Sie sich manchmal, wenn Sie einem dieser Ratschläge
doch folgen?“
„Dass ich mich dann geärgerte habe? Sie müssen wissen, dass es da
auch offensichtlich ironische Vorschläge gibt. Eigentlich taugt das
Klicken nur, um zu wissen, dass ich überhaupt gerade über etwas
nachdenke. Ich muss das nämlich dann immer noch interpretieren.
Sicher eine Vorstellung, an die Sie sich gewöhnen müssen, wenn Sie
mir in meinen Erzählungen zu folgen gedenken: die Außerirdischen
haben Humor und sind ironisch. Da! Haben Sie das gehört?“
Es war kurz ziemlich still im Seminarraum und ich meinte ein
Knacken an der Decke gehört zu haben.

##
Das ist neu hier seit 10. 3. 2022, 21:45h CEWT

Das mit der Telepathie hatte noch keiner so richtig verstanden, aber
es war inzwischen anschaulich, wie die Bestrahlung Felix Wanderung
beeinfusste. Offenbar war es Ziel der Drohnenpiloten, seine Kräfte
bis aufs Äußerste auszureizen, indem Pausen durch die Veränderung
seiner Empfndungen so weit wie möglich herausgezögert wurden.
Außerdem wurden die Pausen offensichtlich verkürzt. Chris erklärte,
dass ihm Kollegen gesagt haben, die so eine Drohne schon einmal
zur Hilfe hatten, die Bestrahlung wirke wie ein Aufputschmittel.
Auf der Mailingliste trudelten neue Nachrichten ein. Schweden
fragte sich, wer in einem Prozess gegen Gott eigentlich Richter sein
könnte. Den Polen wurde das jetzt doch zu bunt und sie verließen die
Liste. England antwortete auf die Nachricht der Schweden lapidar,
dass das der internationale Strafgerichtshof in Den Haag
übernehmen könne. Dann wäre auch gezeigt, dass dort nicht nur
afrikanische Diktatoren angeklagt würden.
Chris erklärte überraschender Weise, dass es einigermaßen normal
in seinen Augen war, dass man sich so unterhielt. Außer in Saudi-
Arabien und im Iran sei Religion in den Geheimdienstkreisen der
stabilen Staaten ziemlich außer Mode gekommen.
Felix hatte inzwischen etwa zwei Drittel des Wegs nach Lübeck
geschafft und trudelte in Bad Oldesloe ein. Er ging erst mal an einen
Geldautomaten und versuchte etwas abzuheben. Basti holte sein
Konto auf die Leinwand, welches allerdings zeigte, dass er nur 12
Cent Guthaben hatte.
„Das wird nichts.“ analysierte er den Vorgang.
„Ach, sieh einer an!“ Chris, der eine Banane essend am Terminal
saß, fiel etwas auf: „Sie ändern die Taktik. Basti, spul‘ mal ein wenig
zurück, bitte. Kurz nachdem er seine Pin eingegeben hat.“
Basti spulte zurück. Es wäre keinem aufgefallen, aber Typ fasst sich
gut erkennbar an den Hals, als hätte ihn eine Mücke gestochen. Chris
weiß mehr:
„Das war nicht etwa ein Mücke. Die fangen an ihn zu nerven. Guckt

mal hier ..“ er legte seine Banane neben die Tastatur und winkte die
anderen an den Terminal heran und zeigte auf etwas im
Bestrahlungsprotokoll. „.. seht ihr diesen kurzen Impuls?“
Die vier Anwesenden konnten es nicht übersehen. Für Felix Hals
wurde eine hochfrequente, über gut zwei Sekunden ansteigende
Bestrahlung angezeigt, die am Ende noch mal einen Sprung in der
Intensität machte.
„Das pikst oder wie?“
„Wie eine Mücke. Entweder den Kollegen ist langweilig, oder sie
wollen Felix mal zeigen, was sie so drauf haben. Oder uns.“
Als er dann durch eine Fußgängerzone ging, wurde er auf 50
Metern von noch drei pseudo-Mücken gestochen. Außerdem wurde
seine rechte Seite mit einem 440 Hertz A bei 8 Dezibel bestrahlt. Als
die Bestrahlung dann auf einen Schlag abgedreht wurde, drehte sich
Felix einmal im Kreis um seine Achse. Er wusste wohl gar nicht
warum.
„Er wird denken, er habe gedacht, dass da jemand hinter ihm steht.“
sagte Chris und schüttelte nur den Kopf, wie wenn ein guter Freund
auf einer Party die anderen Gäste mal wieder mit seinen Zaubertricks
zum Staunen brachte.
„Er dürfte einigermaßen genervt sein, ohne zu wissen, warum.“
meinte Chris. Dann beobachteten sie inzwischen wieder zu siebt, da
Ingmar und Mathilda gerade von ihrem Nickerchen kamen, wie Felix
einen Supermarkt betrat.

„Einmal hatte ich eine ganz interessante Idee, als ich auf einer
Wanderung verdammt hungrig war, aber kein Geld hatte. Ich weiß
gar nicht mehr, ob der Tipp dazu vom Stimmen hören kam. Das war
nämlich sehr intensiv damals. Auf jeden Fall. Ich ging in einen
Supermarkt und nahm mir ein Brot und Aufstrich. Dann ging ich zu
einer Angestellten und sagte, ich würde jetzt Mundraub begehen. Sie
möge gern mit meinem Handy bei der Polizei anrufen, aber ich
müsste jetzt unbedingt etwas essen.“


„Die Kassiererin ruft allen ernstes bei der Polizei an.“ Sporty staunte
nicht schlecht.
„Leg das Gespräch mal auf die Lautsprecher.“ wies Chris Bart an, der
den Zugang zur Telefonüberwachung auf seinem Rechner hatte.
„Polizei Bad Oldesloe, wo ist der Notfall?“ sagte der Polizeibeamte
seinen Spruch auf.
„Ja, hallo, Jakubzig vom Penny-Supermarkt in der Rathausstraße.“
sagte die Angestellte unüberhörbar etwas aufgeregt.
Der Polizist am anderen Ende: „Was kann ich für Sie tun?“
„Mich hat hier ein junger Mann angesprochen, der nicht für die
Ware bezahlen will.“
„Aha.“ Der Polizist klang etwas verwundert.
„Ja, was soll ich denn jetzt machen?“
„Der Mann hat Sie angesprochen und gesagt, er will etwas klauen?“
„Mundraub hat er gesagt. Und ich rufe von seinem Handy an.“
„Ja, um was handelt es sich denn bei der Ware?“
„Er will ein Brot und Aufstrich.“
„Na, da kommen wir jetzt aber nicht für zu Ihnen.“ sagte der Polizist
ruhig.
„Ja, aber was soll ich denn jetzt machen?“ insistierte die Angestellte.
„Ja, wenn der junge Mann so freundlich ist, dann schreiben Sie
doch seine Daten auf. Vielleicht kann er ja später bezahlen.“
„Aber es geht doch nur um eins achtzig.“
„Sehen Sie. Dann haben wir das ja geklärt.“

„Die Verkäuferin hat mich dann gehen lassen.“
„Mit dem Essen?“ wollte ein Student wissen.
„Mhmm.“ sagte ich bestätigend. „Das ist ja auch Mundraub. Das ist
ja nicht verboten.“
„Herr Longolius, Mundraub ist vielleicht in der Bibel erlaubt. Aber

in Deutschland ist das Diebstahl.“ korrigierte mich Heise.
„Ach echt? Dann hab ich mich da wohl geirrt.“

„Mundraub ist nicht erlaubt, so ein Quatsch!“ Sporty korrigierte
Mathilda, die gerade irgendwie ganz hin und weg von Typs Idee war.
„Echt?“ Mathilda drehte sich zu Sporty um. „Sollte es aber sein.“
fand sie. „Man kann ihn doch nicht zwingen, sich Geld zu besorgen.“
überlegte sie weiter.
„Er hätte vielleicht von vornherein seine Adresse mitteilen sollen.“
Basti versuchte zu vermitteln, überlegte dann aber nochmal neu:
„Obwohl, irgendwie ist‘s so ehrlicher. Sonst könnte ja jeder einfach
irgendeinen Zettel mit irgendeiner Adresse abgeben und sich was zu
essen nehmen.“
„Er bekommt übrigens gerade ein Freudenfeuerwerk ab.“ Chris saß
nach wie vor am Terminal. „Den Kollegen gefällt die Aktion offenbar.
Guckt mal wie er da sitzt mit seinem ehrlich geklauten Mittagessen.“
Alle guckten und schwiegen einen Moment.
„Was ist denn das für ein Feuerwerk?“ wollte Basti dann wissen.
„Na, guck‘s Dir an.“
Chris zeigte, dass der Pilot der Manray-Drohne viele Impulse
nacheinander auf Felix abfeuerte, wenn auch offensichtlich noch so,
dass dieser das nicht mitbekam.
„Sieht mir wie eine Melodie aus.“ stellte Basti fest. Chris bestätigte
und die beiden beschlossen, sich um ein Musikprogramm zu
kümmern, um die Töne einzuprogrammieren und abzuspielen. Um
Software zu installieren, mussten sie aber erst Michael fragen und
das würde einen Moment dauern. Bart und Betty legten sich schlafen,
und sahen nicht mehr, wie Felix sich die Joggingschuhe und die
Socken auszog. Seine Füße dampften in der Kälte. Mathilda ahnte
schlimmes.
„Oh nein, er macht den Jesus.“
Sporty blickte gespannt auf die Bilder der Überwachungskamera
auf der Leinwand, und gab Mathilda ohne den Blick vom Geschehen

##
Das Folgende seit 11. 3. 2022, ca. 20:00 CEWT hier online
Ich habe die Vermutung, dass sie folgenden vier Seiten hier bereits eine Zeit land standen, weil ich zweimal gespeichert habe. Erst mit den vier folgenden Seiten und dann eine vorher geöffnete vorige Version bis hierüber. Das war nicht gewollt, wenn die nächsten vier Seiten hier bereits erschienen und dann wieder weg waren.

abzuwenden mit einem „Hä?“ zu verstehen, dass sie das bitte
erläutern möge.
„Er läuft jetzt Barfuß weiter. Weil er sich so Naturverbunden fühlt.
Das erinnert dann sehr an Jesus. Der ist doch in den Filmen auch
immer so unterwegs.“
Sie beobachteten noch ein bisschen die Szene, bis Felix das
Zeitungspapier von der Raststätte aus seinem Rucksack zog. Er
wickelte es sich um Füße und Waden. Dann zog er die Socken drüber
und die Schuhe wieder an. Er machte den Knopf seiner Hose auf und
wickelte sich fast den ganzen Rest der Zeitungen um Hüfte und
Bauch.
„Ok, hab mich geirrt. Ist ja doch ganz vernünftig unser Mann.

Die Studenten diskutierten dann fast ganz ohne mich mit Professor
Heise über Kapitalismus und Freiheit, Gerechtigkeit und Kooperation.
Kooperation bezüglich der Frage, ob ich ein Recht hatte, in dem
Moment etwas zu essen zu bekommen. Da war man sich nicht ganz
einig. Die meisten fanden das schön, dass es so etwas gibt. Jemanden
der durch das Land zieht und einfach isst, wenn er Hunger hat. Einer,
und er fand dann mehrere Anhänger, fand jedoch, dass ich zu dem
Zeitpunkt im Krankenhaus besser aufgehoben gewesen wäre.
Er wolle nicht spießig klingen, aber ich hätte da ja schon auf Kosten
der anderen, vor allem der Verkäuferin gehandelt, die sich mit mir
auseinandersetzen musste. Die Diskussion schaukelte sich dann
ziemlich hoch. Jedenfalls stellte sich später heraus, dass ich notfalls
in einer Behindertenwerkstatt etwas für mein Auskommen hätte tun
können.
Der Student, der diese Auffassung vertrat, trug seine Haltung aber
wohl überlegt und irgendwie auch gut begründet vor.
Heise beendete die Veranstaltung dann wieder mal aus
Zeitgründen. Es blieb für alle der Eindruck, die letzten 90 Minuten
gut genutzt zu haben.
Ich ging auf dem Heimweg einen Umweg um die Alster.

Michael installierte dann aus der Ferne ein Programm, das sich
Basti und Chris ausgesucht hatten. Damit konnten sie die
Frequenzen, die sie vom Terminal ablesen konnten, in Töne und
vielleicht sogar eine Melodie umwandeln.
Basti saß an dem Rechner mit dem Musikprogramm und Chris
versuchte ihm die Noten zu sagen. Andere hätten eine Melodie
vielleicht rein durch die Frequenzen erraten, aber von den sieben
war keiner dazu in der Lage.
„Ok, also hier am linken Knie haben wir 164 Hertz.“
„Mal sehen, das ist ein E.“ Basti gab die Note in den Sequencer ein
und sie ertönte zugleich.
„Dann wieder am linken Knie, etwas kürzer, rund 147 Hertz, ich
glaube das ist einen ganzen Ton tiefer, ja?“
„Das ist ein D.“ zusammen mit dem ersten Ton erklang jetzt Eeee-D
aus den Computerlautsprechern.
„Felix Niere. Er hat nur eine, wusstet ihr das? Naja, egal. Wieder
einen ganzen Ton tiefer, ein langer Ton.“
Eeee-D-Cccccc machte der Computer.
„Noch ein tieferer Ton, kurz, 98 Hertz.“
„Ein G.“
Eeee-D-Cccccc-G.
„Denkst du auch was ich denke?“ fragte Chris Basti, aber Mathilda
war schneller.
„Daaa-da-daaaaaaaa-da diii-daaa-da. Auf ins letzte Gefecht.“
Chris stimmte auf Englisch mit ein:
„The Internationa-a-le .. Unites the human race!“
Alle lachten jetzt.
„Die CIA spielt auf dem linken Knie eines schizophrenen
Querulanten mit Strahlenkanonen die Internationale, weil der sich
mit Unterstützung der Polizei im Supermarkt was zu essen
mitnimmt. Dass ich das noch erleben darf.“ freut sich Basti.
„Schade, dass er das nicht mitkriegt.“ sagte Mathilda mit Betonung
auf ‘er‘.


Erinnerungen kamen hoch, da ich selten lange Spaziergänge
machte in letzter Zeit. Das Gefühl dabei hatte immer etwas von
Aufbruch, wie in psychotischen Zeiten, als ich mehrmals eine
Weltreise begann. Weiter als Frankreich war ich zwar nie gekommen,
doch das Gefühl, erst mal nicht wieder zurückkehren zu wollen, war
jedes mal wahrhaftig.
Ich kam zur Statue der ‘Drei Mann im Boot‘ und setzte mich auf
eine Bank. Hier hatte ich einmal im psychotischen Zustand eine
verrückte Aktion gebracht. Was das war, ist nicht so wichtig. Es hatte
irgendwas mit einem Jackett zu tun, das ich liegen ließ, damit jemand
vom Geheimdienst sich als mich verkleiden könnte. Das hatte ich
mehrmals getan in der 2010er Psychose. Sachen liegen lassen, damit
der Geheimdienst sie einsammelt.
Ich habe aber auch Sachen gefunden.

Es war jetzt etwa acht Uhr abends und Mathilda weckte wie
verabredet Betty, um sich dann selbst hinzulegen. Der Ruheraum
hatte zwar genug Liegen, aber Chris meinte, dass immer vier von
ihnen arbeiten sollten, und das war auch kein Problem.
Während Betty unter der Dusche stand und Sporty das Bild der
Kameradrohne von Felix überwachte, suchten Basti und Chris im
Protokoll der Manray-Drohne nach weiteren versteckten
Botschaften. Sie hatten Zugriff auf das Protokoll der letzten 12 Tage
und wurden reichlich fündig.
„Ich denke er hat das längst schon verstanden!“ analysierte Chris
die vorliegenden Daten. „Sieh mal hier. Vor neun Tagen wecken sie
ihn aus dem Tiefschlaf und nerven ihn dann zwei Stunden mit
Stichen, bis er sich wieder an den Rechner setzt und an seinem
Notrufsystem arbeitet. Ab da wird er aufgeputscht bis er 22 Stunden
später wieder schlafen darf. Aber was soll er schon machen. Er kann

ja schlecht zur Polizei gehen und behaupten, er wird mit
Strahlenkanonen beschossen.“
„Wohl kaum.“ bestätigte Basti.
„Er wird sich schon seine Gedanken dazu machen. Vielleicht
genießt er es wie ihr, mit dieser neuen Technik in Kontakt geraten zu
sein.“
„Und was ist mit der Nacht, in der wir es kapiert haben. Als er so
geschrien hat? Er sagte, wenn man das auf Drohnen schnallen würde,
könnte man damit Leben retten.“
„Er denkt vielleicht, dass man das wie einen Defbrillator einsetzen
kann. Wiederbelebung.“
„Ah ja, verstehe. Und? Geht das?“
„Bestimmt!“ Chris machte den Eindruck als wüsste er es wirklich
nicht. Aber als wäre er sich sicher, dass das im Bereich des technisch
Möglichen ist.
„Aber warum regt er sich nicht mehr auf?“
„Hab ich doch gesagt. Er ist stolz, an dem Experiment
teilzunehmen. Und inzwischen hält er das ja sogar für einen
potentiellen Lebensretter.“
Sporty hatte zugehört und einen Clou: „Wenn er will, dass man
damit Leben rettet, dann darf es nicht böse sein.“
„Wie meinst du das?“
„Ich habe nur überlegt. Neue Technik. Kann gut und böse sein.
Vielleicht hält er das Böse aus, um die Chancen fürs Gute zu
verbessern.“
„Irgendwie so könnte es sein.“ Chris wusste es nicht genau, aber das
war ein Anfang.
„Ich mache mir einen Tee.“ kündigte Chris an.
„Ok.“ Basti würde die Stellung halten.
Betty kam vom Duschen und setzte sich an ihren Rechner. Sie
würde jetzt die Nachrichten der Mailingliste lesen. Die Diskussion
wurde seit letzter Nacht offenbar etwas konkreter. Es wurde nämlich
Felix Anzeige analysiert, mit der er gegen telepathische Stimmen
vorgehen wollte, weil die ihn 2003 in Selbstmord zu treiben versucht
hätten. Chris kam mit seinem Apfeltee wieder.

##
Dies neu am 12. 3. 2022 hier um ca. 12:45h, beim letzten Speichern vergaß ich die 2 „#“ (Raute) unter den nächsten vier Seiten. Es wird nicht nötig sein, das Ende der Veröffentlichung zu markieren.

Betty las zusammenfassend und halb in Deutsch vor, was die Briten
jetzt schrieben: „Es wäre wirklich nice, .. wenn wir auf diesem Weg
eine Lösung für das Problem der insane criminals .. finden würden.“
Sie übersprang ein paar Zeilen. „Doch leider müssen wir davon
ausgehen, dass uns ein trial against god nicht weiterbringt.
Abgesehen davon wüssten wir nicht, gegen wen wir weitere
investigations führen könnten.“
„Das wissen die aber besser.“ kommentierte Chris.
„Und zwar?“ Betty war seit gut zehn Jahren beim Geheimdienst, da
durfte sie so etwas schon einmal etwas fordernd fragen.
„Die Monarchie ist eine durch und durch telepathische Struktur!
Und der MI6 die Verbindungsstelle in die real world. Wenn jemand
auf der Liste weiß, gegen wen man noch ermitteln könnte, dann die
Briten.“ Chris nahm einen Schluck Tee. „Die wissen das sogar sehr
konkret.“
„Ihr habt erzählt, dass wir in Europa gerade ein eigenes Netz
aufbauen. Ist das Konkurrenz für die Briten, oder ..“
„.. eine willkommene Abwechslung? Endlich jemand, mit dem man
sich unterhalten kann, mit dem man die Macht teilen kann?“
„Naja ..“
„Sicher nicht. Aber sie erkennen die Zeichen der Zeit. Mit dieser
Mitteilung, die du gerade vorgelesen hast, setzen sie doch schon mal
das nächste Thema. Gegen wen könnte man noch ermitteln. Das ist
mehr, als es scheint.“
„Verstehe. Ok, wie funktioniert das denn nun mit der Telepathie.“
fragte Betty.
„Das würde ich auch gern wissen.“ stimmte Sporty mit ein und
Ingmars Gesichtsausdruck war die selbe Forderung anzusehen.
Nur Basti schaute nicht von seinem Monitor auf, sagte aber: „Es ist
wohl erst mal so wie Bart vermutet hat.“ Jetzt drehte er sich zu den
anderen und zählte an den Fingern ab: „Menschenkenntnis, Kenntnis
über die konkrete Person, Macht und Glück.“
„Er hat recht.“
„Glück? Das klang aber so, als hättest du damals eine ziemlich gute
Verbindung zu Felix gehabt.“ hakte Betty nach.

„Je mehr Macht, desto weniger Glück braucht man.“
„Was meinst du mit Macht?“
Chris atmete halbtief durch: „Ok, kommen wir zum Eingemachten.
Die Macht besteht aus so etwas wie Aufmerksamkeit.
Aufmerksamkeit in einer füssigen Hierarchie. Heutzutage
Computergestützt.“
„Eine computergestützte Aufmerksamkeitshierarchie?“ fasste
Sporty zusammen.
„Naja, früher ging das auch ohne Computer, dafür wußten die Leute
überhaupt nicht, was dabei vor sich geht. Stellt euch vor, ich glaube
zum Beispiel an Betty.“ Er öffnete die Hände in einer viel sagenden
Armbewegung in Richtung Betty.
„Glauben?“
„Es ist das beste Verb in dem Kontext. Also ich glaube an Betty. Und
Sporty glaubt auch an Betty. Und Betty glaubt an Ingmar. Dann
kanalisiert Betty unsere Aufmerksamkeit zu Ingmar. Diese
Aufmerksamkeit ist der Treibstoff des telepathischen Netzes. Und
wenn man weiß wie es geht, dann kann man diesen Treibstoff
sammeln.“
„Wenn man weiß wie es geht?“ wollte Ingmar wissen.
„Man sammelt das ein, was ich gerade als Aufmerksamkeit oder
Glauben bezeichnet habe.“
„Wie soll das gehen?“
„Es geht einfach.“ Chris nahm noch einen Schluck Tee. „Die Briten
waren die ersten, die ihre Sammler ab den 50er Jahren vernetzt
haben, also mit Computern. Naja, richtige Computer waren das
damals natürlich noch nicht.“
„Ein Computersystem um den Glauben zu lenken?“ Basti klinkte
sich in die Fragerunde ein.
„So könnte man es nennen.“

Ich stand auf um weiter zu gehen.
„Herr Longolius?“

Ich drehte mich um und eine Studentin aus dem Seminar stand vor
mir. Ich wusste aber nicht wie sie hieß: „Ach, guten Tag!“
„Guten Tag! Erkennen Sie mich?“
„Sie sitzen in dem Seminar von Professor Heise. Natürlich erkenne
ich Sie. Nur Ihren Namen weiß ich nicht.“
„Antonia.“
„Gehen Sie auch spazieren, Antonia?“
„Ja. Also, ich gehe nach Hause. Ich wohne hier um die Ecke.“
„Keine schlechte Gegend!“ Hier so nah am See waren die
Wohnungen sicher sehr begehrt. Und teuer. „Haben Sie Blick auf die
Alster?“
„Neiin, natürlich nicht. Ich bin Studentin.“
„Man kann nie wissen.“ hätte ja sein können, dass ihre Eltern sich
das leisten können. Auf jeden Fall freute ich mich, jemanden
getroffen zu haben. Und sie schien sehr nett.

Chris hatte allen ernstes eine App auf seinem Telefon, mit der er
Mitteilungen empfangen konnte, an wen er gerade denken sollte. Sie
war bloß nicht in Betrieb, da er der CIA ja die kalte Schulter gezeigt
hatte.
„Und so ein Netz bauen die Kollegen gerade in Europa auf?“ Die
anderen hatten Mathilda und Bart geweckt, eingeweiht und auch
neugierig gemacht. Außerdem war Chef dazu gekommen.
„Es geht voran.“ sagte Chef, und bat Basti, sich mal an seinen
Rechner setzen zu können. Er meldete sich mit seinen Zugangsdaten
an und rief eine Präsentation auf. „Wie krieg ich das jetzt auf eure
tolle Leinwand?“ Jetzt bat Basti wiederum kurz Platz nehmen zu
dürfen und zog das Programm auf die Leinwand. Er machte wieder
Platz, doch Chef wollte stehen bleiben.
„Bleib sitzen.“
Die erste Folie zeigte den Titel der Präsentation. Die sechs jungen
Nachrichtendienstler lachten vor Staunen.

Organisierte mentale Nachrichtenübermittlung – Chancen und
Herausforderungen für ein europäisches Telepathienetzwerk
stand dort. Chef bat Basti, auf die nächste Folie zu schalten.
Ein Diagramm wurde gezeigt, bei dem mehrere Menschen, in
einem spinnennetzartigem Gefecht, jeweils vor Computermonitoren
saßen.
„Die nächste bitte.“
Auf der nächsten Folie stand nun auf jedem der dargestellten
Computermonitore der Name „Frau König“ und eine der angezeigten
Personen bekam eine Krone aufgesetzt.
„Frau König bekommt ja gerade ziemlich viel Aufmerksamkeit. Was
denkt ihr, kann sie damit machen?“
Mathilda versuchte eine Antwort: „So wie Chris das jetzt erklärt hat,
kann sie mit anderen telepathieren.“ doch sie sagte das, als wäre sie
zu 70 Prozent davon überzeugt, dass sich das ganze noch als Scherz
herausstellen würde.
„Ja, mit wem?“
„Mit anderen, die auf ihrer Stufe der Hierarchie stehen?“ mutmaßte
Sporty.
„Ja, mit wem noch?“
„Mit allen, die an sie glauben?“ Ingmar nahm auch einen Versuch.
„Gut. Nicht ganz, aber mit wem noch?“
Ingmar nahm noch einen Versuch: „Mit anderen telepathischen
Netzen?“
„Ja, nicht schlecht. Die nächste Folie bitte.“
Auf der nächsten Folie wurde das Netzwerk jetzt kleiner in der
Mitte dargestellt, dafür kamen Symbole für Menschen hinzu, die
einen Kreis um das kleinere Netzwerk bildeten.
„Wofür steht das?“
„Das könnte der angezapfte Glauben der Bevölkerung sein?“ meinte
wieder Ingmar erkannt zu haben.
„Nein, die sind nicht abgebildet.“ Chef ging zur Leinwand und
deutete auf den äußeren Kreis aus Menschen. „Diese Personen
bilden sozusagen die Außengrenze des Netzwerks. Sie schirmen das

Diese zwei Rauten sind gemeint. ## Sie finden Sie jeweils unter vier Buchseiten.

Diese vier nächsten Seiten meines Romans „Das Märchen vom Weltpolizisten“ geschrieben mit dem Arbeitstitel „Ich mag mich irren“ (gleichnamig wurde ich gebeten eine Autobiografie zu schreiben zu welcher der Nachbar eines Freundes ein von mir im Text korrigiertes Exemplar der Endfassung hätte, falls Sie übersetzen wollen. Ich brauchte Geld und habe für dieses Kernwerkzeug der Gegenwartsliteratur 20 Euro bekommen können) hier neu am 12. 3. 2022, 13:06h CEWT

Netz ab. Wo meint ihr sitzen die?“ fragte Chef fast schon rhetorisch,
als wäre die erste Antwort sicher falsch. Mathilda übernahm die Rolle
der doofen Antwort: „Portugal, Skandinavien, Polen, Griechenland,
Italien?“
„Wenn dann Polen, Türkei und Italien bitteschön. Möchte man
meinen, nicht?“ Das war jetzt ganz klar keine Frage. „Nein, die sitzen
überall in Europa verteilt.“
„Türsteher!“ versuchte Bart es in einfacher Sprache auszudrücken.
„Naja, so kann man es vielleicht sehen.“ sagte Chef etwas missmutig.
„Die Außengrenze ist nicht räumlich, sondern inhaltlich. Und was
denkt ihr, wie man so ein telepathisches Netz beschützt?“
Die sechs hatten keine Ahnung. Betty nahm sich ein Herz:
„Chef, wir verstehen doch nichts von Telepathie.“
„Aber ihr sollt es verstehen. Ok, überlegen wir vielleicht lieber erst
mal, was da eigentlich beschützt wird. Ich will euch auch nicht mehr
alles aus der Nase ziehen.“
Chef erklärte, dass man sich das innere Telepathienetz wie einen
administrierten Chatraum vorstellen müsste. Dieser Chatraum
bestünde aus der Spitze der Aufmerksamkeitshierarchie. Für eine
Millionenstadt habe sich eine Spitze der Hierarchie von drei bis fünf
Personen, als am stabilsten erwiesen. Diese hätten dann sozusagen
einen klaren Empfang untereinander und könnten gemeinsam
nachdenken und sogar Informationen austauschen. Das gemeinsame
Nachdenken bestünde aus Sprache, Bildern und Gefühlen. Aber auch
körperliche Empfndungen würden innerhalb des inneren
Telepathienetzwerks geteilt.
„Verstehe ich recht? Innerhalb dieses inneren Kreises werden die
verbundenen Telepathen quasi zu einer Person?“ fragte Bart.
Das könnte man so ausdrücken, sagte Chef. Und man müsse
verstehen, dass die Europäer da einen ganz neuen Ansatz versuchen
würden. In den traditionellen Netzwerken legten die Mitglieder des
inneren Chatraums großen Wert darauf, unter sich zu bleiben.
Insbesondere seien das meist reine Männerveranstaltungen.“
„Typisch!“ fand Mathilda.
„Naja“ sagte Chef. Man müsse verstehen, dass es bei dieser

Verschmelzung des Geistes schnell zu erotischen Gedanken komme.
Das sei aber ein alter Hut, wie die Briten und insbesondere die USAmerikaner seit Jahren zeigen würden. Dort gäbe es in jüngster Zeit
einen entspannteren Umgang mit Sexualität, weshalb Mitglieder
konservativer Telepathienetzwerke diese Netze auch verachten
würden.
In jüngster Zeit bedeute in den letzten 10 bis 15 Jahren. Vorher sei
das auch in westlichen Ländern eine sehr geschlossene Gesellschaft
gewesen. Chris habe dann eine Schlüsselfgur dabei gespielt, die
alten Strukturen aufzubrechen.
So einen Chatraum mit gutem Empfang zustande zu bringen, sei
übrigens eine recht dynamische Angelegenheit. Man brauche die
Mehrheit in einer Stadt, oder eines Landstrichs. Also die Mehrheit an
geübten Aufmerksamkeitssammlern. Je weniger klar diese Mehrheit
feststehen würde, desto chaotischer gehe es in dieser Welt der
Gedanken zu. Und, ja, es gäbe da regelrechte Glaubenskriege.
Die Präsentation nahm dann ihren weiteren Verlauf. Eine
vereinfachte Darstellung der App, wie Chris sie auf seinem Telefon
hatte, tauchte noch auf und die Info, dass die „Türsteher“, wie Bart es
formuliert hatte, über 98 Prozent des Gesamtnetzes ausmachten.
Was bedeutete, bei 200 Telepathen könnten jeweils nur etwa vier
Personen wirklich miteinander kommunizieren. Die Grenzwerte
seien da aber fießend.

Antonia war wirklich ‘ne Nette. Wir unterhielten uns natürlich bald
über das Seminar. Mich ein bisschen verlegen von unten
anschauend, sagte sie, dass sei ihre interessanteste Veranstaltung
dieses Semester.
Ich beschwichtigte, dass ich da ja allerlei Unfug erzählen würde,
aber sie erinnerte mich an Heise mit ihrer Bekräftigung, dass es sehr
spannend sei. Sie hatte jetzt zwei Veranstaltungen überstanden,
deshalb durfte sie mich auch wirklich fragen:
„Hören Sie momentan Stimmen?“

„Nicht wirklich. Im Vergleich zu den psychotischen Zeiten herrscht
Funkstille.“ Ich nahm mir ein Herz: „Wenn Sie nachdenken, haben Sie
da eine innere Stimme?“
„Klar.“ sagte sie, „Eine innere Stimme hat doch jeder, oder nicht?“
Ich nickte. Das sei wohl so.

Chef war schon wieder fort, da kamen sie nach der Präsentation
nochmal auf die Briten zu sprechen. Ob sie schon mal darüber
nachgedacht hätten, worüber die königlichen Gardisten am
Buckingham Palast so nachdenken, während die da stundenlang still
herum stünden, fragte Chris.
„Aaaah .. die Türsteher des britischen Telepathienetzes?“ mutmaßte
Bart fragend.
„Die Türsteher kommen natürlich auch mal in den Club. Man muss
ja wissen, was man da verteidigt.“ erklärte Chris. „Aber ja, wer ein
bisschen Telepathie-Guthaben hat und aus Spaß mal bei der Queen
anruft, hat gute Chancen, im Schleier der Monarchie, bei so einem
Gardisten zu landen.“
Die meisten Menschen würden, wenn sie es überhaupt probierten,
jedoch nie an den Türstehern vorbeikommen. Wieder andere
würden auch schon mal durch den Hintereingang hinein gewunken.
Wer jedenfalls die seltene Gelegenheit bekommt, einmal in den Club
zu kommen, würde danach meist entweder verrückt, es vergessen,
oder eine Dauerkarte erhalten.
„Das ist aber nicht die ganze Wahrheit von Schizophrenie?“
bestand Mathilda auf ihrem schulpsychologischem Wissen und
Chris bestätigte: „Es gibt Schizophrenie und es gibt Schizophrenie.
Natürlich gibt es die Krankheit.“ Aber die ganze Welt der Telepathie,
würde auch bei der klassischen Schizophrenie, wenn das Denken
fast nur auf Irrtümern aufbaut, meist eine Rolle spielen.
Die britische Monarchie sei ein telepathisches Netz von vielen, das
im Übrigen seit Jahren nachsichtig mit unerwünschten Telepathen
umgehe. In China werde zum Beispiel ein sehr viel härterer Ton

angeschlagen, zum einen, wenn jemand zu häufg an die Tür des
Clubs klopfen würde, zum anderen, wenn jemand aus einem
anderen Netz, beim chinesischen Gedanken mitdenken wolle.
In den meisten Spielarten des Islam sei die Welt des Glaubens
hingegen sehr „1000 und eine Nacht“. Die meisten Moslems glaubten
mit Gott in Kontakt zu stehen, statt mit einem der verhältnismäßig
wenigen bewusst telepathierenden Imame. Das sei das
Naheliegendste – auch weil sich die bewußt telepathierenden Imame
meist als Gott ausgeben würden. Wenn man dort jedoch zum
inneren Chatraum vordringe, sei man mit etwas konfrontiert,
gegenüber dem die Inquisition wie ein Vorstellungsgespräch beim
Pizza-Lieferdienst sei.
Es sei nicht möglich, jetzt in aller Schnelle alle Telepathienetze zu beschreiben. Das müsse so erst mal reichen.

Es sei auf jeden Fall sehr unterhaltsam, meine Erzählungen davon,
‘was man mit Fantasie alles machen‘ könne. Naja, wenn sie das
unterhaltsam fndet, dachte ich, könnte ich ihr ja mal von meinem
Buch erzählen.
„Ich habe ein Buch geschrieben.“
„Kann man das kaufen?“
„Nee, aber ich hab‘s im Internet veröffentlicht.“
„Ahja, vielleicht schaue ich mir das mal an. Wovon handelt es?“
Ich erzählte vom Teetassenkopf Mr. T-Cup, einem Abgeordneten
beim Abstimmungsapparat. Dass in seiner Welt Maschinen,
Gedankenverstärker, erfunden wurden, mit denen man telepathieren
könne. Und dass er dann erfährt, dass die Maschinen gar nicht
funktionieren, sondern eine ominöse Gruppe, vielleicht Engel oder
Außerirdische, die Gedanken von einem zum anderen bringen
würden. Und, dass er dann die Wahrheit über die
Gedankenverstärker ans Licht bringen wolle, oder besser soll, weil
die Gruppe keinen Bock mehr aufs Gedanken transportieren hätte.
„Ui, jetzt brauchen Sie das Buch ja gar nicht mehr zu lesen. Ist auch

##
Ich gehe spazieren. Diese vier neuen Seiten am 12. 3. 2022, ca. 19:30h CEWT

bestenfalls eine Novelle.“
Antonia lachte. „Ich überleg‘s mir.“
Ich schrieb ihr dann noch die Adresse auf, mit der sie das Buch
fnden konnte.
„Ach, weltpolizei.de? Ist das eigentlich was politisches?“
„Nicht mehr.“ sagte ich.
Dann verabschiedeten wir uns bis zur nächsten Veranstaltung.

Es war inzwischen wieder neun Uhr abends, Typ war sechs
Kilometer vor Lübeck und Chris schlief gerade. Er hatte einen
eigenen Ruheraum, wollte aber nur kurz die Augen zu machen, wie
er sagte.
„Hab‘ ich euch eigentlich von dem Buch erzählt!“ so Basti
ankündigungsvoll.
„Das mit dem Abstimmungsapparat?“ Mathilda kaute gerade an
einem Brötchen.
„Ganz genau. Er beschreibt da eine Welt, in der es das Stimmen
hören gibt.“
„Ach echt?“ Betty hätte noch sagen können, ‘das klingt interessant‘.
„Das können aber nur die Parlamente und zwar mit komischen
Gedankenverstärkern. Dafür können sie ihre Botschaften an alle
gleichzeitig senden. Der Protagonist, Mr. T-Cup ..“
„Ach ja!“ sagte Sporty. „Klingt echt witzig, wenn ich nochmal drüber
nachdenke“.
„Ja. Mr. T-Cup fndet heraus, dass die Gedankenverstärker gar nicht
funktionieren.“
Chris kam wieder rein. „Ich hab gerade mal ein bisschen
nachgedacht.“
Die Pause die er ließ war gerade lang genug, als dass Betty witzeln
konnte: „Wohl ein bisschen telepathiert!“
„Vielleicht.“ Es gab da ja nun eigentlich keine Geheimnisse mehr.
„Also, ich möchte, dass zwei von euch da raus gehen.“
„Yes!“ rief Basti und alle anderen jubilierten mit.

„Ja, aber ich muss das noch mit Rolf besprechen. Ich komme gleich
wieder.“

Zu Hause angekommen machte ich mir einen Kaffee, obwohl es
viel zu spät dazu war, und schloss alte Festplatten an meinen
Computer an, weil ich die Vergangenheit mal wieder Revue passieren
lassen wollte. Antonia von dem Buch erzählt zu haben, gab mir das
Gefühl, vielleicht doch nicht doof zu sein.
Ich suchte nach nichts bestimmten. Ich guckte mir die Anzeige an,
die ich damals an die Geheimdienste geschickt hatte und einen Brief
an die Regierung von Mikronesien. Beides ziemlich wirres Zeug.
Allerlei Anzeigen.
Ich hatte damals auch die Telekom angezeigt, weil auf ihrer Post-
Werbung kein Absender vorhanden war. Und die Post, weil sie auf
ihrer Webseite den Großkunden gegenüber bedauerte, keine
Werbung anhand des Einkommensgefüge der Stadtteile verteilen zu
können. Und zwei meiner Freunde hatte ich angezeigt, weil sie, als
ich verschwunden war, in meiner Wohnung waren, um
rauszukriegen was mit mir los war. Echt ein feser Sack bin ich
gewesen, dachte ich, und schaltete den Fernseher ein.

Chris kam wieder. Alle sechs waren gespannt.
„Geht klar, sagt Rolf. Wir haben uns sogar für ein Dreierteam
entschieden. Und zwar Mathilda, Bart und Ingmar. Packt eure
Sachen, oben steht ein Wagen für euch.“
Betty und Sporty waren schon enttäuscht. Basti hingegen sah gleich
ein, dass er hier unten gebraucht wird.
Das Außenteam packte Laptops, Headsets und natürlich ihre
Diensttelefone, Nachtsichtgeräte, allerlei weiteren technischen
Schnickschnack, ein bisschen Verpfegung und die Dienstwaffen ein.
Sie würden knapp zwei Stunden fahren müssen nach Lübeck, oder
wo Felix dann auch immer sein würde, wenn sie ankamen.

Ich sah Antonia bei der nächsten Veranstaltung wieder. Das
Seminar war genau so gut besucht, oder schlecht, wie beim letzten
Mal. Vielleicht hatte sich Heise ein bisschen verkalkuliert. Ich stellte
mir vor, dass er Ärger mit der Institutsleitung hätte, weil das Seminar
eventuell nicht die etablierte Art war, Studenten auf eine Klausur
zum Thema psychotischer Erkrankungen vorzubereiten. Aber der
strahlte die übliche Ruhe aus.
Er fasste das Streitgespräch über die obdachlosen Psychotiker vom
letzten Mal zusammen, und bat mich dann sehr detailliert um
Auskunft:
„Herr Longolius, Sie haben in Ihren stark psychotischen Zeiten, wie
wir jetzt gut verstanden haben, Stimmen gehört. Verschiedene
Stimmen, die Rede war von Außerirdischen. Und Sie sagten, dass
Menschen das wohl nicht allein könnten. Mit welchen Menschen
hatten Sie denn nach Ihrem Eindruck Kontakt?“
Ich versuchte gewohnt refektiert zu antworten. „Da gab es
Stimmen, bei denen ich heute weiß, dass sie es nicht waren. Also vor
allem bei Freunden. Die konnten mich nachhaltig davon überzeugen,
dass sie nicht mit mir telepathiert hatten. Dann, bei den Politikern,
mit denen ich dachte in Kontakt zu stehen, bin ich mir größtenteils
sicher, dass die Stimmen nicht das waren, für das ich es hielt. Aber
ich hatte auch die Vorstellung, mit Geheimdiensten in Kontakt zu
stehen. Erst waren das welche von der CIA, später ganz verschiedene
internationale Leute. Zuletzt wurde ich dann von einem Team des
BND unterstützt.
Aber damit das klar sei, heute könne ich mir meist merken, also
„merken, dass ich schon mal überzeugt war, also ..“, ich verhaspelte
mich mal wieder, „Heute denke ich, das waren meist Außerirdische
oder meine innere Stimme.“

Felix war in Lübeck angekommen. Er klingelte beim Haus seines
Kumpels, der aber offenbar nicht da war, setzte sich auf den
Bordstein und rauchte eine Zigarette.
„Tja, da sitzt er nun.“ Die Geheimdienstagenten wussten in ihrem
Bunker natürlich schon lange, dass Felix seinen Freund nicht
antreffen würde, aber was sollten sie auch tun.
Felix wechselte den Akku von seinem Telefon und machte sich
Musik von The Helio Sequence an.
„Er hört die ganze Zeit Stimmen, das ist euch klar, oder?“ Chris
setzte mal wieder zu einer seiner Lehrstunden an.
„Die ganze Zeit? Was sagen ihm die Stimmen? Weißt du das?“
wollte Betty von Chris wissen.
„Wenn ich gerade telepathieren würde, könnte ich mich ja nicht
mit euch unterhalten.“
„Was weiß ich denn.“ Betty musste sich nicht entschuldigen.
„Schon gut. Naja, wenn mich nicht alles täuscht, dann ärgert er sich
entweder, dass ihm die Stimmen nicht gesagt haben, dass sein
Freund nicht da ist, oder dass er es den Stimmen nicht geglaubt hat.
Erfolgreich raten, was jemand denkt, ist sozusagen die Vorstufe zur
Telepathie.“ Dann hatte er eine Idee. „Lasst uns was an die Liste
schreiben.“
Chris setzte sich an einen der drei freien Rechner und meldete sich
an.
„Du willst jetzt etwas an die Liste schreiben?“ wollte Sporty wissen.
„Wir bringen die Sache mal ein wenig ins Rollen.“ Er schaute die
anderen fordernd fragend über seine Brille hinweg an. „Gestern
wolltet ihr das doch noch unbedingt können!“
„Ja, aber müssen wir Chef da nicht erst mal konsultieren?“ fragte
eine skeptische Betty.
„Ich hab‘ euch doch gesagt, ich habe Schreibrechte. Also habe ich
das Recht etwas zu schreiben. Ich muss da niemanden fragen.“
„Also gut.“ Betty nahm das so an. „Was schreiben wir?“
„Viel wichtiger ist: Als wer schreiben wir.“ Chris sprach irgendwie
geschwollen.

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An dieser Stelle zum ersten Mal, die nächsten vier Seiten, am 13. 3. 2022 ca. 19:20h CEWT

Wie? Wir können uns was aussuchen?“ Basti hatte bislang nur
zugehört und war inzwischen insgesamt weniger skeptisch was Chris
betraf, als die anderen. Das kam wohl von der gemeinsamen
Ausarbeitung der Internationalen vorhin.
„Ja, die Server von der Liste stehen in Deutschland, also haben wir
uns Administratorrechte beschafft. Betty, sag mal ein Land von
Argentinien bis Zypern! Naja, Argentinien ist nicht auf der Liste, aber,
das kriegen wir irgendwie hin.“
„Dann Argentinien.“
„O-kay. Mal sehen.“ Chris tippte, überlegte kurz, freute sich wie ein
Kind, tippte wieder, überlegte wieder und freute sich jetzt eigentlich
dauerhaft, während er weiter überlegte und tippte. Mit Ausholen des
gestreckten Zeigefingers betätigte er eindrucksvoll Enter und fuhr
zurück gelehnt mit dem Bürostuhl etwas nach hinten, nicht ohne die
Arme genussvoll hinter dem Kopf zu verschränken.“
Die anderen kamen näher und lasen nach, was Chris da
veranstaltet hatte.
Basti war als erster fertig und machte grinsend einen Schritt
zurück. Dann war Betty fertig und sagte nur „Oh Mann.“ Sporty las
noch, fragte aber lieber, als es sich selbst zu erarbeiten:
„Was hast du gemacht?“
Basti übernahm die Erklärung: „Er hat der Liste als NATO mitgeteilt,
dass die Argentinier sich Sorgen um Felix machen.“
Ein bisschen hatte Sporty auch verstanden, und das las er jetzt vom
Monitor ab: „Was machen wir eigentlich wenn wir keinen
Kronzeugen mehr haben?“ Und ergänzte in eigenen Worten: „Ich
versteh nicht, was daran so toll ist.“
„Chris will die Aufmerksamkeit ein bisschen auf Felix lenken.“
analysierte Basti.
„Aber er kann sich doch nicht als NATO ausgeben.“ Sporty war
überhaupt nicht begeistert von diesem Kindertheater, hätte man
seine Stimmung in Worte fassen können.
Chris erklärte sich dann selbst: „Mach dir keine Sorgen. Die NATO
wird es verkraften, und ich konnte jetzt noch nicht als BND
schreiben. Das müssen wir uns warmhalten.“

„Ich fnd‘s trotzdem nicht witzig. Ich meine, was, .. das .. bringt doch
auch Felix in Gefahr.“
„Sporty, wir haben das im Griff.“ pflichtete Betty bei.
„Gar nichts haben wir im Griff. Wir .. wir sitzen hier in einem
Bunker unter der Erde und starren auf .. auf Monitore und hantieren
jetzt auch noch mit diesem Terminal rum. Woher wissen wir denn
wirklich was sich da oben abspielt?!“
„Ok, .. Basti. Zweierlei.“ Chris legte einen besonders ruhigen Tonfall
auf. „Erstens, du machst dir ja richtig Sorgen um den
Schlappschwanz oder wie du ihn am Anfang genannt hast.“
Das war jetzt etwas merkwürdig: „Woher weißt du, was wir hier zu
Anfang besprochen haben?“ Sporty war bei allem Aufbrausen ein
aufmerksamer, kluger Kopf.
„Na, meint ihr, wir lassen euch hier ganz allein bei eurem ersten
Projekt. Natürlich haben wir euch erst mal beobachtet.“
„Mikrofone oder was?“ Sporty war echt in Rage.
„Mikrofone.“ Chris wiederholte mit Bruststimme bestätigend.
„Was?“ Betty fand das jetzt überhaupt nicht witzig.
„Wollen wir jetzt darüber diskutieren, dass ihr beim Geheimdienst
überwacht werdet, oder über die Situation da oben?“
Sporty übernahm selbst die Beruhigung der Situation: „Zweitens?“
fragte er zermürbt.
„Zweitens, ist der Typ da oben gerade wahrscheinlich die am
besten überwachte Person Deutschlands.“
„Ok, sorry.“ sagte Sporty erst mal kleinlaut „Aber über die Mikros
sprechen wir noch!“
„Oh ja.“ sagte Chris und die drei anderen hörten dann noch
ziemlich sicher ein „Tss!“ als er sich schon weggedreht hatte um in
die Teeküche zu gehen.
Ingmar meldete sich von der Autobahn: „Hallo, wir haben gerade
kein Netz. Ist die ZP noch in Lübeck?“
Betty nahm am Mikrofon Platz, also dem für das Telefon, das auf
dem Tisch gegenüber von der Tür stand und bestätigte: „Er sitzt
gerade vorm Haus von seinem Freund. Fahrt erst mal weiter.“
Chris kam irgendwann mit einem Tee in der Hand wieder: „Lasst

uns nicht streiten. Wahrscheinlich hätte ich das vorhin auch so nicht
erwähnen sollen. Weil, los werden wir die Mikrofone eh nicht. Wie
gesagt, muss man mit so etwas aber auch rechnen, wenn man beim
Geheimdienst arbeitet.“
„Scheiße, dann werden wir die ganze Zeit abgehört?“ fragte jetzt
auch Basti genervt.
„Lässt sich nicht ändern.“ wiederholte Chris seine Kernaussage.

„Sie halten also Außerirdische, oder Ihre eigene Stimme, dann für
Geheimdienste. Das klingt spannend.“ Professor Heise war wirklich
ein lieber Kerl, wenn es darum ging, mir meine Verrücktheiten raus
zu kitzeln. Aber erst hatte er noch eine seiner kritischen Fragen, die
eigentlich Feststellungen waren: „Sie haben sich auf Ihren Eindruck,
dass Sie Kontakt mit Geheimdiensten haben, verlassen damals?“
„Ja, das war sehr realistisch. Und glaubwürdig. Und .. spannend, Sie
sagten es bereits. .. Und unglaublich ..“ ich suchte das richtige Wort. „..
faszinierend.“
Ich holte nun etwas weiter aus, wusste aber schon, dass ich
anschließend weiter von der Wanderung nach Lübeck erzählen
wollte, und zwar ab da, wo wir letztes mal aufgehört hatten: „Was das
Stimmen hören sein kann, dazu habe ich Ihnen ja inzwischen von
der medizinischen Perspektive, dass das Illusion ist, über die
esoterische Möglichkeit, andere Menschen könnten das, bis hin zu
Außerirdischen, einige Varianten aufgetischt. Ich hatte Ihnen dann
zuletzt von meinem Mundraub .. oder Diebstahl .. auf dem Weg nach
Lübeck erzählt. In der Nacht darauf passierte aber noch einiges.
Nicht zuletzt wegen dieser Nacht will ich das auch alles überhaupt
erzählen.“
„Sie machen uns neugierig.“ gab Professor Heise in gewohnter
Manier bekannt.

Ingmar, kannst du mich hören?“
„Ja, bin dran.“
„Er geht jetzt weiter Richtung Nord-Ost. Wenn er keine Pause
macht, ist er schon auf der Landstraße Richtung Ostsee, wenn ihr da
seid.“
„Ok, verstanden.“

Ich erzählte, wie ich meinen Freund nicht erreichen konnte und
dann erst mal ziemlich fix und fertig gewesen bin.
Dass ich aber Unterstützung hatte.
Dass ich einige Theorien dazu hatte, was mit mir geschah.
Da sei seit Wochen dieses Körpergefühl gewesen, oder besser:
diese Gefühle. Zu dem Klicken und Knacken, welches ich seit 2003
kannte, gab es jetzt neu ein Stechen an allen nur denkbaren
Körperteilen, sogar mir unter der Haut.
Ich hätte mich einige Wochen dagegen gewehrt, das zu denken,
aber schließlich konnte ich kognitiv nicht mehr von etwas anderem
ausgehen, als dass das von Strahlenkanonen kam. Und das ganze war
sehr prägnant, und kam meist in logischem Zusammenhang mit den
Stimmen, die zu diesem Zeitpunkt vom CIA, und von allen Möglichen
anderen Geheimdiensten zu mir zu kommen schienen, zu dieser Zeit
in englischer Sprache.“
„Worum ging es denn da so?“
Antonia hatte sich zu Wort gemeldet und ich lächelte ein wenig
mehr als normal.
„Das lässt sich am Besten mit zwei Worten zusammenfassen: Gott
und die Welt!“
„Und konkret?“ bohrte Heise nach.
„Man muss sich vorstellen, dass ich zwar 2003 schon einmal
Stimmen gehört hatte. 2010 war es aber fast wie eine neue Erfahrung.
Ich war also quasi neu in dieser Welt. Ja, es ging um das Stimmen
hören selbst. Zu dem Zeitpunkt betrachtete ich das ganze noch
ziemlich nüchtern. Und es ging mir um so Fragen, wie, warum man

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Neu hier die folgenden vier Seiten am 13. 3. 2022 um 23:00h CEWT

das nicht allen Menschen beibringt. Später dachte ich dann mal, man
hätte es wirklich allen beigebracht. Man hätte im Fernsehen
Telepathie-Unterricht gesendet. Aber da ging es dann schon langsam
Richtung Krankenhaus.“
„Ok, es ging um das Stimmen hören an sich. Worum noch?“
„Ich hatte von der Anzeige gegen Unbekannt erzählt.“
„Weil Sie in den Selbstmord getrieben werden sollten? Meinen Sie
die?“ vermutete Heise.
„Ja, genau. Die Stimmen und ich, wir unterhielten uns sozusagen
über die Rechtslage. Ach, und es gab einen Anwalt, der sich mit mir
Absprach. Ja, und so eine Art Staatsanwalt, der eine Anklage, oder
eher einen Vorwurf, vorbereitete. Richtig, das habe ich alles gar nicht
mehr erinnert! Schließlich gab es sogar einen Prozess vor dem
Weltgericht. Aber das ging dann alles sehr schnell.“
„Das ist .. wirklich faszinierend.“ bemerkte Heise.
Ich wusste nicht so recht wie ich reagieren sollte und sagte etwas
unbeholfen: „Danke.“

„Aber wie macht man das genau mit dem Telepathieren?“ Diese
Frage konnte man langsam mal stellen und Betty tat es.
„Warum fragt ihr das nicht früher?“ Chris war offenbar bereit,
Antworten zu liefern. „Das allerwichtigste, ohne das geht natürlich
gar nichts: Man muss sich trauen davon auszugehen, dass die
eigenen Gedanken von jemand anderem kommen.“
„Das ist plausibel. Ok ..“ Betty guckte ihre beiden jungen Kollegen
ein wenig angestrengt an und wandte sich dann wieder Chris zu. „Ich
stell‘s mir gerade vor.“ Ihr Tonfall schien etwas meditatives
einzuläuten. Sie schloss die Augen. Hätte nur noch gefehlt, dass sie
beide Zeige- und Mittelfinger zu den Schläfen geführt hätte.
„Normalerweise bin ich glaube ich eher allein in meinem Kopf.“ .. sie
machte eine Pause. „Ok, ich denke, wie verrückt ist das eigentlich,
was ich hier gerade mache. .. Aber ich will‘s versuchen. .. Ich will ..“ Sie
machte fragend die Augen wieder auf.

„Du willst?“ fragte Chris vertrauensvoll.
„Ich will die Gedanken anderer Leute denken.“ Sie fasste sich mit
beiden Zeige- und Mittelfingern an die Schläfen.
„Und wessen?“ Basti war nicht uninteressiert.
„Naja, wie wär‘s mit deinen!“ Chris sah Basti mit leicht auf-
gerissenen Augen auffordernd an. „Wenn ihr es nicht versucht, wird
das bei Leuten wie euch nie was.“
„Also gut.“ Basti rollte mit seinem Stuhl so weit ran, dass er Betty
gegenüber saß.
„Ich denk‘ immer noch nur, dass das verrückt ist.“ sagte Betty.
Chris guckte auf die Leinwand auf der Felix noch in Lübeck, aber
weiter Richtung Ostsee lief, und ging zum Mikrofon. Er rief das
Außenteam an, und bat darum, für zehn Minuten nicht gestört zu
werden. Schließlich setzte er sich wieder hin.
Basti schloss wie Betty die Augen.
„Versuch mal dir vorzustellen, du würdest denken, was Basti denkt.
Aber ganz langsam, nichts überstürzen.“ gab Chris Betty als Aufgabe
auf. Außerdem bedeutete er Sporty mit Handzeichen, dass er an Basti
glauben sollte und er selbst an Betty glauben würde. Sporty verstand
was gemeint war, und schaute Basti jetzt ernst an, wie ein Kind, das in
einen nicht jugendfreien Film darf und gerade versteht, dass der echt
gruselig wird. Obwohl das, was er jetzt machen sollte, nur ein
bisschen unheimlich war.
Chris setzte seinen besten Yogalehrer-Tonfall auf. „Entspannt euch.“
Beide nickten, weiter mit geschlossenen Augen.
Die vier saßen einfach da und warteten auf die Magie.
Chris sprach im ruhigen Tonfall weiter: „Denkt mal beide an einen
schönen, ruhigen Ort.“
Sporty atmete tief durch, während er versuchte nichts zu denken
und das Denken Basti zu überlassen. Basti wiederum dachte an
Bettys Kopf und sie an seinen. Chris hatte scheinbar nur die Beine
über Kreuz geschlagen, aber seinen einen Arm mit in Bettys Richtung
halb geöffneter Handfäche auf dem Oberschenkel abgelegt.
„Jetzt stellt ihr euch bitte in der Mitte eine Blase vor, so mit einem
knappen Meter Durchmesser.“ Chris wartete wieder, bis der Gedanke

in die Tat umgesetzt werden konnte.
„Stellt euch vor, ihr denkt beide an die selbe Blase in der Mitte.“ Er
ließ wieder eine Pause. „Haltet ihr es für möglich, dass ihr beide an
die selbe Blase denkt?“
„Fühlt sich so an.“ nuschelte Betty vor sich hin. Von Basti kam ein
nicht lauteres, bestätigendes „Mhmm.“
„Ok, jetzt achtet mal auf eure innere Stimme. Jeder für sich. Denkt
mal so laut es möglich scheint: ‘Hallo, hallo, hört mich denn keiner?‘“
Die beiden schnauften kurz lachend. Auch Sporty konnte sich ein
Lächeln nicht verkneifen. Er hatte inzwischen auch die Augen
geschlossen.
„Na gut, aber ich mein‘s ernst. Macht mal mit eurer inneren Stimme
so was wie Gesangsübungen.“ Chris sprach ruhig. „Zum Beispiel ..“
Chris sprach ruhig und langsam. „Mi mi miiii.“
Die beiden sahen offenbar einen Weg, das aufgetragene
umzusetzen, jedenfalls hatten sie wieder einen entspannten
Ausdruck. Auch Sporty hatte zu seiner eigenen Überraschung keinen
Lachanfall bekommen.
Chris machte ruhig einen weiteren Vorschlag: „.. eine andere
Gesangsübung wäre do-re-mi-fa-sol-la-si-do.“
Er summte noch ein bisschen und ließ dann wieder genug Zeit, die
Übung durchzuführen.
„Jetzt habt ihr eine feste innere Stimme. Basti, stell dir bitte gleich
deinen schönen Ort in der Blase vor, so dass Betty ihn sehen kann.
Und dann beschreibe den Ort, so als wären deine Gedanken nichts
geheimes. Und Betty, du guckst dabei in eure Blase hinein .. aber
nichts erzwingen. Du sollst Bastis Gedanken wie deinen eigenen
denken. Scheint das möglich?“
Die beiden hatten Vertrauen und murmelten etwas bejahendes.
„Dann versucht‘s jetzt mal. Lasst euch Zeit.“
Betty stöhnte fast ein wenig, als sei das auf jeden Fall nicht
unangenehm. Basti hingegen war einfach konzentriert.
Chris ließ noch eine halbe Minute verstreichen. Dann fragte er:
„Hast Du etwas gesehen?“
Betty öffnete die Augen, sah Chris an. Antwortete, als sei es

bestimmt falsch, aber mit sicherer Stimme: „Ich hab einen
Basketballkorb gesehen.“
Jetzt grunzte Sporty. Er hatte die Augen noch mit dem Kopf nach
vorne gebeugt geschlossen. Basti drehte sich zu ihm um. Sporty
guckte auf: „Das war ich!“
Betty war fasziniert: „Über einer Garage!“
Sporty nickte strahlend.
„Wow.“ sagte Betty.
„Ich hatte auch nicht den Eindruck, als machte ich das gerade
richtig.“ sagte Basti enttäuscht.
„Nicht schlimm. Aber hat doch ganz gut geklappt.“ resümierte
Chris.
Doch Betty war nicht zu bremsen: „Das war das Haus deiner
Kindheit. Du mochtest das und du hast den Korb tiefer gehängt,
damit du einen Dunking machen konntest.“
„Mein Vater hat den tiefer gehängt.“
„Ja.“ sagte Betty erstaunt, aber als wüsste sie das.
„Na gut. Ich bin ehrlich gesagt etwas überrascht, dass wir eine
Verbindung hingekriegt haben, aber .. also das ist Telepathie. Jemand
Tee?“

„Auf der Wanderung haben die die ganze Zeit mit ihrer
Strahlenkanonen-Drohne auf mich geballert. Also die CIA, glaube
ich. Das hat teilweise so genervt. Aber insgesamt war ich stolz wie
Oskar, dass ich diese Technologie am eigenen Leib erfahren durfte.
Ich ging davon aus, dass ich in der Sache zum Kronzeugen gemacht
werden sollte.“
„Zum Kronzeugen?“ fragte Heise.
„Ja. Dass die mich damit quälen, damit es später einen Gerichts-
prozess geben kann, in dem die Technik verboten wird. Das war auch
telepathisch Thema. Die waren ganz überrascht, wie viel ich für diese
gute Sache aushalten konnte. Weil außerdem das Thema war, dass
man die Technik nicht ganz verbieten sollte.“

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An dieser Stelle veröffentliche ich die folgenden vier Seiten am 14. 3. 2022, 9:07h CEWT

„Warum?“ Heise unterstützte mich wieder sehr dabei, alles zu
erzählen.
„Weil man damit Menschen wiederbeleben kann. Davon ging ich
jedenfalls aus. Mit einer Art Elektroschocks.“
Ich prüfte kurz die Stimmung in der Runde und hatte das Gefühl,
dass meinem Gedanken zumindest theoretisch gefolgt wurde.
„Das war aber im Nachhinein eher masochistisch von mir, das alles
auszuhalten. Ich hätte konsequenter Weise gleich zur Polizei gehen
können. Aber ich ging halt davon aus, dass die Täter sich selbst
anzeigen würden. So war es jedenfalls besprochen. Telepathisch
besprochen, versteht sich.“
„Jetzt gehen wir mal davon aus, dass das Ihre eigene Stimme war
und die Schmerzen sogenannte Körperhalluzinationen.“ Genau
deshalb hatte Heise mich wohl so kommen lassen. „Ich bin mir
sicher, dass Sie auch in dieser Art manchmal über diese Vorgänge
nachdenken.“
„Brff, das passt natürlich auch so alles zusammen. Also, keine
Strahlenkanonen, keine Telepathie. Körperhalluzinationen und eine
wirre Geschichte, die ich mir dazu ausdenke.“
„Wäre denkbar.“ Heise guckte mich mitleidig mit zusammen-
gepressten Lippen an. Ich hatte zumindest den Eindruck als wäre das Mitleid.

In einem dunkelgrünen Mittelklassewagen fuhren Ingmar,
Mathilda und Bart auf direktem Weg durch Lübeck. Ingmar saß am
Steuer. Auf dem Beifahrersitz versuchte Mathilda auf einem Laptop,
Felix Position zu beobachten. Bart saß hinten.
„Ich muss sagen, ich freue mich richtig, ihn mal in Natura zu
sehen.“ sinnierte Bart während er nachdenklich aus dem Fenster
schaute.
„Wenn es überhaupt dazu kommt.“ Betty war da skeptisch. „Wir
wissen noch nicht, was wir gleich für Anweisungen bekommen.“
„Ja, kann sein.“

„Aber die Stimmen waren einfach da. Sehr real.“ Ich bestand darauf,
zumindest so tun zu dürfen, als ob es so war. Heise ließ mich
gewähren. Vielleicht war seine kritische Betrachtung gerade nur
förmlich, damit die Studenten nicht dachten, er unterstütze meinen
Wahn.
„Ok, .. war dann also auf dem Weg zur Ostsee, obwohl ich
inzwischen fast zwei volle Tage unterwegs gewesen bin. Und das bei
ein paar TomTom-Erdnussriegeln, Keksen und einer Packung Brot.
Heute würde ich das nicht schaffen. So viel ist klar. Ich hatte dann
auch keinen Bock mehr und setzte mich an eine Bushaltestelle.“

„Wir haben eben telepathiert.“ berichtete Sporty dem Außenteam
stolz. Es knackte dann leicht in der Leitung, aber Sporty war sich
weder sicher, ob da jemand sein Mithören mitteilen wollte, noch, ob
er Mathilda am anderen Ende fragen sollte, ob sie das auch gehört
hätte. Da es auch ohne Knacken klar war, dass das Gespräch
mitgehört wird, fand er das auch einerlei.
„Ok?! Mit wem?“
„Eigentlich sollte Betty Bastis Gedanken lesen, aber dann kam die
Verbindung plötzlich mit mir zustande. Ja, es funktioniert also
wirklich.“
„Und warum hat das bei euch funktioniert? Also ich habe gerade
nicht an euch geglaubt.“
„Chris meint, wir stünden gerade ziemlich hoch in der Hierarchie,
weil die Silberrücken der anderen Dienste viel an Felix und seine
Beschützer denken würden. Also an uns.“
„Warte, ich stell dich mal auf laut.“ Mathilda schaltete das Gespräch
auf die Freisprecheinrichtung und wiederholte nochmal das Gesagte:
„Sporty erzählt, Betty hätte gerade Gedanken von ihm lesen können.“
„Ja. Ich pass‘ schon voll auf, was ich denke.“ fuhr Sporty fort. „Chris

sagt, die anderen Telepathen würden sich vielleicht mit uns
verschmelzen.“
Betty schob Sporty ein wenig weg vom Mikrofon. „Ok, wir schicken
euch gleich Koordinaten rüber. Von da aus könnt ihr Felix
beobachten, ohne dass er das mitkriegt. Er sitzt an einer Bus-
haltestelle.“
„Betty, stimmt das mit eurem Telepathieren?“ rief Bart von der
Rückbank.
„Ja, das stimmt. Also fahrt da mal hin, dann sehen wir weiter.“

„Ich saß da dann also in Lübeck-Kücknitz an der B75 in einem
Wartehäuschen, so kurz vor Mitternacht. Der nächste Bus fuhr aber
erst Morgens. Ich habe mich auf jeden Fall mit einer Frau vom CIA
unterhalten, das weiß ich noch.“
Es war nicht leicht die Situation so zu beschreiben, wie sie gewesen
ist. Ich ging vor allem reichlich auf die Erschöpfung ein. Und dass ich
nicht schlafen wollte, weil es recht kalt gewesen sei.

Auf der Liste trudelte eine Nachricht ein. Betty las sie und musste
feststellen: „Ok, wir haben ein Problem. Wo ist Chris?“
„Keine Ahnung.“ konnte Basti nur sagen.
„Ok, ich such ihn mal.“
„Was ist denn los?“
„Die NATO hat klargestellt, dass die letzte Nachricht nicht von
ihnen kam.“
„Oh oh.“

„Hatte die Frau einen Namen?“ wollte Heise wissen.
„Ja, ich hatte verstanden – und sie dann immer so genannt: Edith.

Also das englische Edith. Das ist übrigens interessant, so ein ‘th‘ im
telepathischen. Ich habe versucht deutlich zu denken, aber
insbesondere ein „th“ und scharfes ‘s‘ sind oft schwierig. Es kommt
mir dann manchmal so vor, als würden die, die meinen Gedanken
mitdenken, mir einen Sprechfehler andichten. Gerade wenn ich mit
anderen etwas denke, lisple ich manchmal in Gedanken. Als würden
meine Gedanken ins Lächerliche gezogen. Sie können das ja mal bei
sich beobachten. Manchmal ist es schwierig, deutlich zu denken.“
„Und dann denken Sie, andere würden Sie in Ihren Gedanken
veräppeln?“ fragte Heise.
„Jepp.“ ich offenbarte bewusst mal wieder meine Verrücktheit.

Betty fand Chris in der Teeküche, mit seinem Telefon vor sich
liegend, auf einem der beiden Barhocker sitzend. Er sah angespannt
aus.
„Chris, die NATO ist sauer ..“, doch Chris machte eine abwiegelnde
Handbewegung.
Betty ging um die kleine Tischplatte herum und schaute, ohne dass
Chris etwas dagegen zu haben schien, auf das Telefon. Die App aus
der Präsentation war geöffnet und ein gut erkennbares, wenn auch
altes, Foto von Chris wurde angezeigt.
Betty stieß einen überraschten Laut aus: „Heißt das, du bist gerade
im Chatraum?“
Chris schien nicht erfreut darüber, die App überhaupt geöffnet zu
haben. Aber er riss sich zusammen: „Unsere Differenzen sind
offenbar vorübergehend auf Eis gelegt.“
„Und was bedeutet das?“ wollte Betty wissen.
„Meine ehemaligen Kollegen stufen die Operation auch als wichtig
ein. Sehr wichtig sogar. Die wollen wissen ..“ jetzt brach doch
Verzweifung durch. „.. was wir hier so treiben.“
„Die hören Deine Gedanken ab?“
Statt Betty direkt zu antworten griff Chris sein Telefon und ging
raus: „Ich muss das mit Rolf besprechen.“

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Mit dem 15. 3. 2022, ca: 22:30h CEWT, vier hier neue Seiten

Er drehte sich nochmal um: „Behalte das bitte erst mal für dich. Ich
sage es den anderen besser selbst. Also, .. was auch immer.“

„Edith war in den Tagen häufg in meinen Gedanken. Mit dieser
wiederkehrenden Stimme habe ich vieles besprochen. Aber auch mit
anderen. Genau, jetzt erinnere ich es wieder. Ich wurde da richtig
herumgereicht in meinen Gedanken. Und zwischendrin kam aber
immer wieder Edith. Ich bin mir nicht sicher, ob ich das vermitteln
kann ..“
„Versuchen Sie es.“ ermutigte mich Professor Heise wieder.
„Also ich glaube, bei dieser Telepathie verschmilzt auch das
Unterbewusstsein. Deshalb hat man auch, wenn man das gar nicht in
Worten denkt, immer ein Gefühl dafür, mit wem man sich gerade
unterhält. Und ich unterhielt mich mit, wie gesagt, Gott und der
Welt.“
„Sie sagten, dass Sie über Gott und die Welt sprachen, aber nicht,
dass Sie mit Gott gesprochen haben.“
Ich lächelte, vielleicht schneller als die anderen.

Betty kam wieder ins Büro, wo Sporty und Basti mal wieder Signale
von den Manrays in Töne umzusetzen versuchten.
Basti saß am Terminal und Sporty am Musikprogramm. Ein
nächster Ton wurde einprogrammiert, und das Programm spielte die
bisherige Melodie ab.
„‘Voices inside My Head‘ von The Police“ sagte Betty trocken.
„Kenn‘ ich nicht.“ teilte Sporty ohne viel Anteilnahme mit.
„Guter Song.“ Basti konnte Betty offenbar nur zustimmen. Er setzte
sich an seinen eigentlichen Rechner und suchte das Stück raus. Betty
sang die Melodie noch ein wenig, dann spielte Basti den Song ab.
„Kennste wirklich nicht?“
Sporty hörte kurz zu. „Police ist irgendwie an mir

vorübergegangen.“
„Da haste ein bisschen was verpasst.“ sagte Basti und ließ die Platte
weiterlaufen.
Über die Sprechverbindung meldete sich Mathilda: „Wir haben den
Standort erreicht. Nichts besonderes. Zielperson sitzt an einer
Bushaltestelle im Wartehäuschen. Aber das seht ihr ja selbst.“
Betty ging zum Mikrofon: „Verstanden.“
Basti hatte derweil die Wärmebilder über eine Landkarte gelegt
und sich zur Leinwand begeben. Er wandte sich an Betty: „Sag ihnen
mal, dass ich die Lage besprechen will.“
Betty drückte den Sprechknopf: „Mathilda? Habt ihr alle eure
Stöpsel im Ohr?“
„Moment.“ Man hörte Mathilda die anderen beiden auffordern, die
Headsets aufzusetzen.
„Ok, sagt mal was.“ bat Ingmar das Büro.
„1, 2, 3, hört ihr mich?“ fragte Betty. Ingmar und Bart bestätigten.
Basti hatte inzwischen auch ein Headset aufgesetzt und schaltete es
jetzt ein. Er stand halb im Licht des Beamers und setzte an, die Lage
zu beschreiben: „Schade, dass Chris nicht da ist.“
Betty hatte die Musik ausgestellt, guckte wie Sporty zur Leinwand:
„Der kommt gleich wieder.“ sagte sie, in sich selbst überzeugendem
Tonfall.
„Ok, Felix sitzt, wie wir hier sehen, an der Bushaltestelle.“ er zeigte
das gesagte an. „Und das Außenteam ..“ ihm fel die geschwollene
Ausdrucksweise auf. „.. also Mathilda, Ingmar und Bart .. sind hier ..“
er zeigte auch das. „.. rund 1400 Meter entfernt auf diesem Parkplatz.“
„Könnt ihr ihn von da sehen?“ Sporty hatte sich zum Standmikrofon
herüber gelehnt.
„Die haben doch ihre Laptops dabei.“ warf Basti ein.
Mathilda meldete sich mit Einzelheiten: „Wir sehen ihn nicht. Aber
wir sind vorhin an der Bushaltestelle vorbeigefahren.“
„Und, wie ist er so?“ wollte Betty etwas läppisch wissen.
„Er hat gerade an einen Baum gepinkelt.“ antwortete Mathilda.
„Oh.“ sagte Betty und gab Basti mit einer Handbewegung zu
verstehen, dass er fortfahren könne.
„Haben wir das ja geklärt.“ sagte der.

„Ich denke schon, dass ich mich mit Gott unterhalten habe.“, gab ich
reißerisch bekannt. „Aber das ist nur deshalb möglich, da ich glaube,
dass Gott eine relative Größe ist.“
„Gott ist relativ?“ wiederholte Heise fragend.
„Genau. So macht alles für mich Sinn. Ich sage auch gern, dass Gott
hoffentlich selbst an Gott glaubt. Also ein recht praktischer
Gottesbegriff, könnte man vielleicht sagen.“
„Und Sie haben mit Gott telepathiert?“
„Das habe ich zumindest bei manchen Gesprächen gedacht. Es gab
andauernd Gespräche mit irgendwelchen Geheimdiensten,
Politikern oder ..“ Jetzt würden wieder alle lächeln. „.. Leuten vom
Vatikan.“ Zu meiner Überraschung schienen aber alle einfach
interessiert. Ich musste zwar schon diskutieren, aber un-
überwindbarer Widerspruch war selten. „Edith hat mir dann meist
erklärt, mit wem ich mich gerade unterhalte, wenn ich das nicht
sowieso gespürt habe. Aber es gab eben auch Stimmen, die anders
waren.“
„Göttlich?“ schlug Heise als Begriff vor.
„Nicht von dieser Welt.“ lautete mein Gegenvorschlag. „Diese
Stimmen schienen mir nicht menschlich.“
„Die Gruppe!“ Antonia meldete sich, nachdem sie sowieso schon
angefangen hatte zu sprechen. Sie nahm den Arm wieder runter und
fuhr fort: „Herr Longolius hat sich Gedanken darüber gemacht, ob es
Wesen gibt, die die Kontrolle über Telepathie haben. Hat er alles in
seinem Buch geschrieben.“
Ich glaube das Seminar sah mich jetzt fragend an. „Ja, bestenfalls
eine Novelle. ‘Mr. T-Cup und der (große) Abstimmungsapparat‘.“
„Gutes Buch.“ sagte Antonia. Sie war wirklich nett.
„Das klingt lustig.“ sagte Heise nun wieder.
„Nach dem Lesen hat das bisher nur mein Psychiater gesagt. Aber
danke, Antonia.“

„Gern.“
„Ich glaube in andere Sprachen übersetzt wäre es besser.“ fügte ich
noch kleinlaut hinzu.
„Naja, das können wir ja mal lesen. Aber zurück zu Ihnen, mitten in
der Nacht an einer Bushaltestelle, ausgelaugt, hungrig, Stimmen
hörend. Sie hörten zu dem Zeitpunkt die Stimme einer CIA-Agentin
und die von Außerirdischen, so habe ich es jetzt verstanden. Und
wurden herumgereicht in der Welt der Telepathie. Wie ging es
weiter?“
„Ich hörte Stimmen von Leuten, die ein neues europäisches
Telepathienetz aufbauen wollten.“
Heise lachte fast schon ein wenig: „Entschuldigung. Das wird ja ein
richtiger Agententhriller.“

Während der kleinen Konferenz der sechs kam Chris schwungvoll
ins Büro zurück.
„Lasst euch nicht stören.“ meinte er und setzte sich an einen der
Rechner.
„Alles in Ordnung?“ fragte Betty vielsagend.
„Ja, ja“ murmelte Chris, als sei nichts gewesen. Dann besann er sich
darauf, dass die anderen ein Recht darauf hatten zu erfahren, was
sich ergeben hat: „Es ist alles in Ordnung. Betty, hast du es den
anderen schon erzählt?“
„Nein.“
„Also, ich habe vorhin die App für das CIA-Netz eingeschaltet. Und,
holy moly, die Kollegen haben mich in den inneren Kreis geholt. Und
weil ich gleichzeitig im europäischen Netz einiges mitbekomme,
habe ich gerade ziemlich viel ..“ Das nächste Wort bedurfte einer
kleinen Sprechpause. „.. Macht.“
„Dann bist Du gerade eine Schnittstelle der beiden Netze?“ folgerte
Ingmar fragend über die Sprechverbingung.
„Die Sache ist die .. das CIA-Netz ist zwar unabhängig vom
europäischen Netz, aber die Europäer sind noch zu ungeübt, um sich

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Es geht nicht allen so gut. Lassen Sie bitte Raum für blöde Bemerkung, damit man diese bearbeiten kann.
Vier neue Seiten hier am 16. 3. 2022, ca. 21:30h CEWT

von den alten Netzen abzugrenzen. Ich leite also sozusagen gerade
eine telepathische Invasion.“
„Was du aber nicht willst, will ich hoffen.“ so Betty.
„Oh, besser ich, als jemand anderes. Das ist ja auch alles nichts für
die Ewigkeit. So.“ Er wandte sich dem Computer zu. „Die Mailingliste
wird jetzt eine neue Funktion erhalten.“
„Du willst die Liste nutzen um die Aufmerksamkeit zu lenken?“
Ingmar hatte gut aufgepasst.
„Rolf hat‘s genehmigt und es ist der nächste logische Schritt.“
„Und du telepathierst jetzt die ganze Zeit, oder wie muss man das
verstehen?“ wollte Sporty wissen.
„Ich bin sozusagen gerade ein Insasse eines think-tanks.“
„Und wer sitzt da noch drin?“ fragte Ingmar.
„Klar erkennen kann ich eine alte Kollegin. Die dürfte in Europa
stationiert sein. Außerdem sind die Kollegen in den USA sehr aktiv.“
„Über den Atlantik?“ Sporty wollte oder konnte es nicht wahrhaben.
„Direkt aus der CIA-Zentrale in Langley. Wenn die ihre Kräfte dort
koordinieren, können die sich rund um den Globus verbinden. Und
weil wir hier gerade auch noch einen ziemlich gewaltigen
Gedankenknoten bilden, ist die Verbindung ziemlich gut. Wundert
euch also nicht, wenn ihr die nächste Zeit eine seltsam positive
Einstellung zu Kampfdrohnen oder ..“ Chris überlegte, „.. der
Ermordung Che Guevaras verspürt. Das kommt nicht von euch,
sondern von denen.“
„Warum sollten die sich mit uns verbinden?“ Mathilda konnte sich
vieles auch nicht vorstellen.
„Weil wir ein Team sind. Diese Verbindung, die sich hier aufgebaut
hat, ist jedenfalls so stark, dass ihr auf jeden Fall etwas davon
abbekommt.“
„Du meinst, die CIA-Arschlöcher .. also, ihr könnt gleich deren
Gedanken lesen?“ fragte Ingmar aus der Ferne.
„Oh, da wäre ich vorsichtig. Die CIA-Arschlöcher ..“ Chris bekam
plötzlich Kopfschmerzen und fasste sich refexartig an den Kopf. Er
sprach jetzt schmerzverzerrt. „.. sind Vollprofs. Die sitzen was die
Telepathie angeht in einer undurchdringbaren Festung. Die können ..“

Chris stöhnte, „.. Arh, die können ihre Gedanken senden, ohne dass
sie sich mit eurer Kritik befassen müssten. Stellt euch vor, die hätten
Bodyguards um sich herumstehen, die den Rückkanal fltern.“
„Ähm, Chris ..“ setzte Betty etwas besorgt an. „.. das sind aber nicht
gerade Strahlenkanonen, die dich ..“
Chris unterbrach sie. „Nein, ich habe doch gesagt es gibt beides!“ Er
war so genervt, dass Betty eine gute Portion davon abbekam. „Die
können mich auch ohne Manrays so aussehen lassen.“
Chris verzog vor Schmerzen das Gesicht, während er tapfer
weitersprach: „Das sind eben deren Möglichkeiten. Sagt mir also
unbedingt Bescheid, wenn euch etwas unheimlich vorkommt.“
„Wollen die nicht, dass du uns das alles erzählst?“ wollte Sporty
wissen.
„Nein, das ist schon in Ordnung. Das ist mehr ein Willkommens-
gruß. Die haben noch einiges mit mir zu besprechen. Aber das muss
warten.“ Abermals wandte sich Chris dem Computer zu. „Ich werde
mal sehen, ob ich mir ein bisschen Entlastung von den Halunken
organisieren kann. Ich hoffe das europäische Netz ist reif dafür.“
Betty kombinierte das Gesagte: „Wenn du auch im europäischen
Netz bist, können die dich nicht so fertigmachen?“
„Das ist der Plan.“
„Was willst du schreiben?“
„Die Wahrheit.“

„Oh Mann, jetzt fällt mir das überhaupt alles wieder ein. Das war
ein Agententhriller. Also, Edith sagte mir dann, also, dachte dann mit
mir, dass diese Schmerzen nicht alle von den Drohnen kommen
würden. Edith war nett, wie gesagt. Aber ihre Kollegen könnten die
Schmerzen aus Foltergefängnissen umleiten. Und davon hätte ich die
letzten Tage eine Menge abbekommen. Schmerzen waren da .. und
schreckliche .. Gefühle. Ich saß da in diesem Wartehäuschen und
wurde sozusagen gefoltert. Das war nicht angenehm.“
„Das klingt in der Tat sehr unangenehm.“ pflichtete Heise bei.

Es wurde dann besser. Irgendwie kam mir wie gesagt ein Team
vom Bundesnachrichtendienst zur Hilfe.“

Chris schrieb eine sehr eindringliche Nachricht an die Liste. Etwas
verklausuliert zwar, aber für die lesenden anderen Dienste wohl klar
verständlich, bat er darum, dass das europäische Netz ‘über die
Weltpolizei nachdenken‘ solle.
Betty schlug noch etwas vor. Nämlich zu fragen, wer alles Zugriff
auf die Überwachungsdaten von Felix hat. Die Frage war aber
eigentlich mehr an Chris gerichtet. Betty wollte es einfach wissen.
Chris enttäuschte die früheren Vorstellungen, dass außer den
Amerikanern andere Dienste Zugriff auf die Übertragungen und das
Protokoll und den ganzen Kram haben.
Das fanden Basti und Betty, aber vor allem Sporty, dann ziemlich
schade. Und sie überlegten, was für ein tolles Fernsehprogramm
Felix für die Nachrichtendienste abgeben würde. „Klar, das Problem
ist, dass wir nicht wüssten, was die anderen Dienste mit der
Übertragung anfangen.“ überlegte Sporty. „Die könnten das ja
theoretisch ins Internet schicken.“
„Sporty.“ Chris schien Sporty zur Ordnung rufen zu wollen. „Daran
scheitert‘s nicht. Das Geheimdienstnetz ist dicht. Oder hast Du schon
mal Überwachungsdaten live auf uStream gesehen?“
„Na, ich überlege ja nur.“ Er ging nachdenklich umher und drehte
sich dann rasch zu den anderen. „Warum machen wir‘s dann nicht?“
„Was?“ Betty konnte nicht folgen.
„Die Daten für die Liste bereitstellen!“
„Wozu?“
„Viele Augen sehen mehr .. vielleicht wäre es doch sicherer für Felix
.. man könnte sich toll darüber unterhalten .. und .. darüber ..“ Sporty
dachte einfach laut drauf los. „.. und darüber nachdenken!“
Betty war angefxt: „Sag mal Chris? Wenn die europäischen
Telepathen genau wüssten, worüber wir nachdenken. Würde das
etwas für das Netz bringen?“

„Das wäre nicht sicherer für Felix.“ musste Chris beschwichtigen.
„Sporty hat vielleicht doch Recht. Solange wir nicht wissen, was die
anderen mit den Daten machen, ist das zu heikel. Wer weiß, wer ein
Interesse an einem Anschlag auf Felix hätte.“
„Wer wäre denn gefährlich?“
„Guckt doch einfach in die Zeitung. Da gibt es viele Kandidaten.“
„Ok, mal anders gedacht.“ forderte Betty auf. „Wie viele von den
Guten müssten Felix überwachen, damit die Bösen keinen Schaden
anrichten können?“
„Ich sehe deinen Punkt.“ sagte Chris. „Ich frag mal Rolf, was er
davon hält. Vielleicht sollte Big Brother eine Familie bekommen.“
Nachdem Chris weg war, fragte Sporty die anderen, ob sie
irgendwo ein Flipchart gesehen haben. Basti wußte eins: „Im Flur
rechts, hinter der nächsten Teeküche.“
Sporty kam dann kurze Zeit später mit den Filzstiften wieder, und
nahm sein Smartphone in die Hand. Offenbar hantierte er mit dem
Kompass herum. Dann hatte er eine Richtung angepeilt. Er ging zur
entsprechenden Wand und öffnete die Kappe vom einen Marker.
„Was um Himmels Willen hast Du vor?“ fragte Betty.
„Einen Moment ..“ in ungefähr einem Meter Höhe fing Sporty an zu
schreiben: New York.

„Also ich denke es wäre Zeit für eine Zusammenfassung.“ befand
Heise.
„Okay?“ Ich stimmte fragend zu.
„Sie sitzen da in diesem Wartehäuschen. Sie sind psychotisch. Sie
kennen das schon aus einer psychotischen Episode als Anfang-
zwanzig-Jähriger, aber dieses mal ist es nicht so beängstigend. Ihr
Problem ist dieses mal nicht, dass Sie in den Selbstmord getrieben
werden sollen, sondern vielmehr, dass Sie keine richtige Wohnung
und nichts zu essen haben.“
Heise hatte soweit recht, und das änderte sich auch mit seinen
nächsten Äußerungen nicht:

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Die folgenden vier Seiten erscheinen hier am 17. 3. 2022, ca. 20:45h CEWT

„Wenn ich so darüber nachdenke .. Sie fühlen sich vom Geheim-
dienst beobachtet .. Sie denken, bei einer technischen Revolution
eine wichtige Rolle zu spielen, nämlich der Einführung von, ja, so-
zusagen Rettungsdrohnen?“
„Rettungsdrohnen sage ich auch immer dazu.“
„Außerdem zeigen Sie die Stimmen, die Sie hören, bei 50
Geheimdiensten wegen einer Art Gedankenverbrechen an und
denken, dass diese gemeinsam dazu ermitteln.“
„Oh, wenn ich Sie das so sagen höre, klingt das ziemlich
größenwahnsinnig, oder?“ sagte ich.
„Das mag aus mancher Perspektive im pathologischen Sinne
größenwahnsinnig gewesen sein. Aber eigentlich muss man davon
ausgehen, dass Sie sich allgemein in einem wahnhaften Zustand
befanden.“
„Verstehe. Jetzt wie ich Sie das sagen höre, kann ich nur zu-
stimmen.“
„Aber es geht mir nicht darum, Sie jetzt für krank zu erklären.“
„Ok.“
„Es geht mir um Ihren Zustand in dieser Situation. Ob Wahn oder
nicht.“
„Ja. Ich dachte ich bin unverwundbar – wegen der ganzen
Überwachung. Und gleichzeitig fürchtete ich jederzeit ermordet
werden zu können.“
„Eben, danke.“ sagte Heise jetzt.
Ich hatte wohl etwas richtiges gesagt.
„Sie sitzen da in diesem Wartehäuschen und denken, die Hände
der politischen Macht würden schützend über Sie gehalten. Sie
telepathieren sogar mit der politischen Macht. Sie sind direkt mit
dem Staatsapparat verbunden. Mit dem wichtigsten internationalen
Geheimdienst CIA und, wie Sie zuletzt erzählten, auch mit einem
nationalen Geheimdienst. Die Macht kommt jetzt näher, wie Sie dort
in dem Wartehaus sitzen. Es wird jetzt spannend, stimmt‘s?“
„Professor Heise, das hätte ich nicht besser sagen können. Soll ich
also weiter erzählen?“
„Ich bitte Sie darum.

„Sehr gern.“
Ich rieb die Hände aneinander und setzte an zu erzählen:
„Okay. Ich glaube ich erinnere mich heute an einige Sachen, an die
ich mich sonst nicht erinnere. Da ist diese Stimme vom CIA, wie
Professor Heise richtig sagte. Ähm, wenn ich sage: ‘Diese Stimme
vom CIA‘ müssen Sie einfach mitdenken, dass mir klar ist, dass es
vielleicht meine eigene Stimme war.“
„Es war sogar mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit
Ihre eigene Stimme ..“ warf Heise ein. „.. Würde die Schulmedizin
sagen ..“ Da eigentlich alle zufrieden mit der Stimmung einer
Märchenstunde waren, ergänzte er noch lächelnd: „Ich muss das
sagen.“
„Damit kann ich leben.“ sagte auch ich lächelnd und erzählte
endlich weiter: „Ich stand dann auf, sicherlich auch weil mir kalt war.
In der Nacht gab es sogar Frost. Und ich war auf jeden Fall erschöpft,
wie selten zuvor in meinem Leben. Die Erschöpfung wird gleich
nochmal interessant.
Ich wollte wohl nicht mehr bis zur Ostsee, zurück wollte ich aber
auch nicht. Jetzt passierte schon mal etwas sehr interessantes. Ich
ging in einen Waldweg. Und von dort kam ein Auto. Das Auto war
vielleicht 80, 100 Meter entfernt. Da liefen plötzlich zwei Leute durch
das Licht der Scheinwerfer. Dann versteckten sie sich im Wald.“

Chris kam mit Michael im Schlepptau wieder.
„Ok, wir machen es!“
„Machen was?“ fragte Betty.
„Na, die Übertragung.“
„Aber das war doch nicht so ..“
„Doch, doch, das war schon ernst gemeint. Du dachtest wohl bloß,
dass der Laden hier zu träge für so etwas wäre!“
Er sagte, die Übertragung an die anderen Dienste könne stattfnden.
Basti solle es einrichten, dass die Überwachungsdaten gestreamt
werden können und der Bildschirm vom Manray-Terminal mit einer

Webcam abgeflmt wird. Die Videos sollten dann über eine
irgendwie gesicherte Verbindung an die Teilnehmer der Liste
gesendet werden. Und wenn sie wollten, gäbe es auch Ton. Die
Mikrofone, mit denen eigentlich Rolf und die anderen Vorgesetzten
das Team kontrollierten, könnten übertragen werden. Und ein
normales Mikrofon würde eingerichtet. Die Aufnahme des Tons
könne das Team dann aber selbst einschalten, wenn es etwas zu
sagen gäbe.
Michael hatte kurz später einen sehr starken Computer dabei, der
mit den Signalen verbunden wurde. Der Rechner sei für die
Übertragung zuständig.
„Ich werde mich nicht einmischen.“ sagte Michael kopfschüttelnd.
„Ich werde mich nicht einmischen.“
Chris verband sich mit dem Außenteam und erklärte die neue
Situation. Mathilda, Bart und Ingmar, die bis dahin weiter im Auto in
sicherer Entfernung zu Felix saßen, wunderten sich mal wieder
weniger als erwartbar.
Mathilda schlussfolgerte: „Bekommen wir hier dann Besuch?“
Sie meinte die anderen Dienste, die sich eventuell auf den Weg
zum Ort des Geschehens machen würden.
„Das ist denkbar.“ gab Chris zu verstehen.
„Okay.“ Bart war etwas ungehalten: „Ist das noch für den guten
Zweck, oder habt ihr nicht mehr alle Tassen im Schrank?“
„Vielleicht beides.“ so Chris. „Aber die Idee dahinter ist klar, oder?“
„Nein, ist sie nicht.“ gab Mathilda stellvertretend für das Außenteam
zu verstehen.
„Wir sind hier der Auffassung, dass das eine gute Gelegenheit für
die Taufe des europäischen Telepathienetzes ist.“
„Telepathieren jetzt alle außer uns?“ wollte Ingmar genervt wissen.
„Das ist jetzt auf die Schnelle nicht anders einzurichten. Macht bitte
einfach euren Job. Wenn ihr wollt, könnt ihr gern mal reinlauschen
ins Netz. Aber passt auf, dass ihr eure Aufgabe nicht aus den Augen
verliert. Also in erster Linie, auf Felix aufzupassen.“
„Und in zweiter Linie?“ fragte Mathilda.
„Das Programm mitzugestalten. Und dazu habe ich gleich eine

Bitte.“
„Ja?“
„Zeigt euch mal Felix. Er soll wissen, dass das ein besonderer
Moment ist.“
„Wir sollen uns ihm zeigen?“
„Na, ihr sollt nicht zu ihm hingehen und euch vorstellen. Er soll sich
nur sicher sein, dass er nicht allein ist. Lasst euch etwas einfallen.“

„Ja, und jetzt weiß ich wieder! Eine neue Stimme meldete sich. Und
stellte sich vor als der Mann, der 2003 wollte, dass ich mich
umbringe. Jetzt wolle er mir helfen. Genau. Das war nicht einfach der
BND, der sich bei mir meldete, sondern dieser Mann von damals, der
mir auch wirklich bekannt vorkam.“
Einer der Studenten meldete sich: „Wollen Sie nicht dazu sagen,
dass Sie sich vielleicht geirrt haben? Das machen Sie doch sonst
immer.“
„Ich müsste lügen.“

Betty nahm die nächste Meldung des Außenteams entgegen. Sie
hätten in rund 100 Metern Entfernung ein kleines Schauspiel
veranstaltet, bei dem Ingmar und Mathilda durch das
Scheinwerferlicht gelaufen wären, um sich dann hinter Bäumen zu
verstecken. Dann hätten sie das Licht ausgeschaltet, seien wieder ins
Auto gestiegen und weggefahren. Er dürfte sie gesehen haben und
sich gedacht haben, dass ihm da jemand etwas mitteilen wollte.
„Meintest Du so etwas?“ fragte Betty Chris, der jedoch etwas
abwesend den Schriftzug an der Wand betrachtete, den Sporty dort
angebracht hatte.
„Hmm?“ Er drehte sich um. „Jaja, sehr gut.“ Dann fragte er Sporty:
„Soll das der Anfang eines Globus von innen sein?“
Sporty war inzwischen in einer anderen Stimmung, als zum

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Das sind vier Seiten neu hier am 18. 3. 2022, ca. 4:45h CEWT

Zeitpunkt des kleinen Graffti und es war ihm sichtlich peinlich, aber
er konnte nur zustimmen: „Ich dachte vorhin, das passt.“
„Beim CIA haben sie auch so einen Raum. Der ist natürlich etwas
moderner. Da gibt es einen gläsernen Boden in halber Höhe im
Raum, und die Städtenamen haben eine Beleuchtung, aber warum
nicht so.“ Er nahm sich den Filzstift und stieg auf einen Stuhl. In der
Mitte des Raums machte er ein großes Kreuz an die Decke und
schrieb: Hier.
Betty fand das cool und versuchte zu verstehen: „Die für uns obere
Seite des Globus kommt an die Decke und die untere auf den
Boden?“
„Man kann auch mit verschiedenen Farben beide an die Decke
setzen aber ich dachte an die plastischere Variante. Nur, auf dem
Boden sehen wir nichts. Also gehen wir nicht tiefer als einen Meter
Wandhöhe und schreiben zu den Orten dazu, wie viel sie eigentlich
weiter Richtung Bodenmitte gehören.
„Und dann?“ Basti war sich nicht sicher, ob er überhaupt etwas
verstand.
„Mit so einem Globus um einen herum versteht man manchmal
besser, wer gerade an einen denkt.“
„Meinst Du, wir können auch ein bisschen Vermittlungszentrale
spielen?“ wollte Sporty wissen. „Also, für die Telepathie?“
„Vielleicht sollte uns die Senderegie für das Geheimdienst-
fernsehen erst mal reichen.“ Chris war schon wieder vom Stuhl
runter und gab Sporty den Stift: „Kartografier doch für den Anfang
die Hauptstädte von der Mailingliste.“
„Ok, wird gemacht.“
Chris verließ das Geschehen mit der Mitteilung, sich wieder kurz in
seinem Raum auszuruhen, bis alles für die Übertragung vorbereitet
wäre.

„Leider müssen wir für heute zu einem Ende kommen.“ sagte Heise
mit dem Blick auf die Uhr. Es gab ein enttäuschtes Raunen unter den

Studenten.
„Meinetwegen können wir ein bisschen länger machen.“ sagte ich.
Antonia meldete sich zu Wort: „Eine halbe Stunde müsste doch
noch gehen, bis der nächste Kurs den Raum braucht.“
„Das wäre aber dann freiwillig. Und für die die los müssen, müssten
wir alles protokollieren. Wer kann denn nicht bleiben?“
Keiner meldete sich. Also erzählte ich weiter.

„Er geht weiter in den Wald.“ meldete Ingmar beim Bunker.
„Das sehe ich.“ antwortete Betty, die gerade dafür zuständig war,
das Geschehen von der Zentrale aus zu überwachen.
„Wie lange braucht ihr eigentlich noch für die Übertragung?“
„Wir testen gleich alles einmal. Die anderen Dienste werden so in
20 Minuten eingeladen. Vielleicht etwas später.“
„Und was machen die Manrays?“
„Dafür haben wir gerade keine Augen.“
„Dann guck doch mal ins Protokoll. Felix verhält sich irgendwie
merkwürdig.“
„Inwiefern?“
„Er ist irgendwie .. zu zielstrebig .. dafür, dass er gerade Nachts um
zwei in irgendeinen Wald geht.“
„Ok, ich sitze jetzt am Terminal. Da ist .. rein gar nichts. Seit er von
der Bushaltestelle weg ist, haben wir keine Einträge.“
„Vielleicht ist Eure Verbindung gekappt worden.“
„Hier steht, der Terminal sei online. Aber Chris hat vorhin auch
einiges abbekommen. Der hatte totale Schmerzen. Und das waren
keine Manrays, sondern irgendeine Energie über das Telepathienetz.“
„Irgendeine Energie?“
„Ja, irgendeine negative Scheiße Energie.“
„Negative-Scheiße-Energie?“
„Ja. Was weiß ich ..“

„Ich ging jedenfalls davon aus, dass ich unter Beobachtung stand.“
sagte ich, und spürte deutlich die besondere Stimmung einer
Universitätsveranstaltung, die freiwillig in die Verlängerung geht.
„Und deshalb machte ich mir auch überhaupt keine Sorgen in diesen
Wald zu gehen, was für mich durchaus etwas besonderes ist. Seit der
ersten Psychose 2003, war ich nämlich ein ziemlich ängstlicher Typ.“
„Warum gehen Sie mitten in der Nacht in einen Wald?“ fragte
Antonia, ergänzte dann jedoch: „Die Frage ist vielleicht ein bisschen
blöd, weil Sie ja auch zu Fuß von Hamburg nach Lübeck wollten?“
„Ach, und deshalb hatte ich wohl einen guten Grund, in den Wald
zu gehen, wenn ich sowieso schon auf einer Irrfahrt war?“ sagte ich
gespielt grimmig, was Antonia zu einer gespielt beleidigten Grimasse
bewegte. Doch dann musste ich zugeben: „Ich weiß es nicht! Ich fand
den Wald einfach schön.“

Basti hatte inzwischen ein Bild in der Übertragungssoftware und
machte letzte Handgriffe an der Webcam für den Manray-Terminal.
Betty hatte Chris geholt, da sie nun bald auf Sendung gehen könnten.
Chris setzte sich an einen der anderen Rechner um eine Einladung
an die Teilnehmer der Mailingliste zu schreiben.
Sporty fasste den neuesten Stand zusammen: „Wir sehen, wer
zuguckt, über die Zugriffsstatistik des Videoservers. Wir können aber
nicht verhindern, dass die angeschlossenen Dienste das Signal
weitersenden .. auf dem wir nicht zu sehen sind, dafür Felix auf den
Wärmebildkameras unserer Drohnen. Außerdem sorgen wir dafür,
dass gleich ein Sechstel der Staaten der Erde über die Manrays
Bescheid weiß. Und wenn wir wollen, können wir mit den Diensten
auch sprechen, indem wir unsere Mikrofone einschalten.
Ich habe auch vorbereitet, dass wir einzelne Dienste auf den
Sender holen können. Aber sag mal, Chris .. Sollen wir dann wirklich
behaupten, Felix stünde in telepathischem Kontakt mit irgend-
jemandem?“

„Es steht schon in der Einladung. Hier, was denkt ihr?“ Chris winkte
die drei jungen Pioniere zu seinem Monitor heran. Dieses mal las
Betty laut vor:
Liebe Leser der weltpolizei.de-Mailinglist,
bitte beachten Sie, dass ab 1:40h MEZ eine Internetübertragung für
Sie bereitsteht. Bitte gehen Sie mit der gewohnten Sorgfalt mit den
klassifzierten Daten um. Das Projekt soll unter anderem dazu
anregen, gemeinsam zum europäischen Denken zu forschen und
eine neuartige Technologie der manipulativen Bestrahlung vorstellen.
Herzlichst, Ihr Bundesnachrichtendienst
Betty hielt den Monitor fxiert und wusste nicht genau, was sie von
dem Schreiben halten sollte:
„Bist du dir sicher damit?“
„Harry! Was machst du denn hier?“ fragte Basti einen der anderen
Chefs, der die Tür geöffnet hatte und ein Stück in den Raum
gekommen war.
„Was macht ihr hier für einen Scheiß?“
„Ich glaube nicht, dass Sie das etwas angeht.“ Chris war an ihn
heran getreten und schob ihn sanft aus dem Raum.
„Dieser Telepathie-Quatsch ist die letzte Scheiße. Hört auf damit.
Ihr macht uns lächerlich! Verdammte Kacke. Ich werde das beenden.“
„Ja ja.“ beschwichtigte Chris wenig einfühlsam. „Sie können uns ja
beim Kanzleramt melden.“
„Genau, das ..“
Chris schloss die Tür hinter ihm.
„Ungläubiger.“ sagte Chris mit einem breiten, aber genervten,
Lächeln.
„Äh, Chris. Das wird Ärger geben, meinst du nicht?“
„Herr Harry Schmidt ist einer der letzten, die ein Recht haben, sich
über ein bisschen Veränderung aufzuregen. Der hat sich schon zu
Überwachungsvideos einen runtergeholt, da wart ihr noch nicht
geboren. Schleimiger Typ, bäh!“
Betretene Stille machte sich breit. Chris setzte sich an seinen

Ich habe übrigens die These, dass das Polizei ist und man sich das gegenseitig zugespielt hat, also die Telepathie und nicht etwas anderes und das überall die Polizei im Griff hatte für Polizeiarbeit, Tunnel, lange Tunnel.

Lesen Sie auch „Mr. T-Cup und der (große) Abstimmungsapparat“ mit Mr. T-Cup und dem Fahrrad von Mr. T-Cup mit dem er nach Hause fährt von der Arbeit und mit einem Tunnel zum Abstimmungsapparat und dem Flughafen, an dem alles so aussieht, als flögen die Flugzeuge auch nachts.

Das hat doch alles Spirit hier, oder nicht. Da sieht man doch das zu verhindernde Schlechte als vielleicht sogar erkennbar, vielleicht sogar für so etwas wie Polizei erkennbar und kommt nicht auf dumme Ideen deshalb.

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An dieser Stelle freuen Sie sich mit jedem Leser über vier Seiten neu hier am 19. 3. 2022, ca. 0:15 CEWT

Rechner, und schickte die Einladung ab.

Die Erscheinung trat um drei Uhr dreizehn auf. Betty konnte es
deutlich sehen. Felix war auf dem Waldweg immer langsamer
geworden.

„Der Boden vor meinen Füßen glitzerte. Und meine Augen folgten
dem Schauspiel. Wie gesagt, ich war hundemüde. Aber das war nicht
einfach der Mondschein. Dann waren da seltsame, handgroße, ja, was
war das. Insekten? Kleine Roboter vielleicht. Aber sie sahen
intelligent aus. Wie Wesen von einem anderen Stern.

Bart insistierte: „Da ist nichts! Er steht einfach nur allein im Wald.“
Basti versuchte es nochmal zu erklären: „Betty sitzt hier in einer Art
Trance oder was. Und sie sagt, sie sieht Felix und er hat gerade
Besuch bekommen.“

„Ich schaute dann weiter nach oben. Da war ein Busch. Aber da war
eigentlich auch eine Stadt. Ich sah direkt auf eine Stadt die sich
irgendwo auf einem fremden Planeten befand.
„Ähm, Herr Longolius?“
„Ja?“
Professor Heise war wohl wieder Pflichtzweifel raus gerutscht.
Ich war beleidigt: „Ach wissen Sie. Ich muss das nicht erzählen. Das
.. ich kann .. ist doch vollkommen egal was ich gesehen habe.“
Ich kam in Rage.
„Wahrscheinlich waren da grüne Männchen, die mich auf ihr

Raumschiff entführt haben.“
„Herr Longolius, ich wollte doch nur ..“
„Und dann wurde ich vielleicht gefoltert. Mit Stromschlägen. Aber
die Außerirdischen haben gesagt, das darf ich niemandem erzählen!“
„.. sagen, dass wir zum Ende kommen müssen.“
Jetzt bemerkte ich, dass der Dozent des nachfolgenden Kurs mit
seinen Studenten im Rücken in der Tür stand.

Vor einer halben Stunde hatten Rolf und Chris das Startzeichen für
das wohl elitärste aller Fernsehprogramme gegeben.
Genau genommen auf zwei Kanälen, einem für das Bild der
Überwachungsdaten, das sie auch mit dem Beamer auf die Leinwand
warfen, und einem für den Manray-Terminal, würde sich das
Interesse eines guten Teils der internationalen Geheimdienste
sammeln, so der Plan.
Basti hatte gut zu tun. Es gab aber noch Zeit sich vorzustellen, was
sich in der Zentrale des FSB in Moskau wohl jetzt ereignete. Wie dort
in einem Büro zwei Monitore das Programm anzeigten. Und wie über
den Gang gerufen wird, dass alle mal herkommen sollten. Sich das
Büro schnell füllen würde und die Agenten zu entziffern versuchten,
was sie da empfingen.
Dann würde jemand sagen: „Die Deutschen sind verrückt
geworden.“
Sie würden das Programm in diesem Moment an die Chinesen
weiterleiten, wo in einem Büro zwei oder drei Leute mit niedrigem
Rang herausgeschickt würden, um ihre Plätze mit vier oder fünf
heran eilenden ranghöheren Beamten zu tauschen.
Die nächste Frage war, ob die CIA den Manray-Terminal abschaltet,
der ziemlich viel Aufmerksamkeit erregen würde. Oder, und das war
die zweite Variante, ihn über allerlei Signale als Sprachrohr nutzen
würde, mit dem man das Programm mitgestalten könnte.
Sporty analysierte derweil die Einschaltquote. Er winkte Chris und
Rolf heran und berichtete:

„26 IP-Adressen hängen insgesamt an unserem Stream. Ja, sehr viel
mehr kann ich nicht sagen. Nur elf Dienste geben sich zu erkennen
und haben sich mit identifzierbaren IP-Adressen angemeldet. Die
restlichen haben sich über irgendwelche DSL-Anschlüsse verbunden
und zwei verschleiern sich über das TOR-Netzwerk.“
„Ja, das geht nicht.“ sagte Rolf und fasste einen Entschluss. „Brecht
den Stream für alle außer den elf identifzierbaren Clients ab und
baut ein Begrüßungssystem ein. Ab jetzt kriegen nur noch die was zu
sehen, die uns sagen wer sie sind.“
Sporty sagte, das würde einen Moment dauern. Er könne den
Stream aber erst mal auf die elf beschränken.
Chris gab die neuen Spielregeln über die Mailingliste bekannt.

Das war peinlich. Professor Heise bat den nachfolgenden Kurs zwar
noch um etwas Geduld, um sich dann vor dem versammelten Kurs
bei mir zu entschuldigen. Doch es war eindeutig meine Schuld, und
ich verließ mit Tunnelblick das Gebäude.
Antonia erwischte mich gerade so noch. Sie schlüpfte eben noch in
den Aufzug, mit dem ich ins Erdgeschoss fahren wollte.
„Felix. Hallo.“
„Hallo.“
Es platzte nicht gerade aus Antonia heraus, warum sie mir
hinterher gelaufen war. Mein Groll über die vorangegangene
Verwicklung im Seminar war stark. Aber er war schwach genug, dass
ich selbst entscheiden musste, ob ich nett wäre oder die Wut an ihr
auslassen würde. Ich entschied mich für einen Mittelweg und sagte
nicht ‘Was willst Du?‘, sondern:
„Was gibt‘s?“
„Ich bewundere Dich.“
„Wofür?“
„Dass Du es mit der Realität aufnimmst.“
Ich lächelte.
Antonia lächelte nicht, sondern schaute mich nur an und dann

weg.
Wir waren allein im Aufzug und passierten gerade das siebte
Stockwerk. Ich drehte mich zu ihr.
„Warum werde ich das Gefühl nicht los, dass Du auch nicht ganz
normal bist.

Im Bunker liefen dann mehr Informationen von den Zuschauern
zusammen. Die Dienste die zum Programm eingeladen worden
waren, und erst mal ihr Zusehen kaschieren wollten, lieferten nach
der von Chef geforderten Umstellung artig beim Einschalten
staatliche IP-Adressen nach. Die Zugriffsstatistik sah in Bastis Augen
aus wie ein Fahneneinmarsch bei den Olympischen Spielen.
Allerdings waren erst 78 Nationen vertreten und die noch nicht mal
in alphabetischer Reihenfolge.
So genau konnte man es nicht sagen, aber von der Liste schienen
außer Schweden, Kroatien und Spanien schon alle da zu sein. Auch
Polen, die den Link zum Stream nach dem Verlassen der Mailingliste
aus anderer Quelle erhalten haben mussten.
Dann hatten unter anderem die Mongolen offenbar gerade
Kapazitäten frei und zur Freude aller, machte Israel bei dem Spiel
mit.
Basti musste an seinem Rechner die IP-Adressen der
Zugriffsanfragen, erst einmal zuordnen. Wenn es klar schien, wo eine
Anfrage herkam, also aus einem staatlichen Adressbereich, wurde
der Zugriff freigegeben. Die Genauigkeit war allerdings mau. Ab und
zu hörte man ihn rufen:
„Chris, das Gesundheitsministerium von Nigeria?“ oder „Der Dach-
verband der australischen Kindergärten?“
Worauf Chris zumeist eine winkende einladende Handbewegung
machte.
Nur die Anfragen, die kein nachrichtendienstliches Können
vermuten ließen, wurden abgewiesen. Denn das war alles gewiss
nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, auch wenn jeder von ihnen das

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Die nächsten vier Seiten die hier neu erscheinen neu am 19. 3. 2022, ca. 12:30h CEWT

ein bisschen schade fand.

Es kam wie es kommen musste. Antonia erzählte, dass sie auch
Psychotikerin sei und sich nach einer Krise als später Teenager für
das Psychologiestudium interessiert hatte. Und später zur Medizin
wechselte. Denn sie wolle unbedingt Psychiaterin werden.
Ich bohrte etwas nach und es stellte sich heraus, dass sie zu allem,
was ich erzählt hatte, ein eigenes Pendant zu berichten hatte. Sie
kannte die Welt der Telepathie fast genau wie ich!
Wir beschlossen gemeinsam etwas essen zu gehen und zwar in
einem griechischen Restaurant.

Als gerade die Marke von 80 zugeschalteten Diensten geknackt
wurde, bat Chef das Mikrofon für ihn freizuschalten. Er wolle das
Programm etwas persönlicher gestalten und sehen, ‘wie die Welt
darauf reagieren‘ würde.
Basti gab Chef ein vorbereitetes Mikrofon in die Hand und öffnete
die Tonspur.
Rolf räusperte sich ziemlich ungeschickt knapp am Mikrofon
vorbei und begann den Kommentar:
„Hello!“ sagte er schwungvoll. Gleichzeitig fing Chris an zu kichern
und Betty zeigte mutmachend den Daumen-hoch.
„Hello, Ladies and Gentleman.“ Wohl, da Chef sein Publikum nicht
sehen konnte, war er total verunsichert. Chris war weiter amüsiert,
aber Betty machte eine emotional und Basti eine technisch
begründete Geste, dass er weitermachen könne.
Chef entschied sich anders und machte zu Basti eine Bewegung, als
schnitt er sich mit dem Finger den Hals durch. Basti verstand und
schloss die Audiospur wieder.
Als man sicher sein konnte, dass der Befehl ausgeführt war, platzte

Chris zurückgehaltenes Lachen heraus. Betty hingegen war nur
darauf aus, ihn zu unterstützen:
„Sie können das! Machen Sie einfach weiter.“
Chef erklärte die Unterbrechung:
„Ich dachte gerade, warum machen wir das ganze nicht auf
Deutsch? Und wenn der sich so beölt ..“ er zeigte genervt auf Chris. „..
wie soll man sich da konzentrieren?“
„Rolf, es waren einfach ..“ das Lachen rollte kichernd aus. „.. Es war
einfach ein herrlicher Anfang für das BND-Fernsehen.“

Ok, wir sind natürlich beide einmal Veganer gewesen, aber
irgendwas hielt uns seit einem Krankenhausaufenthalt davon ab.
Zunächst einigten wir uns darauf, dass die Medikamente einen
ziemlichen Heißhunger verursachen. Später stellte sich heraus, dass
wir es beide nicht mehr so mit Karma hatten und uns weder für die
Reinkarnationszyklen der gegessenen Tiere noch unsere eigenen, zu
interessieren vermochten.

Basti öffnete den Kanal wieder.
„Meine Damen und Herren. Zunächst, sehen Sie uns bitte nach,
dass wir in deutscher Sprache senden und somit vermutlich nicht in
der am weitesten verbreiteten.
Dann will ich Ihnen einmal beschreiben, was Sie dort in der
Übertragung sehen.“
Chef holte noch einmal tief Luft und versicherte sich bei Chris, dass
er nicht allein war.
„Auf dem einen Stream, den wir Ihnen senden, sehen Sie die
Überwachungsmaske einer Projekts, bei dem wir auf einen unserer
Staatsbürger aufpassen. Der hat, wie Sie vermutlich alle wissen, vor
einigen Wochen bei uns, wie bei rund 50 Kollegen, Anzeige gegen
die Stimmen in seinem Kopf erstattet. Oder, wie es schnell von Ihnen

paraphrasiert wurde, Anzeige gegen Gott. Da er damit ..“
Die Ausführungen wurden jäh unterbrochen, da Betty plötzlich in
sich zusammensackte und vom Stuhl fel. Basti eilte heran und
checkte ihre Lebensfunktionen. Er legte sie richtig auf den Boden. Er
war zwar sehr besorgt, gab Chef aber zu verstehen, dass er
weitermachen könne.
Chef entschied sich dafür, das auch zu tun.
„.. Da er damit einigen Staub aufgewirbelt hat, geben wir Ihnen die
Möglichkeit, sich selbst ein Bild zu machen.“
Schließlich setzte sich Chef an den Rechner, dessen Bild gerade
gestreamt wurde und zeigte mit dem Mauszeiger, was dort zu sehen
war.

Vollkommen voll gefressen rollten wir aus dem Restaurant, in dem
wir, wenn es denn der Wahrheit entsprach, gerade das ein oder
andere Rätsel der Weltgeschichte gelöst hatten. Natürlich
telepathierten wir nicht, obwohl .. eigentlich wäre das naheliegend
gewesen. Wir gingen dann so die Straße entlang spazieren, ohne uns
auf ein Ziel geeinigt zu haben.
„Felix?“
„Ja?“
„Ich muss Dir etwas sagen.“
„Nur zu.“
Ich nahm Antonia am Arm, damit sie wie ich stehen bleiben würde.
„Warte.“
Ich überlegte jetzt zu vermuten, also ihr zu sagen, dass ich es weiß.
Dass sie Agentin des BND ist und seit 2010 auf mich angesetzt ist.
Dass sie in Wirklichkeit gar nicht schizophren ist, und auch nicht an
der Alster wohnt. Dass sie mich neulich nicht zufällig getroffen hat,
sondern mich gezielt angesprochen hat. Doch ich überlegte es mir
anders.
„Warte. Sag es mir nicht. Sag einfach das übernächste, was dir
einfällt.“

Antonia war scheinbar einfach gut aufgelegt und überlegte nicht
allzu lange.
„Wir können auch ein Taxi nehmen.“
„Wohin?“
„Na! Zu mir.“
Ich war nicht nur etwas perplex. Dann sah ich nur noch ihre Augen.
Sonst gucke ich Leute immer etwas unterhalb ihrer Augen an. Aber
jetzt ..
Ich küsste sie und sie küsste mich.
„Was hattest Du denn vorher sagen wollen?“

Chris übernahm Bettys Aufgabe, die Nachrichten auf der Liste zu
lesen. Basti kümmerte sich weiter um sie, weshalb das Publikum erst
mal auf die 84 Clients, die er bis dahin reingelassen hatte, beschränkt
blieb. Sporty kannte sich mit dem System überhaupt nicht aus und
fuchste sich stattdessen gerade in die Tontechnik ein.
Chef beendete die Erklärungen zur Überwachungsmaske und
schaltete dann sein Mikrofon einfach am Mikrofon selbst aus, da
Sporty noch nicht so weit war.
„Wie geht es ihr?“ fragte er Basti, als Betty gerade wieder zu sich
kam.
„Sie ist ohnmächtig oder was.“
Betty lag mit dem Oberkörper auf Bastis Schoß, wie man es nicht
gerade aus Erste Hilfe Ratgebern kannte, sondern eher aus
Hollywood-Filmen. Basti sprach sie liebevoll fragend an:
„Kannst Du sagen was Dir fehlt?“
Betty brachte aber erst mal nicht viel mehr als ein ‘Äh‘ raus. Sie
fragte entweder nicht ‘Wo bin ich‘ weil sie es wusste, oder, weil sie
dazu nicht in der Lage war.
„Das wird schon wieder.“ meinte cool Chris. „Sie wird uns gleich
einiges zu erzählen haben. Ich würde eure Aufmerksamkeit gern auf
die Liste lenken wollen.“
„Und was ist mit Betty?“ fragte Basti. „Vielleicht sollten wir mal die

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An dieser Stelle neu die folgenden vier Seiten am 20. 3. 2022, ca. 20:45 CEWT

Ärztin rufen, hmm?“
„Leg ihr etwas unter den Kopf und komm rüber. Sie wird schon
wieder.“
Chef gab Basti zu verstehen, dass er es so machen soll und rüber zu
Chris Computer kommen soll, wo er und Sporty bereits standen.
„Es ist zwar nichts unerwartbares passiert ..“ leitete Chris ein. „..
doch das ist immer noch höchst interessant.“

Antonia sagte nicht, was ich sie gebeten hatte, nicht zu sagen. Statt
dessen winkte sie ein Taxi, das gerade vorbei fuhr, heran, und öffnete
mir die Tür. ‘Was soll‘s‘ dachte ich mir und stieg ein.
„Papenhuder Straße“ gab Antonia dem Fahrer als Ziel auf und .. das
war ganz in der Nähe der Statue mit den ‘Drei Mann im Boot‘, wo sie
also wirklich wohnte. Und mir war es auch einerlei.

Die Liste würde nicht der einzige Kommunikationskanal sein, der
zwischen den Nachrichtendiensten der Welt zu dem Thema gerade
bedient wurde. Sie war vielmehr der inoffzielle offzielle Kanal, um
das Geschehen zu kommentieren.
Was die 84 zugeschalteten Internetanschlüsse mit ihrem Em-
pfangsrecht anstellten, war zudem tatsächlich unklar, und somit war
es nicht verwunderlich, dass sich Spanien zwar zum aktuellen
Geschehen äußerte, aber keine der 84 IP-Adressen von dort kam.
Die Spanier äußerten sich dann als erste abfällig zur Bildqualität.
Man könne viel behaupten, dazu, was man da zeigen würde. Wenn
man doch nichts erkenne! Sie würden darüber hinaus in 30 Minuten
eine Übertragung der ersten bemannten Mars-Landung streamen.
Die CIA sprang auf die Pointe auf und erklärte, dazu sei es leider zu
spät. Man sei bereits im Jahre 1984 auf dem Mars gelandet.
Den Mars gibt es gar nicht, verkündete der MI6, woran sich ein
knappes Dutzend der Listenteilnehmer anschlossen. Die einigte sich

darauf, dass das, was man für den Mars halten würde, Nord-
Koreanische Massenvernichtungswaffen wären, wodurch man sich
dem eigentlichen Thema, wenn auch etwas willkürlich, wieder
näherte.
Der MI6 reagierte prompt und gab bekannt, dass ihnen gerade ein
Fehler unterlaufen sei, der Mars doch existiere und die USA
tatsächlich 1984 darauf gelandet seien. Allerdings nicht mit einem
Raumschiff.
Die Frage, wie man auf dem Mars ohne ein Raumschiff landen
könnte, führte dann bald zum Einwurf des Wortes Telepathie, und
das eigentliche Thema wurde wieder ganz erreicht.
Chris bat Chef der Liste schreiben zu dürfen, dass Telepathie
wirklich existieren würde. Der verneinte die Bitte aber, und wollte
statt dessen die Manrays vorstellen.
Die CIA sah das offenbar voraus und fing an, irgendetwas mit Felix
zu veranstalten, das mit allerlei Blinken auf dem Terminal einherging.

Professor Heise war ein kluger und darunter ein sensibler Mensch.
Er war sich nicht sicher, ob die Uhrzeit angemessen war, um Herrn
Longolius anzurufen, während er die Telefonnummer aus seinem
altmodischen ledernen Adressbuch suchte. Aber seine Frau, eine
ebenso patente Person, und ein hervorragendes Gegenstück zu ihm,
um eine – zumindest für Außenstehende – neidisch machende Ehe
zu führen, hatte ihn beraten.
Erst mal bezog sie ziemlich klar Stellung zu der Frage, ob sie
meinte, dass der Seminar-Gast ihres Ehemanns möglicherweise eine
sehr besondere Person ist. Besonders in dem Sinne, dass er entweder
einer der wenigen ist, die echte Stimmen hören. Oder, falls es viele
Stimmenhörer gibt, einer der wenigen, die von ihren echten
Stimmen berichteten. „Kann mir gut vorstellen, dass ihr wegen des
Missverständnisses mit dem nachfolgenden Kurs einiges verpasst
habt.“
Das war jetzt nicht des Professors Art, nach besonderen

Einzelheiten zu hecheln. Er war mehr am Gesamtpaket psychische
Krankheit interessiert, sagte er zumindest, statt viel auf Geschichten
von Außerirdischen zu geben. Ach, Herrn Longolius ging es aber
vielleicht gerade mies mit dem entstandenen Streit, wenn man das
so nennen konnte.

Das Blinken auf dem Terminal, kam für die Vorstellung der Manrays
dramaturgisch passend.
Da Betty von Sporty in den Ruheraum gebracht worden war, schien
für Rolf der Eindruck gebannt, es wäre herzlos, das Programm
weiterzuführen. Er ließ sich von Basti die Zuschauerzahl nennen,
welche bei 102 langsam gesättigt zu sein schien. Wenn man bedenkt,
dass die das Programm alle leicht weiterleiten konnten, war das auch
eine sehr gute Quote, eher sogar beängstigend.
„Dies ist ein Terminal, der zu einer Anlage für manipulative
Bestrahlung, kurz: Manrays, gehört. Das Herzstück der Anlage ist eine
Diagnose- und Bestrahlungsvorrichtung, wie sie, wie in diesem Fall,
auf eine Drohne gesattelt werden kann.
Die Diagnoseeinheit kann eine Person erkennen, analysieren und
ihr folgen. Das Ergebnis sehen Sie sehr schön in dieser schema-
tischen Darstellung unseres besagten Staatsbürgers. Hier.“
Er hatte sich neben den abgeflmten Manray-Terminal gestellt und
zeigte nun mit einem Kugelschreiber, so dass nur seine Hand im Bild
zu sehen war, was er erklärte.
Er musste feststellen, dass das Blinken etwas heftig war, erklärte
aber weiter, was es zu dem Terminal und der Bestrahlung zu sagen
gab.
Es war sehr heftig. Die Anzeige von Felix Bestrahlung sah mehr aus,
wie eine von einem Studenten der freien Kunst programmierte
Leuchtreklame. Es war lediglich an der Intensität der einzelnen
Bestrahlungsdosen zu erkennen, die gering waren, dass er davon
möglicherweise nichts mitbekam. Bedeuten würde das wahr-
scheinlich, dass die Kollegen von der CIA irgendwelche kryptische

Botschaften sendeten. Das wirkte auf Chef beunruhigender, als wenn
Felix gegrillt würde.
Abseits der Übertragung, sprach Basti Chris an. Er stellte fest, dass
ihm das mit der Diagnose-Funktion der Drohnen noch gar nicht
bewusst war. Dass die Hoffnung, damit Menschen auch helfen zu
können, damit ja ziemlich an Berechtigung gewann.
Chris bejahte. Und erklärte Basti darüber hinaus, dass die Salven
die die Drohne gerade feuern würde, kleinen Programmen folgen
würden. Automatisierte Befehle, die in diesem Fall eine Art Morse-
Code waren, die jedoch auch ganz anders genutzt werden könnten.
Er hätte das damals in den USA im Versuch mit Tieren gesehen.
Fernsteuerung. Ferngesteuerte Tiere. Dass man damit aber nicht
ohne Weiteres vorm Menschen halt machen würde und in der
Vergangenheit auf jeden Fall dazu geforscht habe.
Chef machte ein Zeichen, dass Basti den Audiokanal wieder
schließen sollte.
„Was denkt ihr?“ wollte Chef von den beiden wissen.
„Oh, Rolf .. Sie sind der geborene Entertainer.“

„Guten Abend, Herr Longolius. Entschuldigen Sie bitte, dass ich so
spät noch störe.“
Ich sagte zu Heise, das sei schon in Ordnung.
„Ich wollte mitteilen, dass ich hoffe, dass Sie dem Seminar erhalten
bleiben. Was denken Sie? Können wir beim nächsten Mal wieder
anknüpfen, wo wir aufgehört haben?“
„Also.“ Ich überlegte.
Antonia, die neben mir auf ihrem Sofa saß, füsterte mir fragend zu:
„Will er, dass Du weitermachst?“
Ich hielt die Hand auf den Hörer und bejahte, ebenfalls füsternd,
ihre Frage. Dann sagte ich zu Heise in den Hörer, dass er dran bleiben
möge.
Antonia füsterte immer noch: „Was willst Du?“
„Ich weiß es nicht.“

##
weil heute echt ein Tag war noch vier Seiten

„Dann sag ihm das.“
Ich überlegte noch kurz und nahm dann den Hörer wieder ans
Ohr.
„Herr Heise?“
Er war noch dran.
„Ich würde gern noch ein bisschen Bedenkzeit haben.“
Heise stellte fest, dass das zumindest kein klares Nein sei.
Ich bedankte mich dann für den Anruf. Nein, er habe nicht gestört.
Es sei schön zu hören, dass er sich wünschte, dass ich weitermache.
Das Gespräch war beendet. Ich überlegte und fragte dann Antonia:
„Interessiert dich eigentlich, was ich dann im Wald gesehen habe?“
Sie nickte drei, vier mal.
Das könne sie dann ja im Seminar erfahren, sagte ich neckisch. Ich
würde wohl weitermachen.
„Oh, komm!“ Antonia schlug und warf gleichzeitig ein Sofakissen
auf mich. „Spann mich nicht so auf die Folter.“
„Es wäre .. ungerecht .. den anderen Studenten gegenüber, wenn
ich es dir schon erzählen würde.“ sagte ich.

Die angeschlossenen Geheimdienste wussten jetzt, oder konnten
nicht mehr leugnen, dass es diese Techniken gab.
Noch zu bearbeiten war wohl die Frage, was Geheimdienste
eigentlich so über ihre Psychotiker dachten. Also, ob es zum
Aufgabenbereich der nationalen Sicherheit gehörte, ob Menschen in
der Heimat und anderswo telepathieren konnten. Oder ob Menschen
in der Heimat und anderswo Botschaften von Gott oder
Außerirdischen empfingen. Oder, ob Geheimdienste die eigentliche
intellektuelle Elite der Gesellschaft waren. Oder, ob man bei der
Frage des meta-Physischem den Ball lieber fach halten sollte. Wenn
es jemand wusste, dann die Nachrichtendienste.
Und die Kirchen.
Polen wollte wieder auf die Liste.



Wir liebten uns von elf bis vielleicht ein Uhr. Schliefen dann eine
Weile, aber es war noch dunkel, als wir uns auf ein Neues liebten.
Dann schliefen wir wieder. Weil die Gummis aufgebraucht waren,
unterhielten wir uns nach dem nächsten Aufwachen. Eigentlich
wachte Antonia auf und weckte mich dann.
„Erzähl mir, was Du im Wald gesehen hast.“
„Das erzähl‘ ich im Seminar.“
„Erzähl‘s mir jetzt.“
„Geduld ist die Mutter der Porzellankiste.“
„Es heißt: eine Tugend.“
„Eine Tugend ist die Mutter der Porzellankiste.“
„Porzellanladen.“
„Porzellanladen.“
„Erzähl‘s mir.“
„Geduld ist eine Porzellankiste im Porzellanladen.“
„Du bist blöd!“
„Ich bin blöd.“
„Nein, du bist nicht blöd.“
„Ich bin nicht blöd.“
„Du bist ein Elefant.“
„Hast du Kaffee?“
„Ja. .. Mann. .. Du bist blöd.“
„Willst Du auch einen?“

Die Nacht war klar und der Frost kam. Das Außenteam beobachtete
Felix per Luftüberwachung und Nachtsichtgeräten dabei, wie er den
Waldweg abschritt. Als absehbar wurde, dass er gleich in ein kleines,
aber für Norddeutschland recht imposantes Tal gehen würde, wurde
Bart mit dem Nachtsichtgerät näher zu ihm ran geschickt. Die beiden
anderen blieben derweil am Auto.
„Ingmar?“ bat Mathilda um Ingmars Gehör.

„Mathilda.“ bestätigte ihr seine Aufmerksamkeit.
„Ist doch ziemlich irre alles, fndest du nicht?“
„Oh, man sagt doch, wir nutzen nur 10 Prozent unseres Gehirns.
Diese ganzen Sachen die wir die letzten Tage gelernt haben – es
kommt mir vor als würden wir von den 90 Prozent die bisher
schlummerten, ein paar Prozent aufwecken.“
„Hmm, das mit den 10 Prozent ist eine längst überholte Theorie.
Aber ich glaube ich verstehe was du meinst. Das alles verändert
weniger, als dass Neues dazu kommt?“
„Naja, jetzt wollen wir mal nicht ungenau werden. Das verändert
schon auch einiges.“ Ingmar hatte irgendwas im Handschuhfach
gesucht, klappte es aber jetzt zu. „Warum stimmt das mit den 10
Prozent des Gehirns nicht?“
„Die Evolution hätte die Gehirne längst auf die aktiven Bereiche
schrumpfen lassen.“
Mathilda nahm das Funkgerät um Bart zu kontaktieren:
„Bart, siehst Du ihn wieder?“
Bis eine Antwort kam, war noch Zeit für einen Gedanken:
„Ich versteh nicht, wie man das alles so gut vor uns verheimlichen
konnte.“
„Ja, ich hab ihn wieder. In 400 Metern. Ich steck‘ mir mal eine an.
Obwohl mir hier die Finger abfrieren.“
„Mach das.“
Mathilda nahm das Funkgerät nochmal an den Mund: „Aber
rauchen ist ungesund.“
„Naja, wenn zum Telepathieren Glauben gehört .. davon gibt‘s hier
ja nicht so viel.“
„Und in den religiösen Ländern? Warum gehört das da nicht zur
Öffentlichkeit?“
„So wie ich es verstanden habe, weil der Glaube immer nur in die
eine Richtung geht. Zu denen die ohnehin mächtig sind.“
„Also keine Doofheit. Sondern Telepathie ist einfach kein
Massenmedium?“
„Hört auf mit dem Scheiß!“ füsterte Bart schreiend über Funk.
„Bart, was ist los?“

„Seid ihr das nicht?!“
„Was? Wir sind am Auto.“
„Ich hab hier einen leuchtenden roten Punkt auf der Brust.“

Wir saßen dann so da in Antonias kleiner Küche und schlürften
unseren Kaffee. Das war nicht irgendwie auch mal schön einfach zu
schweigen, nein, eine ganze Welt tat sich auf.

„Rolf! Chris! Verdammt, Bart wird von einem Scharfschützen
anvisiert!“
„Schalte uns mal durch auf sein Funkgerät.“
Mathilda verband das Büro mit Bart.
„Bart, was ist los?“
„Ich sitz‘ hier und rauche eine, da taucht ein leuchtender roter
Punkt auf meiner Brust auf. Ich meine, wenn mich hier jemand
umlegen wollte, wäre ich sowieso geliefert. Also habe ich mal den
Rauch gegen den Lichtstrahl gepustet. Er kommt von der
gegenüberliegenden Seite des Tals, in das Felix gerade geht. Ich hab
mich aber jetzt trotzdem erst mal verschanzt.“
„Gut gemacht, Bart. Dann seid ihr wohl nicht mehr allein. Wir
werden mal sehen, was wir rausfnden können.“
Chris empfahl Chef, die Drohnenleitstelle zu bitten, die Gegend
abzusuchen.
„Spiel nicht den Helden. Wir kümmern uns drum.“

Ich weiß ja nicht, worüber Antonia so nachdachte, aber ich war
erstens happy, zweitens psychotisch. Ich stellte mir wieder vor, dass
sie damals in dem Team war, das die ganze Sache begleitet hatte.
Und, egal ob sie im Team war oder nicht, dass sich das Team mit mir

##

freute, dass ich offensichtlich nach all den Jahren, eigentlich das erste
mal als Erwachsener, eine Freundin hatte. Ey, ob ihre Wohnung
überwacht wurde, war mir doch im Endeffekt nicht so wichtig.
Überwacht wurde ich immer. Also immer wenn etwas in meinem
Leben von Bedeutung war, war ich mir sicher, dass das irgendwo
registriert wurde.
So ist das, wenn das so ist. Dass es Außerirdische gibt. Nur, dass die
andauernd Zeit für mich hatten. War ich so wichtig, oder war denen
so langweilig. Dazu gab‘s eigentlich keinen Anlass, fnde ich. Weil es
so vielen Menschen – im Gegensatz zu mir – schlecht ging. Die
konnten alle jemanden brauchen, der an sie glaubt.
Denn die Außerirdischen glauben an die Menschen.
„Antonia, ich glaube Gott glaubt an die Menschen.“
„Hmm?“ sie hatte uns zwei Toast gemacht und stand gerade am
Kühlschrank.
„Die Außerirdischen glauben an die Menschen .. vielleicht mehr als
andersherum.“
„Wenn ich das wäre, was du Außerirdische nennst, wäre ich
ziemlich beleidigt, so genannt zu werden. Klingt wie Ausländer.“
„Ach, genau da bin ich auch mal drauf abgefahren. Aber
inzwischen fnde ich, das Wort ‘Ausländer‘ ist nichts schlimmes.“
„Ausländer genannt zu werden ist nichts schlimmes?“
„An und für sich ist das Wort Ausländer nichts schlimmes.“
ergänzte ich, mit dem Gefühl, mich zurecht nicht mehr durchsetzen
zu können.

Es passierte dann noch ganz viel. Zum Beispiel geriet Chef außer
sich, weil die Luftüberwachung behauptete, da sei niemand, der auf
Bart gezielt haben könnte. Aber vor allen Dingen schlurfte Betty
plötzlich ins Büro:
„Ich unterhalte mich mit Felix.“
„Betty!“ sagte Chris freudig.
Sporty schob ihr einen Stuhl unter den Hintern.

„Was war denn los? Und was meinst du mit: ‘du unterhältst dich
mit Felix‘?“
„Er ist in meinem Kopf. Lass mal sehen ..“
Betty bat, die Wärmebilder sehen zu dürfen.
„Wir haben abgemacht, dass er gleich zweimal beide Arme
hochhebt.“
„Wie jetzt?“ wollte Rolf wissen, kam aber dann selbst drauf: „Willst
du damit sagen, du bist auch in seinem Kopf?“
„Mhmm! Ist ein prima Kerl. Sag mal, kommen wir da nicht
irgendwie näher dran?“
„An Felix? Naja, Bart sitzt in seiner Nähe im Gebüsch. Aber der ist
gerade mit was anderem beschäftigt.“
Rolf überlegte nochmal.
„Obwohl, wir können ihn mal fragen.“ Rolf funkte Mathilda an.
„Könnt ihr mich nochmal mit Bart verbinden, bitte?“
Einen Moment später war Bart zur Stelle.
„Chef, was gibt‘s?“
„Bart, sag mal, was macht der rote Punkt?“
„Malt Herzen in die Luft.“
„Malt was? Ah, ok. Dann bist du wieder an Felix dran?“
„Er sitzt auf einem Baumstumpf.“
„Ok, kannst du uns Bescheid geben, falls er auffällig beide Arme
hochhebt?“
„Beide Arme? Hat er gerade gemacht, wieso?“
„Betty will das telepathisch mit ihm verabredet haben.“
„Au weia. Und ich dachte, er denkt er sei ein Vogel.“
„Hehe, ein Vogel ist er auf jeden Fall. Ok, halt uns auf dem
Laufenden.“
Rolf beendete die Verbindung, und guckte Betty mit einer
Mischung aus Verlegenheit und Stolz an.
„Du hast dich nicht zufällig mit Bart abgesprochen?“
„Warum sollte ich das tun.“
„Ja ja, war nur ‘ne Frage.“
„Rolf, das ist eine höhere Macht, die die beiden miteinander
verbindet.“ Chris kniff den einen Mundwinkel zusammen. „Gott oder

Außerirdische.“
„Prima.“ sagte Chef offenkundig sarkastisch. „Dann kann die
Staatsmacht den Laden ja jetzt zu machen.“
„Och, ich glaub die wollen ehrlich gesagt mit uns zusammen-
arbeiten“ erwiderte Chris.

Wir rauchten viel zu früh unsere ersten Zigaretten. Während
Antonia unter der Dusche stand blätterte ich ein bisschen in einer
thailändischen Punk-Rock Zeitschrift, die sie mir zu lesen gab. Dann
durfte ich unter die Dusche und wurde das erste mal seit Wochen
richtig wach.
Antonia musste dann zur Universität. Und ich hätte am Nachmittag
wieder einen Termin beim Psychiater. Beschwingt gingen wir aus
dem Haus und knutschten uns, bevor sie den südlichen Weg um die
Alster nahm und ich den nördlichen.
Ich sah ihr noch ein wenig hinterher und begab mich dann selbst
in den Morgenverkehr.
Die Menschen lächelten an diesem sonnigen Tag und, zumindest in
meiner Erinnerung, zwitscherten die Vögel. Ich hörte keine Stimmen,
hatte aber das Gefühl, die unsichtbaren sieben Zwerge laufen um
mich herum und freuen sich mit mir.

„Gut, Betty. Oder sollte ich dich Felix nennen?“
„Rolf, nenn‘ sie bloß nicht Felix. Wir sind hier nicht beim Ouija. Wie
sagt man das bloß auf deutsch?“
„Gläserrücken.“ sprang Sporty Chris bei.
„Ok, dann etwas amtlicher. Betty, was weißt du über die ZP? Was
denkt er? Was hat er vor?“
„Felix weiß eigentlich sehr gut Bescheid. Es ist erstaunlich. Ich
meine, woher soll ich eigentlich wissen, was er weiß und was ich
weiß. Aber ich bin mir da ziemlich sicher, dass ich das unterscheiden

kann. Also er weiß genau, dass die CIA mit der Strahlenkanone an
ihm dran ist. Er unterhält sich mit einer Edith, die bei denen arbeitet.
Ich hab‘ sie auch kurz kennengelernt. Ganz nett. Und irgendwie ..
mächtig.“
„Ja, Edith.“ Chris hatte sich bis zur Wand entfernt, an die er lehnte,
und guckte gerade aus einem konzentrierten Zuhören auf. „Sie ist
Dauergast im inneren Kreis. Sie auf unserer Seite zu wissen,
zumindest im Moment, ist sehr gut. Sie gegen einen zu haben, kann
hingegen ganz schön dramatisch werden.“
„Irgendwas ist da bei Felix.“ sagte Betty, nicht ohne sich wieder die
Fingerspitzen an die Schläfen zu halten.

Professor Heise, die heute vielleicht 22 Studenten einschließlich
Antonia, und ich, saßen uns sehr bewusst und vielleicht etwas
lauernd gegenüber. Die hatten das ja alle mitbekommen beim letzten
Mal. Plötzlich war dann aber eine gut aufgelegte Stimmung im Raum.
Wir wollten alle wieder eintauchen in die Welt der Psychose, hatte
ich das Gefühl. Bis auf den einen. Der neulich sagte, ich könne ja
auch in einer Behindertenwerkstatt arbeiten, statt im Supermarkt
nicht zu bezahlen. Aber er ließ es nicht raushängen.
„Ja. Hallo alle miteinander.“ begrüßte Heise das Publikum der
Märchenstunde. „Wir sind inzwischen zu Experten von Herrn
Longolius Psyche geworden. Und sind letztes mal stehengeblieben,
oder mussten Schluss machen, bei einer neugierig machenden
Erzählung über, ja, was war das eigentlich, Herr Longolius? Eine ..“
„Wir sind bei einer Erscheinung stehengeblieben.“ sagte ich
übertrieben nüchtern.
„Eine Erscheinung. Sie befnden sich im Wald und dann sehen sie
etwas auf dem Boden.“
„Richtig, ich stehe, zugegeben total abgekämpft, im Wald.“

##
Vier neue Seiten, hier und anderswo, am 22. 3. 2022, ca. 17:45 CEWT

„Er guckt auf den Boden.“
Sie hatten Bart gefragt, was die ZP gerade mache.
„Oh Mann. Das glaubt ihr mir nie.“
„Was ist, Betty?“
„Da stehen, warte .. 1, 2, 3, 4, .., 9, 10, 11.. da stehen ein gutes Dutzend
Leute bei Felix rum. Oder sogar mehr. Ja. Da sind noch mehr.“
„Wie kommst du darauf?“ fragte Rolf, machte sich dann aber klar,
dass sie die Frage nicht wird beantworten können.
„Chris, wie kommt sie darauf?“
„Es geht offenbar los.“
„Was geht los?“
„Eine .. Vorführung. .. Von ..“
„Von?“
„Ach, verdammt. Von Gott oder den Außerirdischen. Ich hab so was
schon mal gesehen.“

„Naja, und dann dreh ich mich um, und seh‘ sie vor mir.“
„Was sehen Sie vor sich?“
„Außerirdische. In drei Reihen. Große, kleine, helle, dunkle,
hübsche, eigentlich alle sehr schön. Nur manche sahen nicht aus wie
Menschen. Aber die meisten schon sehr menschlich. Acht, vielleicht
Zehn in jeder Reihe. Und neben mir standen noch zwei. Die konnte
ich aber nicht erkennen. Also, wenn ich die neben mir angeguckt
habe, habe ich auch nicht mehr gesehen. Aber die ganzen anderen
habe ich mit den Augen gesehen. Ja, so war das.“
„Haben die etwas gesagt?“ wollte Antonia jetzt wissen.

„Die zwei die neben ihm stehen. Die .. ich glaube die untersuchen
ihn. Die haben sowas in der Hand, wie .. Metalldetektoren.“
Rolf guckte Chris fragend an.
„Betty, sagen die etwas zu Felix?“ versuchte Chris herauszufnden.

„Ja, wir haben uns die ganze Zeit unterhalten. Aber .. was haben die
gesagt?

„Die unterhalten sich irgendwie. Aber ich versteh‘s nicht. Und dann
sind da die zwei die ihn untersuchen. Ich glaube, die meinen das
nicht ernst. Fragt mal Bart nochmal, ob er was sieht.“

„Vielleicht haben wir uns auch nicht die ganze Zeit unterhalten.
Aber die haben sich mit Leuten hinter mir unterhalten. Da waren
irgendwie Leute hinter mir. Denen haben die etwas über mich
erzählt.“

„Nein, da ist nichts. Das würde ich schon sehen. Aber er hat sich in
meine Richtung gedreht.“
„Dann sind die mit dem Laserpointer jetzt hinter ihm?“
„Wahrscheinlich.“

„Ich habe echt nicht viel behalten, außer der Tatsache, dass die da
waren. Und dass sie irgendwelchen Leuten hinter mir mitgeteilt
haben, dass ich ein dufte Typ bin. Und, dass sich die Außerirdischen
fragen, was ich eigentlich für eine Lebensform bin. Also insgesamt
ein ziemlich erhebendes, lustiges, herzzerreißendes Schauspiel. Da
war .. noch was. Aber ich erinnere es nicht. Nach 15 oder 20, vielleicht
auch 30 Minuten, war der Spuk dann vorbei. Ich ging dann weiter

durch den Wald. Da glitzerte noch alles. Als wenn noch ganz viele
Leute von anderen Planeten anwesend sind. Sehr triumphal, sehr
viele Tränen.“
„Sie haben also nicht die fehlenden 247 Gebote erhalten oder so
etwas?“ fragte Heise.
„Naja, es ging schon darum, wie man die Welt verbessern kann.
Aber das war ein ziemlicher Ego-Trip. Als wolle man mich ein
bisschen aufmuntern. Jetzt weiß ich wieder! Sie haben noch sehr
eindringlich gesagt, ich würde das schon machen.“
„Sie würden das schon machen?“
„Ja.“

„Ich sag‘s doch. ‘Sie machen das schon‘ haben sie ihm gesagt.“
„Aber .. was?“
„Na, prff, ehrlich gesagt, vielleicht, die .. Welt verbessern?“ sagte
Betty zögerlich. „Ich hab nicht viel verstanden. Aber das war ganz klar
zu hören. ‘Sie machen das schon.‘“

„Wenn ich auf die Kinder aufpassen soll, dann brauche ich diesen
Akku! – Ja, ich hab doch gesagt, dass ich arbeiten muss und ich kann
ja schlecht auf dem Spielplatz sitzen und mein Notebook ohne Akku
benutzen. Also schick‘ bitte einen Kurier. – Ja, zum Gericht. – Danke.“
Er legte das Telefon in die Ablage bei der Gangschaltung, aber da
war es schon zu spät. Die Sirene heulte einmal kurz auf, und im
Rückspiegel sah er ein Polizeiauto und den eindeutigen Hinweis, dass
er rechts ran fahren sollte.
„Führerschein ‘nd Fahrzeugpapiere bitte.“
„Warum denn?“
„Sie haben während der Fahrt telefoniert. Das ist eine Ordnungs-
widrigkeit.“
„Ja, ich bin gerade auf dem Weg zum Gericht. Sagen Sie mal, haben

Sie gar nicht mein Nummernschild überprüft, bevor Sie mich
angehalten haben?“
„Warum denn?“
„Na, mein Name ist Frank Richter. Ich bin Richter beim
Bundesgerichtshof.“
„Und?“
„Ja, schon gut. Was kostet denn das?“
„40 Euro und einen Punkt.“
„Na, das geht ja noch.“
Frank war 48 Jahre alt und wohnte jetzt seit acht Monaten in der
Gerichtsstadt Karlsruhe, wo er tatsächlich Bundesrichter geworden
ist, wenn auch beim XII. Senat. Das störte ihn aber gar nicht. Eine
Koryphäe im Familienrecht zu sein war etwas, auf das er stolz war.
Sein kleiner Sohn hatte versucht, mit dem Akku seines Dienst-
Notebooks sein komisches Legospielzeug anzutreiben, oder so
ähnlich. Jedenfalls brauchte er einen neuen. Und weil die BGH-IT
mindestens vier Tage gebraucht hätte, einen neuen zu besorgen, hat
er sich einen privat bestellt. Der wurde heute morgen ziemlich genau
in dem Moment geliefert, als er gerade losgefahren war. Und weil er
nachher die Tochter vom Kindergarten abholen sollte – Ach, 40 Euro
und ein Punkt.
Doch er war ziemlich sicher, dass die Polizisten wussten, wen sie
da gerade anhielten. Aber, über so etwas darf man sich nicht
aufregen, in seiner Position. Wäre er dunkelhäutig, könnte man
überlegen ob das diskriminierend gewesen ist. Aber es gab keinen
schwarzen Bundesrichter. Worüber machte er sich schon wieder
Gedanken.

„Ja, so war das. Ich wollte dann zu Hause weiter an meinem
internationalen Notrufsystem gebastelt.“
„Wie sind Sie denn überhaupt nach Hause gekommen?“ wollte
Heise wissen.
„Mit dem Bus.“

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Hier gibt es diese vier neuen Seiten, meine Damen und Herren, am 22. 3. 2022, ca. 21:00 CEWT

„Aber Sie hatten kein Geld.“
„Ach, manchmal lassen sie einen so mitfahren, manchmal nicht.
Der Busfahrer ließ mich wohl mitfahren, wenn ich mich richtig
erinnere. Außerdem war es offenbar so kalt an dem Morgen, dass
Glatteis herrschte. Der Fahrer hatte wohl auch einfach Mitleid.“
„Und was ist das genau mit diesem Notrufsystem?“
„Oh, das war eine von diesen Ideen, die vielleicht nur ich selbst
richtig verstehen konnte. Ich wollte eine Webseite bauen, auf der
sich Journalisten, Hilfsorganisationen und Sicherheitsbehörden
vernetzen können. Dann bin ich über diese Telefonsoftware
gestolpert und habe mich darin verheddert. Ach, das war sowieso
nicht zu schaffen für mich allein, gerade mit meinen bescheidenen
Programmierkünsten. Aber, vor allen Dingen, bin ich viel zu sehr zum
Einzelkämpfer geworden. Bei der Deutschen Bank habe ich einen
Kredit beantragt. Habe denen das Konzept vorgestellt. Aber man
kann der Bank da wirklich keinen Vorwurf machen. Eine Seite war
mein Konzept lang. Ach, wissen Sie .. ich würde gern Schluss machen
für heute.“ Heise reagierte nicht gleich, deshalb begründete ich meine
Bitte. „Jetzt habe ich diese Erscheinung geschildert. Und dann meine
unverwirklichbare Idee. Das passt doch nicht zusammen.“
„Was für einem unvorstellbarem Druck setzen Sie sich auch immer
aus. Nur weil Sie diese Webseite haben, müssen Sie doch nicht im
Alleingang die Welt verändern.“
„‘Sie machen das schon‘, haben die mir gesagt!“
„Abgesehen davon, das das unter Umständen auch eine
Halluzination gewesen sein mag, heißt das doch nicht, dass Sie den
großen Wurf landen müssen.“
„Wie Sie meinen.“ Ich nahm schon einmal vorsorglich meine
Sachen, da ich mir sicher war, dass ich gleich gehen würde. Dann war
mir aber eines noch sehr wichtig:
„Aber die Sachen, die ich da gesehen habe, waren echt. Ganz
vielleicht waren die Außerirdischen eine 3D-Projektion von einem
Geheimdienst. Aber ausgedacht habe ich mir das nicht.“

Felix nahm den Bus nach Hause. Ingmar stieg zur Sicherheit mit
ein, durfte aber auf Anweisung von Chris und Rolf nicht eingreifen,
als Felix fast nicht mitfahren durfte. Weil er natürlich immer noch
kein Geld hatte. Da waren sie absolut streng.
Ingmar hätte ihm die Fahrkarte kaufen können, wenn der Busfahrer
härter eingestellt gewesen wäre. Er hätte es tun können, aber nicht
gedurft. Aber das war ja dann egal.
Es war jetzt Viertel nach sechs Uhr morgens. Alle waren
hundemüde, außer Betty, die immer mehr mit Felix zu verschmelzen
schien. Zumindest feberte sie sehr mit, als Felix den warmen Bus
kommen sah. Und war dann genau so glücklich wie er, als er sich
einen Platz gesucht hatte, und aus dem Fenster guckend, die
Ereignisse der Nacht Revue passieren ließ.
Rolf und Chris mussten gerade bei den zur Frühschicht
angetretenen anderen Leuten, die etwas zu sagen hatten, die Taten
der Nacht verteidigen.

Ich ging dann tatsächlich, wollte aber noch unten vor dem
Gebäude, auf der kleinen Wiese, auf Antonia warten. Denn der Kurs
war nicht zu Ende, nur weil ich gegangen war.

Rolf und Chris kamen von ihrem Tribunal wieder. So hatten Basti,
Sporty und Betty ihre Abwesenheit jedenfalls bezeichnet.
Die beiden schienen jedoch ziemlich glücklich, eigentlich hatten
sie sogar offensichtlich den Schalk im Nacken. Chris stellte sich vor
den Dreien auf und Rolf stand schräg links hinter ihm und stützte
sich, ja, wie ein Betrunkener mit dem linken Arm auf Chris Schulter
auf. Chris kicherte in die Hand:
„So, Leute, wir haben mächtig Anschiss bekommen für unsere
unverschämte Anmaßung von Entscheidungsgewalt.“
„Ich denke das war alles abgesprochen!“

„Pssst, Sporty. Sei doch mal still.“ schaffte Rolf Chris Gehör.
Betty und Basti waren inzwischen angesteckt durch die gute Laune.
Es war eigentlich nicht klar, wo die konkret herkam. Aber es hatte
wohl damit zu tun, dass sie letzte Nacht allen, oder fast allen,
Geheimdiensten des Planeten, zu einem kollektiven Erlebnis
verholfen hatten.
Sporty musste dann entgeistert auch lächeln.
„Also,“ fuhr Chris schließlich fort. „Harry hat sich beim Kanzleramt
beschwert, weil er ganz, ganz böse war auf uns.“
„Ganz, ganz böse.“ bekräftigte Rolf.
„Ja, und wir mussten uns gerade mit denen unterhalten.“
„Ganz, ganz böse.“ ergänzte Rolf, als wären ihm, bis auf die ersten
vier, alle seine bisherigen Lebensjahre geklaut worden.
„Und, sie sagten, sie wollen das wir das Programm abschalten.“
„Oh nein!“ Basti war echt enttäuscht.
„Aber 175 Geheimdienste aus aller Welt hätten sich bei der
Regierung gemeldet und gebeten, dass das Programm weiterläuft,
und dem könne man sich ja schwer entziehen.“
Die drei jungen Agenten waren begeistert.
Rolf machte einen Schritt nach vorne an Chris vorbei und gab Basti
einen Zettel.
„Das, Basti, ist eine Liste der IP-Adressen, die ab sofort dauerhaft
zugucken dürfen. Die anderen musst du leider aussperren.“
„Ok?“
„Ja, die australischen Kindergärten waren nicht die Australier selbst,
sondern Nord-Korea.“
Basti lachte und fuchte gleichzeitig: „Oh nein, das tut mir leid!“
„Nicht schlimm. .. nicht schlimm. Wir wollen nur mal sehen, ob sie
auf die eine oder andere Forderung eingehen, um weiter zuschauen
zu dürfen.“
Basti guckte sich die Liste ein erstes Mal genauer an: „Die Chinesen
sind auch nicht mehr drauf. Und .. und die Russen auch nicht.“ Er
guckte auf.
Chris zuckte die Schultern: „Hm, Pay-TV?“
Er verließ nach Rolf den Raum, rief dann aber noch: „Ach so, wir

wollen bald unsere erste Live-Schalte machen.“
„Äh, Ok!“ rief Sporty zurück. „Wohin?“
„Brüssel!“
„Brüssel?“
„NATO!“
„NATO?“
Chris kam nochmal zurück und sagte jetzt in normaler Lautstärke:
„Fogh Rasmussen hat um Sendezeit gebeten!“ und lächelte breit.

Antonia kam dann irgendwann nach dem Ende des Kurses, sagte
aber, heute sei das ‘ganz schlecht‘ mit ihrer Zeit und, dass wir uns
nicht treffen könnten.
„Was ist morgen?“ wollte ich wissen.
„Weiß noch nicht, mal sehen. Ok?“
Ich bekam einen Knutscher auf die Wange und da verschwand sie.

Ingmar strahlte, als er über seinen Knopf im Ohr mitgeteilt bekam,
dass der Mann, der drei Reihen vor ihm im Bus saß, gleich Thema für
Anders Fogh Rasmussen, den NATO-Generalsekretär, im BND-
Fernsehen werden würde.
Felix nahm derweil das erste Mal seit gestern Abend sein
Smartphone in die Hand. Er schrieb eine SMS an sich selbst.
„Gerissener Hund!“ stieß es aus Chris heraus. „Sagt man doch so?“
„Mhmm, .. was ist los?“ Basti rollte mit seinem Stuhl ran.
„Er schreibt sich selbst eine SMS. Also, er schreibt natürlich uns.“
Basti rollte zurück an seinen Rechner und legte das Protokoll auf
den Beamer.
Die SMS lautete:
Wenn ihr meinen Hals nicht in Ruhe lasst, gehe ich zur Polizei.

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Weitere vier Seiten am 22. 3. 2022, ca. 22:15 CEWT an dieser Stelle

„Was hat er denn mit dem Hals?“
„Die Manrays sind‘s nicht. Schätze die würden dem Bus auch gar
nicht hinterher kommen.“
„Mein Hals tut auch ziemlich weh.“ sagte Betty etwas leidend. „Als
würde den jemand zuschnüren. Negative-Scheiße-Energie?“
„Bitte was?“ Rolf konnte nicht folgen.
„Negative-Scheiße-Energie. Hat Chris auch vorhin abbekommen.“
„Chris?“ Rolf drehte sich fragend zu Chris.
„Die Kollegen haben mir vorhin einen ganz besonderen
Willkommensgruß geschickt. Schmerzen. Irgendwie aus der
Telepathie heraus. Aber wie das genau funktioniert weiß ich nicht.“
„Chris, bitte.“ Sporty hielt das Unwissen für unglaubwürdig und war
sich nicht zu schade, das auch kundzutun.
„Ja, was soll ich euch sagen. Wenn ich erkläre, dass die Leuten die
Luft abdrehen, also foltern, und deren Empfndungen zu Felix
schicken. Würdet ihr das glauben? Oder klingt es wahrscheinlicher,
dass es die böse Seite der Macht wirklich gibt und bei der CIA, und
übrigens nicht nur da, ein paar Darth Vaders arbeiten?“
„Würde auf das gleiche hinaus kommen.“ fand Sporty.
„Ok.“ Betty hielt sich inzwischen ein bisschen den Hals. „Und wie
werden wir das los?“
„Erst mal ist das nicht tödlich. Also nicht so.“
„Beruhigend.“
„Ich könnte jetzt sagen, ‘denkt alle an was Schönes‘, aber ich glaube
wir können auch weiter oben ansetzen. Ok ..“
Chris ließ sich von Sporty eine Cola-Flasche geben. Er stellte sie in
der Mitte des Raums auf den Boden.
„Wenn ihr diese Cola-Flasche vor ..“ Chris sah sich kurz um.
„.. Negativer-Scheiße-Energie beschützen wolltet, wie würdet ihr das
machen?“
„Sie in den Kühlschrank zu stellen, würde wohl nichts bringen,
oder?“ fragte Rolf, und meinte damit, dass Wände offenbar keinen
Schutz baten.
„Ja.“ musste Chris bestätigen.
Betty hatte eine andere Idee: „Man muss das irgendwie mit

Telepathie bekämpfen können.“
„Wir haben uns doch vorhin diese Blase vorgestellt zwischen uns.“
stieg Sporty ein. „Ich kann mir das nur als Fantasien vorstellen. Aber
wenn man viel Aufmerksamkeit ..“ Sporty wurde klar, dass Star Wars
gerade wahr zu werden schien. „.. Macht? Hat? Dann bewirkt die
Fantasie vielleicht wirklich etwas.“
„Und an dieser Stelle müssen wir bedauern, dass man so etwas
nicht in der Schule lernt. Aber vielleicht können und sollten wir
einen Crash-Kurs veranstalten.“
„Wir müssen jetzt erst mal die NATO auf den Sender holen.“
unterbrach Rolf.
„Ja, ok. Aber das mit der Blase ist schon nicht schlecht. Probiert das
mal ein bisschen. Probiert einfach mal intuitiv Betty die Scheiße vom
Hals zu halten.“ Chris lächelte über das Wortspiel und klopfte Betty
auf die Schulter. „Geht‘s noch?“
„Ja.“ antwortete Betty. „Aber was ist mit Felix.“
„Wenn wir Dir helfen, helfen wir auch ihm. Das ist nicht wirklich ..
dreidimensional.“

Ich versuchte Professor Heise in seinem Büro zu besuchen, doch er
hatte keine Zeit, wie mir seine Sekretärin mitteilte. Also zog ich
wieder von dannen.
Der Campus war recht voll und ich setzte mich in eines der Cafés.
Ich war vielleicht im Ansatz psychotisch und war unsicher, ob das
krank oder gesund war. Krank wäre es, wenn:

  1. Mein Telefonat mit dem Vorschlag zum UN-Hauptquartier Um-
    zug damals gar nicht abgehört wurde.
  2. Ich mir die Stimmen nur eingebildet hätte, wegen derer ich da-
    mals dachte, mich umbringen zu müssen.
  3. Mein Brief nach Myanmar oder Burma damals, keinen Anteil an
    der politischen Öffnung des Landes gehabt hatte.
  4. Die 40 Euro die ich am Verhungern auf der Straße fand, keine Be-
    lohnung für eine unfreiwillige Hilfe, für die eine Stunde später
    bekanntgegebene Ermordung Osama Bin Ladens gewesen ist,
    sondern einfach dort verloren wurden.
  5. Der Mann, der mich auf offener Straße in ‘The Mechanic‘, einen
    Agententhriller, ins Kino einlud, nicht vom BND gewesen ist.
  6. Die Außerirdischen weder 3D-Projektion, noch echte Außerir-
    dische gewesen sind, sondern die Menschen vielleicht sogar allein in
    der Galaxie sind.
  7. Und der Mann der sich da gerade gegenüber an einen Tisch
    gesetzt hat auch nicht vom Geheimdienst war.

Ich würde ihn aber ganz gewiss nicht ansprechen. So etwas tat ich
nicht. Vielleicht, weil ich nicht wollte, dass die Realität in meinem
Kopf das Bedürfnis verspürt, sich von der da draußen zu
distanzieren. Nein, die Realität sollte in diesem Schrödingers-Katze-
Zustand bleiben.
Es war allerdings nicht so, dass das Risiko zu groß war, dass der
Mann gesagt hätte, dass er nicht vom Geheimdienst sei. Das
eigentlich Problem war doch, dass ich mir nie sicher sein könnte, ob
es stimmt, was er mir sagen würde. Das war das eigentlich Problem.
Dass man so etwas allein nie rauskriegt.
Vielleicht würde er sogar sagen, ja, er ist vom Geheimdienst. Was
wäre dann? Nicht auszudenken. Plopp, würde mein Leben machen.
Plopp!

Aus dem Bunker wurde inzwischen das Kamerabild einer
Überwachungsdrohne gesendet, die aus einiger Höhe der Regional-
Bahn folgte, in die Felix umgestiegen war. Außerdem wurde das Bild
des Manray-Kontrollterminals weiter übertragen, auf dem
momentan zwar allerlei Impulse zu sehen waren. Doch konnte sich
wirklich keiner im Büro vorstellen, dass die bei voller Fahrt effektiv
mit der Bestrahlung an Felix rankamen.
Aber es gab ja noch die Telepathie und die Negative-Scheiße-
Energie, für die man sich auf die Abkürzung NSE einigte.
Die NSE kam inzwischen in Schüben. Betty fand, dass sie einem

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An dieser Stelle vier Seiten zum ersten Mal am 22. 3. 2022, ca. 23:00 CEWT

Muster folgte. Und zwar hatte sie den Eindruck, dass die Schmerzen
dann kamen, wenn sich ein angenehmer Gedanke auf den Weg ins
Langzeitgedächtnis machte. Sie vermutete, dass die telepathischen
Schmerzen dazu beitragen sollten, ernst zu bleiben.
Und sie vertrat die These, dass die CIA unmöglich die volle
Kontrolle über die NSE haben könne. Und äußerte ihren Unmut über
‘Gott oder die Außerirdischen‘, die das offenbar zulassen würden.
Ethisch kompliziert wurde es bei der Frage, ob man durch die
telepathischen Schmerzen in Verbindung Leuten trete, die vor einem
die Schmerzen hatten. Und ob man in diese Richtung Mut und
Hoffnung schicken sollte. Es war alles nicht so leicht zu durch-
dringen.
Basti öffnete dann das Mikrofon für Rolf, der in 109 Geheim-
dienstzentralen Gedanken zu diesem Morgen brachte.
„Meine Damen und Herren. Guten Morgen. Und guten Tag. Und
guten Abend. Wir senden ja in viele Zeitzonen.
Nun, nach dem Überwältigendem Zuspruch, den wir nach der
Übertragung letzte Nacht erhalten haben, senden wir weiter die
Überwachungsdaten des Deutschen Felix Longolius. Für alle die neu
in der Materie sind: Dieser hat vor gut vier Wochen eine Anzeige an
rund 50 internationale und nationale Dienste geschickt, in der er die
Stimmen in seinem Kopf anzeigt.
Dies brachte einige Reaktionen von Ihnen hervor. Und nun wollen
wir, mit dieser Übertragung, tiefer in die Sache einsteigen. Wir wollen
Telepathie zu einem Thema machen, über das man sich ernsthaft
unterhalten kann.“

‘Weltpolizei verwirrt Welt mit Aussagen über Telepathie‘
Ich hatte mir einen kleinen Block und einen Stift von der Theke
geholt. Ich schrieb mal auf, wie eine Überschrift in der Zeitung lauten
könnte, wenn rauskäme, dass ich wirklich recht hätte.

Die NATO hatte sich etwas besonderes einfallen lassen und
blendete als erstes, nachdem sie zugeschaltet wurde, ihr
Himmelsrichtungen-Emblem über dem ganzen Bildschirm ein. Dann
gab es einen Schnitt auf Fogh Rasmussen, der sich dynamisch mit
seinem Schreibtischstuhl ins Bild drehte und an einer Teetasse
schlürfte. Unverkennbar.
Rasmussen würdigte die Anstrengungen des BND zu einer
Verständigung über meta-physische Themen. Erklärte dann aber,
dass es in Wirklichkeit wohl doch wie in ‘Mr. T-Cup und der (große)
Abstimmungsapparat“ laufen würde. Dass also nach Ansicht der
NATO ein klarer Ausschluss der Möglichkeit, dass höhere Mächte im
Spiel sind, wenn Telepathie gelingt, keinen Sinn ergeben würde.
Allerdings wies er auch darauf hin, dass man die Möglichkeiten der
manipulativen Bestrahlung, nicht auf der Karte hatte. Hier seien
außerordentliche Anstrengungen der internationalen Gemeinschaft,
ja, der Weltnation, von Nöten. Damit die Technik nur im Guten
eingesetzt werde und nicht in die falschen Hände gerate.
Er empfahl dann noch allen, das Büchlein von dem
‘Gedankenhacker‘ zu lesen, der daran schuld gewesen sei, dass er
heute morgen um drei Uhr geweckt wurde. Und er freue sich darauf,
das Programm weiter zu verfolgen.
Betty klatschte mit gestreckten Fingern ein paar Mal ganz leise und
schnell, in offenkundiger Freude, in die Hände.
„Sachlich und doch humorvoll.“ bewertete Rolf gegenüber den
Kollegen im Büro die Mitteilung, nachdem die Verbindung ge-
schlossen wurde.
„Felix fand es auch nett.“ gab Betty bekannt, ohne dass sich einer
noch sehr wunderte.
Ingmar meldete sich sogleich per Textnachricht, da er im Bus
schlecht offen sprechen konnte. Er teilte mit, dass Felix gerade kurz
geklatscht habe.
Er solle genau mitteilen, wann das gewesen sei, dass Felix
geklatscht hat.
Sechs Uhr 43 sei das gewesen.

Ja, in dem Moment sei die Ansprache zu Ende gewesen.
Ich beschloss, mir eine Arbeit zu suchen.

„Chef? Felix weiß, dass er irgendwie auf Sendung ist. Ich mache mir
jedenfalls – also, wir machen uns jedenfalls die ganze Zeit Gedanken,
wie wir dieser Verantwortung gerecht werden.“ Betty war besorgt. Sie
hatte sich kurz auf‘s Ohr gelegt, musste das aber jetzt besprechen.
„Er und ich auch, wir .. stehen auch irgendwie in Kontakt mit ganz
vielen Leuten. Und die sind nicht immer nett!“
„Wir sind auch nicht immer nett! Nein, aber was meinst Du?“
„Ich habe vorhin an ein paar Jordanier gedacht, die sich dafür
interessiert haben, wie man mit dem Iran umgehen solle.“
„Chris?“ Rolf suchte bei der Frage, was er davon halten müsse, Hilfe
bei ihm.
„Ich denke Betty wird auf der Bühne der internationalen Diplo-
matie bestehen.“
„Also steht sie wirklich in Kontakt ..“
„Mit Jordanien?“
„Sie hat das gesagt.“
„Das wäre möglich. Aber da lese ich auch ein bisschen Felix
Handschrift drin. Für den ist die Weltpolitik eine Art
Gesellschaftsspiel. Er strebt zumindest immer danach, das
überschaubar zu fnden. Nur mit den Regeln hat er es nicht so. Also,
kurzum: Wir können uns nicht sicher sein. Aber für den Moment
wäre es angezeigt, so zu telepathieren, als wären die Jordanier die
Jordanier. Und Felix Felix. Und wenn sich Gott oder Außerirdische
melden .. auch nicht zu misstrauisch sein bitte. Tote, .. Verstorbene ..
könnt ihr etwas weniger ernst nehmen. Aber weil man bei tele-
pathischen Unterhaltungen nie weiß, wer alles zuhört, bitte auch hier
Respekt wahren.

Wie soll ich das erklären ..“
Chris überlegte eine Weile.
„Ein Gedanke könnte vollkommen unwichtig sein. Ihr könnt
vollkommen überzeugt sein, dass ich ein Arschloch bin, und es wird
keinen praktischen Einfuss auf die Geschehnisse nehmen. Oder
jedoch, jeder Gedanke landet im Gedanken-Äther und ist für immer
da. Wir wissen es nicht genau. Es könnte auch sein, dass du dich
zwar nicht live mit den Jordaniern unterhältst, sondern mit Edith,
Gott oder dir selbst, es aber trotzdem irgendwie, irgendwann bei
denen ankommt. Verstehst du was ich meine?“
„Es wäre gut, wenn das was ich will das Gute ist, weil man in der
Telepathie nicht lügen kann?“
Chris lächelte: „Damit wirst du weit kommen!“
„Ok, was sollen wir Jordanien mitteilen?“ wollte Betty wissen.
„Felix lässt sich da sowie nicht groß beeinfussen fürchte ich.
Wunder dich zum Beispiel nicht, falls es plötzlich um Holocaust-
Leugner und Schwulenfeindlichkeit geht. Hör einfach zu und lerne
und staune. Er ist zum Beispiel überzeugt, dass entweder jeder jeden
heiraten darf oder keiner keinen .. er leitet das irgendwie davon ab,
dass es Zwitter gibt. Kannst dich natürlich auch gleich einmischen.
Aber die kriegen eh irgendwann spitz, dass du mit ihm verschmolzen
bist. Und dann wirst du dir die relative Ruhe zurück wünschen, die
du gerade noch hast, fürchte ich.“
„Das klingt irgendwie ekelig.“ fand Betty.
Aber Chris meinte es nur gut.
„Was hast du für ein Gefühl, was ihr als nächstes macht?“ wollte
Rolf dann wissen.
„Schlafen.“
„Da müsst ihr euch noch mindestens 40 Minuten gedulden.“ Sporty
guckte ganz genau auf seinen Monitor, auf dem die Bahn-Fahrpläne
aufgerufen waren. „Wenn er zur Bude von seinem Kumpel fährt,
braucht er noch 40 Minuten.“
„Fährt er zur Bude von seinem Kumpel?“ fragte Rolf Betty.
„Ich glaub schon.“ Betty gähnte ausgiebig. „Was wäre denn, wenn
ich schon schlafen gehe?“

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Die folgenden vier Seiten neu hier am 22. 3. 2022, ca. 23:15 CEWT

„Vielleicht wird er wacher, vielleicht schläft er auch ein. Aber wir
brauchen dich hier auf jeden Fall.“
„Ok, ich fahr nach Hause und leg mich dann schlafen?“
„Äh?!“ Chris war ein bisschen amüsiert.
„Äh, ich meine natürlich, dass er jetzt nach Hause fährt.“
„Ok, hast da wohl dich selbst und ihn verwechselt. Nicht so
schlimm.“

Ich beschloss, mir doch keine Arbeit zu suchen. Schließlich erhielt
ich noch mindestens 14 Monate lang die Erwerbsminderungsrente.
Ich würde ein Buch schreiben.

Ingmar tickerte mit seinem Telefon in den Bunker, dass Felix mit
einem breiten Lächeln aus der Bahn gestiegen sei, und sich auf den
Weg in seinen Unterschlupf begab. Felix legte zwar offensichtlich
großen Wert darauf, dass man ihn über sein Smartphone orten
konnte, aber der Akku war leer.
Zur allgemeinen Entspannung hatte er aber einen zweiten
Zusatzakku dabei. Und nachdem sie ihn kurz nicht orten konnten,
gab sein Telefon, noch bevor er zu Hause ankam, wieder ein
Lebenszeichen von sich.
Ziemlich genau 48 Stunden ist er jetzt unterwegs gewesen. Für die
Weltgemeinschaft waren das, ohne dass die meisten davon es
mitbekommen hatten, ziemlich aufregende Tage. Und natürlich für
Felix auch, weshalb er ziemlich genau eine Minute nachdem er sich
hingelegt hatte, einschlief.
Betty nickte im selben Moment weg.
Kurz vorher gratulierten Edith, Chris und Betty – und vielleicht die
Außerirdischen oder Gott – ihm noch für die Erfolge durch den
Gewaltmarsch.
Edith sagte etwas harsch, nachdem Felix ängstlich beim ausziehen

der Klamotten überlegte, ob er alles richtig gemacht hatte: „Seien Sie
still!“ Und nach einer kurzen Pause: „Sie haben die Welt einen großen
Schritt voran gebracht. Es ist so und nicht anders.“
Dann kam Chris in Felix Gedanken. Er fand: „Große Leistung, Herr
Longolius. Erholen Sie sich gut. Bis morgen!“
Betty dachte keine Worte. Sie war einfach bei ihm und sie ließen
gemeinsam die Bilder der Nacht Revue passieren. Und sie umarmte
ihn kurz ein wenig in Gedanken. Doch da waren sie schon so gut wie
weggedöst.
Chris und Edith hatten dann eine Verbindung. Sie fühlten sich ein
bisschen wie die Eltern von irgendwas. Vom neugeborenen
Geheimdienstfernsehen, von Felix, Chris auch von Betty. Und von
diesem guten Gefühl. Dafür waren sie aber auch einfach dankbar.
Denn es wurde eindeutig eine sehr schützende Hand über die
beteiligten Menschen gehalten. Vielmehr muss die Hand sogar
ziemlich oft eingegriffen haben.
„Es ist schön. Sehr schön sogar.“ dachte Edith mit Chris. „Aber wir
werden nicht zulassen können, dass er so mächtig wird.“
Chris sah das anders. Er malte ein Bild in die gemeinsamen
Gedanken, das Felix als einen neuen Sonnenkönig zeigte.
Dem vorgestellten König baute er dann ein Fernsehstudio um ihn
herum. Mit Kameras, die ihn direkt zu Fernsehern auf dem ganzen
Planeten sendeten.
Chris war ziemlich gut in diesen Dingen.
Die Menschen die vor den Fernsehern saßen verschmolzen dann
zu einer Menschenmenge. Und für einen Bruchteil eines Moments
dachte er für beide, dass Felix von einem Berg zu den Zuschauern
sprach.
Doch er wollte nicht übertreiben und zeichnete ein neues Bild.
Felix, der auf einer Veranda saß und offensichtlich an einem Laptop
an einem Buch schrieb.
Das ließ Edith zu. Doch sie dachte mit Chris an eine etwas andere
Entwicklung.
Sie griff das Fernsehstudio auf, ließ die Kameras aber dann
verschwinden und Felix in einem Krankenhausbett liegen.

Dann stellte sie sich zwei bis drei Jahre vor, die verstrichen – sie
war auch gut in diesen Dingen – die Felix im Krankenhaushof seine
Runden drehte.
Und erst dann saß er an einem Laptop und schrieb ein Buch.
Allerdings nicht auf einer Veranda, sondern in einer Bibliothek.
Chris stellte sich dann eine Truhe vor. Er legte beide Vorstellungen
hinein, schloss die Truhe, und hängte den Schlüssel an eine Rippe im
Inneren eines Wals, der sodann fortschwamm in die Tiefe.
Edith gab in Gedanken ihre Hand und Chris schlug ein.
Unwillkürlich tauchte in den Gedanken von beiden in dem
Moment ein Publikum um sie herum auf. Es beglückwünschte sie,
und Chris ließ die illustre Runde aus seinem Bewusstsein
verschwinden, während er die Milch zurück in den Kühlschrank
stellte und den Tee mit ins Büro nahm.
Dort waren Rolf, Basti und Sporty, die erschöpft an ihren Rechnern
rumklickten.
„Wir müssen alle eine Runde schlafen!“ stellte Chris fest.
„Oh ja.“ Rolf wusste eigentlich seit vielleicht fünf Minuten gar nicht
mehr, was er da machte, so fertig war er.
„Aber einer muss doch gucken, was Felix macht.“ gab Sporty zu
bedenken.
Rolf klärte dieses Problem: „Don‘t worry. Die Wichtel haben da ein
Auge drauf. Außerdem schläft er ja tief und fest.“
„Ich hätte einen Vorschlag.“
„Basti, gern!“
„Wir könnten die Regie abgeben. Zum Beispiel an die NATO. Die
übernehmen für ein paar Stunden das Programm, bis wir ein
bisschen geschlafen haben.“
„Ja, gute Idee. Aber ich dachte wir zeigen einfach ein paar Filme.“
Chris hatte sich schon längst Gedanken gemacht. „Star Wars – alle
sechs Teile liefern eine Menge Sendezeit. Die Zuschauer verpassen so
nichts und können auch mal ‘ne Runde schlafen.“
„Das können wir auch machen. Soll ich die Filme irgendwo
runterladen?“
„Ja mach das. Schmeiß sie an und leg Dich hin. Wir stehen so in

sieben Stunden wieder auf.“
Die Aufgabe war für Basti absolut lösbar und wenig später schliefen
alle. Das Außenteam suchte sich derweil ein Hotel in der Nähe von
Felix.

Ein Buch würde ich doch nicht schreiben. Wer würde so etwas
schon lesen wollen. Und um meine Gedanken und Erinnerungen zu
ordnen, wäre es vielleicht auch nicht das richtige Mittel. Nein, ich
würde jetzt nach Hause fahren und mal wieder die Akten von dem
Betreuungsverfahren ansehen.

Um 14 Uhr 30 saßen alle bis auf Betty wieder an ihren Plätzen. Sie
ließ man noch schlafen, weil Felix auch keine Anstalten machte,
aufzuwachen.
Sie gingen noch nicht wieder live auf Sendung. Das Außenteam
blieb erst mal im Hotel.
Die Zuschauer des Programms, die sich keine Pause gegönnt
hatten, hatten sich auf der Liste, offenbar die letzten gut sieben
Stunden, vor allem über Star Wars ausgetauscht. Die Ruhezeit wurde
also irgendwie gewürdigt.
Sporty wollte die Nachrichten auf der Liste zusammenfassen:
„Nachdem wir uns schlafen gelegt haben, eröffnete Kenia eine
Diskussion über die Spielflmwelt. Übermacht Hollywood, keine
schwarzen Hauptdarsteller, et cetera. Die CIA schrieb daraufhin ..“
„.. Mein Gott, die CIA hat sich zu Star Wars geäußert?“ Chris war
baff, oder tat zumindest so.
„Ja. Dass das für die Vergangenheit in der Tat schlecht aussehe, mit
den schwarzen Schauspielern.“
„Hört hört!“ rief Rolf.
„Aber Kritik über Hollywood verbaten sie sich. Kängurus gäbe es
schließlich auch nur in Australien, oder so ähnlich.“

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Vier neue Seiten hier am 23. 3. 2022, ca. 11:45 CEWT

Chris, Rolf und Basti murmelten sich irgendeine Kritik an dem
gerade gehörten zu, baten aber dann darum, dass Sporty fortfährt.
Der hatte derweil den Soundtrack von Star Wars auf die
Lautsprecher gelegt und die unverkennbaren Fanfaren ertönten, was
alle ganz witzig fanden.
„Dann ging es um die Macht. Und das ist sehr interessant. Die Polen
schreiben, dass sie gestern ein Gefühl dafür bekommen haben, wie
sich die Macht anfühlt. Und dann ging es ihnen darum, wie es sich
anfühlt, wenn die Macht weg ist. Sie schreiben, dass die Macht ganz
anders sei, als die Liebe. Auch wenn beides schön sei, wenn es da ist,
und man sie sich zurück wünscht, wenn sie weg sind. So sieht man
wenn die Macht weg ist, ihr böses Potential – und die Liebe sehe
doch auch aus der Ferne schön aus.“
Basti empfand große Gefühle: „Wow, das haben die geschrieben? ..
Aber, warum wollen die Polen die Macht gespürt haben. Die haben
doch von der Erscheinung gar nichts mitbekommen.“
„Naja, die sind doch alle nicht blöd. Die kennen das mit der
Telepathie zum Teil schon.“ erklärte Chris. „Und gestern war so-
zusagen die Macht sehr stark. Es werden gestern viele von den
Zuschauern etwas erlebt haben. Und, wir haben es nicht gesagt. Aber
Felix stand eine knappe halbe Stunde im Wald und hat dann noch 15
Minuten geweint. Wir wissen es nicht. Aber vielleicht wurde auf
irgendeinem Kanal, den wir nicht kennen, mitgeteilt, dass er sich
gerade mit Außerirdischen unterhalten hat.“
Basti musste dann unterbrechen: „Leute. .. Leute, äh, wusstet ihr
davon?“
Er deutete auf die Luftüberwachung von Felix Unterschlupf, bei
dem gerade jemand auf das Haus zuging. Es war Felix Freund, dem
die Wohnung gehörte.

Die Akten hatte ich schon so oft von beiden Seiten betrachtet – sie
würden auf das nächste Mal noch warten können.
Statt dessen dachte ich nach.

Ich erinnerte mich an ein Fußballspiel. Diese Erinnerung war
immer sehr schmerzhaft. St. Pauli gegen Bayern München. Vor dem
Spiel wurden in einer Werbeaktion kleine Nivea-Dosen verteilt. Und
als es richtig hoch herging, schmiss ich damals diese bekloppte Dose
wie ein Bekloppter in Richtung des 16ers, in dem das Spiel gerade
stattfand. Furchtbare Erinnerung. Ich bin so unendlich dankbar, dass
das Netz vor der Kurve eng genug war, dass die Dose es nicht bis zum
Spielfeld schaffte.
Die Vorstellung, ich hätte fast einen der Spieler, oder den Schiedsrichter, mit der Dose getroffen, verfolgte mich seit diesem Tag.
Die Menschenmenge, das Anfeuern .. aber trotzdem. Das hätte
nicht passieren dürfen. Furchtbar.
Weitere Erinnerungen an furchtbare Fehler aus meinem Leben
würden jetzt folgen. Diesen Gedankenstrudel kannte ich gut. Der
Horrortag, an dem ich auf LSD einen Snowboardunfall baute, durfte
nicht fehlen, und, wie ich damals die Wohnung meines Kumpels
besetzt hatte, auch nicht.
Meine Therapeutin sagt: Herr Longolius, Sie waren damals selbst
krank.

Im Bunker mussten sie mit anhören, wie Felix Freund, der aus
Polen wieder kam, Felix wecken musste. Und die Wohnung als
Katastrophe vorfand und am Boden zerstört war. Die beiden einigten
sich darauf, dass Felix jetzt aufräumen würde und sie dann weiter
sehen. Der Freund würde in ein paar Stunden wiederkommen.
„Und wusstet ihr hiervon?“
Basti zog eine Polizeiakte auf den Beamer.
Es war ein Auftrag des Gerichts an die Polizeiwache 17 in Felix
Nähe, ihn ins Krankenhaus zu bringen.
„Nein, davon wussten wir nichts. Von wann ist denn das?“
„Von heute, 13 Uhr.“
„Ok, wir müssen Betty wecken.“
„Also kommt er nicht ins Krankenhaus?“

„Wir werden sehen, ob wir es verhindern können.“
Betty versuchte Felix dann zu kontaktieren. Sie hatten die
Hoffnung, dass die Verbindung die Nacht überstanden hatte.
Chris diktierte ihr sozusagen, was sie Felix über die Gedanken
mitteilen sollte.
„Sag ihm, er muss jetzt schnell seine Sachen packen.“
Betty schlürfte an dem Kaffee, den ihr Sporty gerade gebracht hatte
und versuchte, sich in ihn hineinzuversetzen.
„Ich glaube nicht, dass er das versteht.“
„Shit, ok. Ich rufe das Außenteam an. Sie müssen bei ihm klingeln.“
Bart, Ingmar und Mathilda waren schon auf Bereitschaft.
„Wir sollen bei ihm klingeln?“
„Ja, und dann abhauen. Den Rest erledigen wir. Aber schnell. Er
muss da verschwinden.“
Basti hatte den Parkplatz der Wache 17 über die Sicherheitskamera
im Blick. Er konnte vermelden, dass noch kein Wagen unterwegs war.
Im Hotelzimmer wurde schnell einer ausgewählt, Bart, der loseilte.
Er rannte fast die gesamte Streckte, wurde erst kurz vor dem Haus
langsamer, damit er nicht auffallen würde, und klingelte zwei Mal.
Im Bunker hörten sie das Klingeln und schickten Bart dann erst mal
um die nächste Ecke vom Häuserblock.
Felix ging zur Gegensprechanlage, an der natürlich niemand ant-
wortete.
Chris trug Betty auf, nichts zu kompliziertes, auch nichts extremes
zu denken, sondern etwas, das Felix locker mitdenken konnte. „Denk
erst mal einfach an Kaffee.“
„Das krieg ich hin.“ erwiderte sie und nahm noch einen Schluck.
„Er darf sich auf keinen Fall wieder hinlegen. .. Ok, ich helfe Dir.“
sagte Chris und gab zu verstehen, dass er jetzt mitdenken würde.
Betty verstand etwas davon und fragte: „Es ist so und nicht anders:
Du musst jetzt abhauen?!“
„Ja. Es ist so und nicht anders. Die Redewendung kennt er noch von
früher. Und er muss jetzt abhauen.“
Felix nahm sein Mobiltelefon und schickte sich eine SMS:

Guten Morgen.

„Ja ja, guten Morgen.“ Chris war nervös und fürchtete, dass Felix es
nicht mitbekommen würde, was sie ihm mitteilen wollten.
„Da fährt ein Krankenwagen auf den Polizeiparkplatz.“ schob Basti
ein.
„Dann haben wir vielleicht noch zehn, fünfzehn Minuten.“ berech-
nete Rolf.
Der saß am Manray-Terminal, konnte aber nicht wirklich deuten,
was er da sah. Er winkte Chris heran, um auch einen Blick darauf zu
werfen.
„Aarch, die lassen es an seinen Ohren klicken. Schwer zu sagen,
aber ich fürchte, die wollen ihn verwirren.“
Chris schaltete sich auf den Knopf in Barts Ohr: „Bart. .. Bart. Ich
weiß, du hast damit keine großen Erfahrungen. Aber versuch bitte
einfach nur eines in Richtung Felix zu denken: ‚Hau ab!‘“
„Ok, wird gemacht.“
Betty murmelte jetzt gleichzeitig, was sie dachte: „Hau ab, Felix. Hau
ab!“
„Ok, ich glaube ich hatte gerade eine Verbindung.“ Chris konnte
sich nicht sicher sein, aber Hoffnung war aller Anfang. „Ich habe ihm
die Situation mitgeteilt und ihn gefragt, was er will. Krankenhaus
oder fiehen.“
„Die haben ihm jetzt mehrmals drei Klicks kurz hintereinander auf
die Ohren geschickt.“ berichtete Rolf von den Manrays.
„Ja, der dritte Weltkrieg. Hilft uns vielleicht weiter.“
„Der bitte was?“ Rolf verstand den Zusammenhang nicht.
„Einmal klicken ist ja, zweimal nein, dreimal: der dritte Weltkrieg. ..
Ich erklär‘s euch später.“
„Der Krankenwagen und ein Streifenwagen fahren an der Wache
los.“
„Ok, wir kriegen das hin.“
„Er hat‘s verstanden.“ glaubte Betty.
„Auf jeden Fall hat er gerade sein Notebook vom Strom
genommen.“ konnte Sporty an seinem Rechner ablesen.

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Und vier neue Seiten hier am 23. 3. 2022, ca. 11:45 CEWT

Die fünf im Büro hörten mehrere Reißverschlüsse über die
Lautsprecher. Offenbar packte Felix seine Sachen ein.
„Jetzt hat er auch das Smartphone vom Strom genommen.“
„Gut.“
Bart meldete sich über Funk: „Es kommt ein Kranken- und ein
Polizeiwagen die Straße hoch.“
„Kannst du sie irgendwie aufhalten?“
„Da ist eine Fußgängerampel.“
„Drück den Ampelknopf!“
„Ok, ich versuch‘s.“ man hörte Bart rennen.

Ich nahm eine von den Neuroleptikas. Und zwar nahm ich sie
gegen den Liebeskummer, der sich viel zu früh bemerkbar machte.
Dann versuchte ich zu schlafen.

„Ok, sie haben Rot.“
Felix tauchte auf der Überwachungsmaske auf der Straße auf.
„Er fragt, wo er hingehen soll.“
„Er soll Richtung Innenstadt. Denk an den Hauptbahnhof.“
„Sie fahren weiter.“ musste Bart mitteilen, doch es war schon
geschafft. Der Mitarbeiter vom Gesundheitsamt, der im Polizeiwagen
saß, erkannte Felix nicht von hinten, als er an ihm vorbei fuhr.
„Puh, das war knapp. Sag ihm, dass er einfach weitergehen soll.“
Plötzlich stand Harry wieder im Büro.
Er hatte eine Waffe bei sich.
Er schrie Rolf an, dass er den Scheiß lassen soll. Dass er
Deutschland lächerlich mache.
Chris trat an ihn ran und versuchte ihm die Waffe abzunehmen. In
dem Moment fel ein Schuss. Die Waffe fel auf den Boden und Chris
bekam Harry in den Polizeigriff und drückte ihn zu Boden.
Sporty sah es als Erster und eilte zu Betty. Sie hielt sich die Hand an

den Hals, doch es blutete sehr stark. Sie war getroffen.
„Basti, ruf die Ärztin.“
Aus einem der anderen Büros kamen zwei Kollegen, die den
Schuss gehört hatten, und halfen Chris, Harry aus dem Raum
abzuführen.
Betty verlor das Bewusstsein.

Da ich nicht schlafen konnte, nahm ich mir doch die Akten von den
Gerichtsverfahren vor, die es damals um die Betreuung und die
Krankenhausaufenthalte herum gab. Das ist echt ein harter Job,
dachte ich. Für die Ärzte, für die Pfeger, für die Richter, für den
Betreuer. Gerade wenn man an jemanden wie mich gerät. Auch für
meine Verwandten muss das eine furchtbare Art der Lebendigkeit
gewesen sein.
Ich hatte mich eigentlich die letzte Zeit geärgert, dass ich nicht
noch mehr widersprochen habe. Jetzt ärgerte ich mich, dass ich so
viel Arbeit gemacht hatte. Und wünschte mir, ich könnte mich im
Wortsinne bei den ganzen Beteiligten entschuldigen.

Die Ärztin kam schnell, machte aber einen sehr besorgten
Eindruck, als sie Bettys Schussverletzung einschätzen konnte. Sie war
am Hals unter dem Ohr getroffen worden. Eine Lache ihres Bluts
hatte sich gebildet.
„Patientin muss sofort ins Krankenhaus. Wir brauchen einen
Hubschrauber.“ gab die Ärztin über Funk durch.
„Kommt sie durch?“ wollte Rolf erschrocken und erschreckend
naiv wissen.
„Jetzt wäre ein Zeitpunkt um zu beten.“
Die Ärztin wurde unterbrochen, weil zwei Mitarbeiter mit einer
Trage in das Büro kamen.
„Kann ich mitkommen?“ wollte Sporty wissen.

Die Ärztin schaute Rolf an und las aus seinem Gesicht offenbar
irgendetwas: „In Ordnung.“
Dann wurde Betty herausgetragen, so dass die Ärztin noch einen
Verband auf die Wunde pressen konnte.
Nachdem sie den Raum verlassen hatten sahen sich Basti, Chef und
Chris geschockt an. „Oh mein Gott!“ sagte Basti.
Chris setzte sich dann an den Rechner mit der Luftüberwachung
von Felix.
„Das kann nicht dein Ernst sein.“ fand Rolf.
Felix lief nervös auf einer Wiese in einem kleinen Park einen Meter
vor, einen zurück. Setzte sich hin und stand wieder auf.
„Er hat es mitbekommen. Und wir werden ihn brauchen.“
„Wozu?“
„Betty ist sehr schwer verletzt. Sie wird sich unheimlich
erschrocken haben. Er muss ihr gut zureden, dass sie die Welt nicht
verlässt.“
„Das kann nicht dein Ernst sein!“ sagte Rolf, jetzt lauter als beim
ersten Mal.
„Rolf!“ Chris erschrak fast selbst, als er merkte, dass er Rolf gerade
angeschrien hatte. „Entschuldigung. Aber bitte vertrau mir. Betty
braucht uns jetzt. Habt Hoffnung. Und denkt nicht an die schlimmen
Dinge die passieren könnten. ..“
„Was macht er denn da?“
„Er unterhält sie, solange sie noch nicht in ihren Körper zurück
will.“

Ich versuchte Antonia zu erreichen, was aber nicht klappte.
Komisch. Es gab Zeiten, in denen ich solche Probleme nicht hatte. Als
es mir reichte in Gedanken mit Frauen zusammen zu sein. Da gab es
die Tine. Und, ach ja. Mit der einen vom Geheimdienst war es richtig
schön. Bis auf den Zwischenfall.
Falls ich sie wirklich einmal treffen würde, würde ich sie an einer
Narbe am Hals erkennen.

Chris saß jetzt seit vielleicht zehn Minuten ziemlich still an einem
der Plätze.
Alle waren sehr besorgt.
Der Hubschrauber war wohl inzwischen mit Betty unterwegs ins
Krankenhaus.
Felix saß auch ganz still da auf der Wiese.
Dass Chris und Felix sich gerade wirklich um Betty kümmerten, war
schwer vorstellbar. Aber während die Ärzte im Hubschrauber um ihr
Leben rangen, musste Betty beruhigt werden. Sie wollte in die Nähe
von Felix. Und sie wollte dort bleiben.
Chris wusste, dass Felix das nicht zulassen würde, und hielt sich
zurück.
Ein Hubschrauber flog über den Park, in dem Felix saß, und kurz
kam die Frage auf, ob Betty da drin sei. Das war sehr un-
wahrscheinlich, aber es würde nicht schaden, daran zu glauben.
Eigentlich war Betty inzwischen in ihrer OP.
Plötzlich stand Felix auf, ging auf eine junge Spaziergängerin zu
und haute ihr eine runter. Nicht fest, aber das machte es nicht besser.
„Was hat er denn jetzt gemacht?“
„Ich glaube nicht, dass er Recht hat. Aber er wird gedacht haben,
dass Betty es sich in der Frau gemütlich macht.“
Sporty saß auf dem Flur vor dem Operationssaal und wünschte
sich, dass alles gut geht.
Wohldosiert musste Betty dann wieder zu ihrem Körper geschickt
werden, was Felix intuitiv richtig machte.
Chris sorgte derweil für Ruhe in der telepathischen Welt und rief
auch ein bisschen dazu auf, Betty einen Moment mit aller Kraft alles
Gute zu wünschen.

Antonia sendete dann eine SMS. Sie schrieb, Mensch, ich brauchte

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Vier weitere Seiten neu hier am 24. 3. 2022, ca. 0:00 CEWT

mal einen Moment für mich. Und bat nicht sauer zu sein. Vielleicht
könnte man ja heute Abend telefonieren.

Sporty rief an. Er sagte, Betty kommt durch. Dass das
Operationsteam das für ein medizinisches Wunder hält. Dass Betty
aber für Wochen nicht sprechen können werde.
Die Freude war natürlich trotzdem grenzenlos.
Dann mussten sie wieder an die Arbeit. Sie würden den sechsten
Teil von Star Wars noch zu Ende laufen lassen und dann zu
verschiedenen Geheimdienstzentralen schalten, die teilweise schon
mit den Hufen scharrten.
Irgendwann würden sie sicher auch wieder Felix zeigen, der jetzt
weitgehend skrupellos weiter zum Hauptbahnhof lief, nachdem
Betty ihm versichert hatte, bei sich zu bleiben.
Madrid wurde dann zugeschaltet. Es wurde während der Mitteilung
der ranghohen Mitarbeiterin des spanischen Geheimdiensts nicht
ganz klar, was ihnen wichtiger war: Klarzumachen, dass Königs-
häuser natürlich keine besonderen telepathischen Fähigkeiten
hatten, oder, dass die spanische Monarchie das auch könne, wenn
die Briten es beherrschten.
Dann sagte sie etwas sehr bemerkenswertes. Man habe die Anzeige
von Felix gegen die Stimmen zum Anlass für Ermittlungen
genommen. Dass es da einige Fälle in Spanien gäbe, bei denen die
betroffenen Schizophrenen auch allen Grund hätten, ihre Stimmen
anzuzeigen. Dass aber der konkrete Fall besonders auffällig sei.
Wenn Telepathie wirklich möglich sei – persönliche glaube die
Beamtin in dem Zusammenhang zwar wenn überhaupt an eine Kraft
Gottes – aber, wenn sie wirklich möglich sei, dann sei es denkbar,
dass es sich beim vorliegenden Fall um einen Mordversuch handelt.
Für den Menschen verantwortlich seien. Und der natürlich nicht
verjährt sei.
Man biete sich in diesem heiklen Fall an, die Ermittlungen zu leiten,
falls Interesse an einer ernsthaften Aufklärung bestünde.

„Das ist doch mal was!“ freute sich Chris.
Rolf, Chris und Basti, die momentan im Bunker verblieben waren,
schauten über die Kameraüberwachung des Hauptbahnhofs, wie
Felix einen Regionalzug Richtung Bremen bestieg. Es war etwas
unprofessionell, Bart zum zweiten Mal in die Nähe von Felix zu
schicken. Aber er fuhr in der Bahn mit.

Die nächsten Tage bastelte ich an meiner Webseite. Seit dem
Krankenhaus hatte ich die eher stiefmütterlich behandelt, wenn das
Sprichwort besagt, dass man sich um etwas kaum kümmert.
Die letzten 18 Monate zeigte sie für jeden Besucher eine zufällige
Farbe an. Dachte damals, das sei schön. Jetzt entschied ich mich, auf
weltpolizei.de ab und zu eine ‘Weltpolizei des Tages‘ zu ernennen.
Wenn mir etwas im Internet interessant erschien, verlinkte ich es auf
der Seite einfach mit einem kleinen Kommentar.
Die erste Weltpolizei des Tages war ein Regisseur, der einen Film
über Schneiderinnen in Süd-Ost Asien gedreht hatte, die, leider
selbstverständlich, zu Hungerlöhnen viel zu viel Zeit damit ver-
brachten, für reiche Geizkragen Klamotten herzustellen.
Ich kaufte allerdings Kleidung selbst oft ein, ohne auch nur im
Ansatz zu wissen, wie viel die Arbeiterinnen im Herstellungsprozess
vom bezahlten Preis abbekamen. Der Steppenwolf mag keine Aktien,
hat aber selbst welche, kam mir in den Sinn. So las ich es jedenfalls in
der Schulzeit.

Dann meldete man sich direkt aus Kreisen der irakischen Re-
gierung beim Bundesnachrichtendienst. In der Mitteilung, die Rolf
erhalten hatte, und aus der er jetzt vorlas, bedankten sie sich für die
Gedankenspiele darüber, wie man den Krieg hätte verhindern kön-
nen.
„Das ist dann wohl, gut nachvollziehbarer Weise, ironisch gemeint.“

kommentierte Rolf während er es vorlas.
„Och, wer weiß.“ warf Chris ein.
„Jedenfalls haben die Iraker irgendwie von der Idee Wind
bekommen. Sie fnden, es ist auch heute nicht zu spät dafür, die UNO
ins Land zu holen. Darüber hinaus wünschten sie sich, solche
Probleme zu haben wie wir hier. Es sei nämlich schön anzusehen
gewesen, wie der junge Mann sich mit dem Wald unterhalten hat.
Aber jetzt kommt es: Chris, sie wissen, dass du hier bei uns bist.
Und sie wissen, dass du damals der Telepath warst, der den Auftrag
hatte ihn um die Ecke zu bringen. Und sie wollen, dass du darüber
aussagst. Und zwar vor dem Weltgericht. Chris, was meinen die
damit?“
„Na endlich kommt mal einer auf mich zu. Das war ja nicht mehr
auszuhalten. Das Weltgericht ist so eine Sache.“
„Waaas für eine Sache?!“ Rolfs Ton wurde etwas gereizt in
Anbetracht der Tatsache, dass sie Chris in der Tat die ganze Zeit
schützten.
„Wenn viele Telepathen über eine Sache nachdenken, wie hier, bei
der Schuldfrage für Felix Suizidversuche. Dann erweckt das immer
mehr Aufmerksamkeit. Immer mehr Telepathen schließen sich dem
Gedanken an. Und dann, so habe ich es bereits erlebt, und so habe
ich es auch schon von anderen gehört, kann sich eine Art
Gerichtsprozess entwickeln. Der telepathische Gedanke splittet sich
auf in verschiedene Rollen. Da kann es eine Jury geben, einen
Richter, Zeugenvernehmungen, Anwälte. Und man muss davon
ausgehen, dass auch andere Mächte schon mal an so einem Prozess
teilnehmen.“
Chris stand auf, wahrscheinlich um sich einen Tee zu holen: „Ich
bin bereit. Möge man mich anklagen.“
Rolf verstand es, wenn auch nicht so, dass er es irgendjemandem
hätte erklären können. „Müssen wir da irgendwas tun?“
„Nein, nicht wirklich.“
„Was .. kann .. wird es ein Urteil geben?“
„Natürlich. Irgendwann.“
„Und, du .. man kann da wohl kaum lügen. Ich meine, du hast ihn

damals in diese Scheiße geritten.“
„Du meinst, welche Strafe es geben könnte?“
„Naja. Ja!“

Zwei Tage vor dem nächsten und letzten Seminartermin suchte
Antonia dann wieder meine Nähe. Ich fand das erst so lala, aber sie
schaffte es, dass ich die Zeit doch genoss.

Zur Überraschung der jungen Nachrichtendienstler gab es ein
Verfahren, der Deutschen Bahn mitzuteilen, dass in einem Zug keine
Fahrkartenkontrolle stattfinden sollte. Rolf schaffte es, seine Chefs
davon zu überzeugen, dass es ein guter Moment sei, dieses ohnehin
selten durchgeführte Verfahren jetzt zu Felix Gunsten anzuwenden.
„Wo will er eigentlich hin?“ fragte Mathilda in einem Anruf. Sie und
Ingmar begleiteten den Zug im Auto. Irgendwie war man es gewohnt,
dass eine Reise ein richtiges Ziel hat, auch wenn der Zug, in dem
Felix und Bart saßen, erst mal nach Bremen fuhr.
Chris, Rolf und Basti konnten aber auch keines nennen. Nur so viel:
„Irgendwann wird er ins Ausland wollen. Er ist ja schließlich auf der
Flucht vorm deutschen Betreuungsgericht.“
Bart meldete sich derweil aus dem Zug. Er war nach dem
Einsteigen einmal an Felix vorbeigegangen und hatte sich dann einen
Platz im unteren Bereich des Wagons gesucht. Felix saß im oberen
Bereich des zweistöckigen Zugs, dem Metronom Hamburg-Bremen.

Dann kam der Tag der letzten Seminar-Sitzung, bevor die Stu-
denten sich noch ein paar Mal ohne mich mit Professor Heise treffen
und auch auf eine Klausur vorbereiten würden.
Heise bat mich, vorher in sein Büro zu kommen. Zu meiner Freude

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Und noch weitere vier Seiten die neu hier erscheinen am 24. 3. 2022, ca. 0:00h CEWT

teilte er mit, dass er ein kleines Honorar für mich erwirken konnte. 15
Euro für jede Sitzung, die ich vorgetragen hatte. Da kam doch was
zusammen. Dann sagte er, würde er dieses Mal, auch wenn es die
letzte Sitzung sei, gern über das Krankenhaus mit mir sprechen. Was
nach seiner Einschätzung ein für mich ungeliebtes Thema sein
müsse.
Im Angesicht der Zweifel, die ich die letzten Tage über mein Recht,
zu spinnen, hatte, widersprach ich. Das Krankenhaus sei schlicht das
Ende meiner Psychosen gewesen.

Eine Frau, wohl Mitte vierzig, aber ziemlich abgerockt, kam auf
Felix zu. Sie fragte ihn, ob er auf ihrem Gruppenticket mitfahren
wolle. Für fünf Euro.
Er hatte nach wie vor kein Geld, weshalb er das Angebot ablehnen
musste. Als er ihr erklärte, dass er aber wirklich keine Fahrkarte hatte,
zeigte sich die Frau im Sinne der gemeinsamen Armut kollegial. Sie
bat an, ihn zu warnen, wenn der Schaffner käme. Dann solle er erst in
den unteren Bereich gehen, und wenn der Schaffner oben fertig sei,
würde sie ihm Bescheid sagen, dass er sich wieder oben verstecken
solle.
Da er sich keine großen Sorgen machte, dass die Schaffner ihn
wegen einer simplen Schwarzfahrt an die Behörden ausliefern
würden, wollte Felix nur ein bisschen widerwillig mitmachen.

„Und das Ende meiner Psychose kam ja zu Recht. Gewissermaßen.
Sicher, die Art und Weise war etwas, über das man vortreffich
streiten konnte. Aber wie wäre es, wenn ich zu erst in aller Kürze
erzähle, was vor dem Krankenhaus passierte?“

Dem Bundesnachrichtendienst muss irgendjemand dazwischen
gefunkt haben, jedenfalls gab es tatsächlich doch eine Fahr-
kartenkontrolle.
Die Frau kam, um ihn zu warnen. Er verschwand nach unten und
es klappte wirklich so weit. Er entging der Fahrkartenkontrolle.
Dummerweise wollte die Frau dann dafür Geld. „Och komm, fünf
Euro!“
„Hab ich nicht.“
Beleidigt ging sie weg.
Felix muss ziemlich genervt gewesen sein. Er hatte nur ein
bisschen altes Geld von vor der Euro-Einführung. Unter anderem
hatte er vor ein paar Tagen einen zehn-Gulden-Schein eingepackt.
Und er hatte ein bisschen Draht dabei und beschloss, der un-
freundlich freundlichen Frau ein Mobile zu bauen. Er nahm den
Draht und bastelte ein Gestell, in dessen Mitte er den zehn-Gulden-
Geldschein an ein bisschen Bindfaden, den er ebenfalls eingepackt
hatte, hängen würde.

Im Seminarraum angekommen kündigten Heise und ich den
Ablauf der heutigen Sitzung an. Ich würde also erst mal von meiner
Flucht vor dem Betreuungsverfahren erzählen.

Felix saß ganz allein oben in dem Wagon, da kam der Schaffner mit
zwei Begleitern von der Sicherheit auf ihn zu.
Bart hatte mitbekommen, dass die unfreundlich freundliche Frau
mit dem Schaffner gesprochen hatte und gebeten, man möge mal
Felix Telefonmikrofon abhören. Da würde gleich etwas passieren.
Der Schaffner sagte allen Ernstes:
„Abend. Sie sollen hier im Zug andere Fahrgäste mit einer
Drahtschlinge bedroht haben. Außerdem würde ich gern mal Ihre
Fahrkarte sehen.“

„Ich soll was?“
Im Bunker äußerte Chris einen Verdacht: „Die Frau ist vom CIA.
Edith hat so etwas heute morgen schon angedeutet. Die wollen nicht,
dass Felix weiter durch die Weltgeschichte geistert. Ok, was wird
passieren?“
„Die Sicherheit wird ihn der Bundespolizei in Bremen übergeben.“
„Rolf, kannst Du den Leiter der Dienststelle dort anrufen und ihm
auftragen, Felix gut zu behandeln?“
„Puh, das ist unter gewissen Umständen möglich. Aber ist das
wirklich, was wir wollen?“
„Na klar. Wir müssen unserem Publikum schließlich etwas bieten.“
„Aber in einer Woche ist Weihnachten.“
Die nächste Idee war, die Unterredung im Zug an das Geheim-
dienstfernsehen zu senden.

„Im Nachhinein gab es keine Gründe, vor der Betreuung und dem
Krankenhaus zu fiehen, außer, dass es wahnsinnig viel Spaß gemacht
hat, und, dass ich heute davon erzählen kann.“
Ich plapperte einfach drauf los,
„Obwohl, wenn ich es mir recht überlege, wär‘s außerdem ein
riesen Gewinn für die Welt, wenn es Inhalte meiner Psychose in die
Realität schaffen würden.“
„Dann erzählen Sie mal.“ bat Heise.
„Ok, also, durch das viele Erzählen, erinnere ich mich inzwischen
viel besser an .. den meta-physischen Kitt, der meine Geschichte
zusammenhält.“
Ich erzählte die Anekdote mit der verletzten BNDlerin, die meine
Gedanken lesen konnte.
Wie ich mich dann auf eine Reise begab.
Und dann als erstes Station in Bremen machte.

Die Bundespolizei hat nur seine Personalien aufgenommen. Und
ihm sogar noch einen schönen Aufenthalt gewünscht. Ja, dann ist
Felix jetzt wohl in Bremen.“ teilte Bart mit.
Felix kam aus dem Bahnhof. Es war ein klarer, dunkler und
saukalter Abend. Die Straßenbeleuchtung machte ein schönes Licht.
Felix sah auf der Übertragung der Überwachungsdrohne aus wie ein
Drache, weil sein Atem auf den Wärmebildern aussah, als würde er
Feuer spucken. Er schrieb sich eine SMS.

Dann wollen wir uns mal Bremen ansehen! 🙂

„Ok, was fangen wir mit der Situation an?“ fing Chris an, zu sor-
tieren.
Rolf schlug vor ihn wieder auf den Sender zu holen, konnte sich
damit aber nicht durchsetzen. Bis gerade eben hatten sie das
abgehörte Gespräch aus dem Zug gesendet. Einfach ohne Bild.
Seitdem zeigten sie nichts und das ohne Ton.

„Das war alles sehr aufregend. Die Telepathie. Das Interesse für
meine Person. Die Kraft, die ich verspürte.“ erzählte ich.
„Aber?“ Heise und ich waren inzwischen ein eingespieltes Team.
„Ich hatte diese Schmerzen. Wir sprachen ja bereits darüber.
Vielleicht Körperhalluzinationen. Seit Neuestem halte ich das aber
ehrlich gesagt wieder für das gleiche wie damals: Strahlenkanonen
oder Negative-Scheiße-Energie. Äh ..“
„Negative was?!“
„Ja, wie soll ich das erklären. Ich will auch nicht, dass Sie auf einen
falschen Film kommen. Für mich ist der Zug ja abgefahren.“
Ich solle mir um das Seminar und ihn selbst mal keine Sorgen
machen, erklärte der Professor.
„Ok. Ich glaube fest daran, dass viele intensive und weniger inten-
sive Empfndungen die ich habe, von außen gemacht werden. Aach ..“
Es fühlte sich nicht meinetwegen, sondern wegen der Wand an

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noch vier weitere Seiten am 24. 3. 2022, ca. 0:30h CEWT

Zuhörern, wie das Begründen von Unsinn an.
„Wenn ich diese Vergangenheit nicht hätte. Wenn ich einfach heute
hier wäre und diese Schmerzen hätte, dann würde ich sagen, na, das
Material arbeitet nun mal. Also. Ich habe das heute auch noch
manchmal, will ich damit sagen ..“
Heise versuchte, mir beizuspringen. Ich hätte da einiges
durchgemacht in meinem Leben. Und wenn er das mit den
Schmerzen, die uns wie Halluzinationen vorkommen, richtig
verstehen würde, dann gehöre dazu ja immer noch diese
Agentengeschichte: „Als Psychiater könnte ich dazu sagen, dass Herr
Longolius sich einen Wahn gebildet hat, in dem seine Empfndungen
erklärbar werden. Durch die Einbettung in seine fantastischen
Geschichten, oder .. nicht fantastischen, sondern faszinierenden Ge-
schichten, fndet aus der psychiatrischen Perspektive auch ein
Hineinsteigern und Überbewerten der Empfindungen statt. Die
Empfndungen werden womöglich erst dadurch so stark empfunden,
dass sie in den Verfolgungswahn passen.“
Ich seufzte. Heise sprach weiter.
„Tja. Was soll ich Ihnen als zukünftige Psychiater raten. Man mag
geneigt sein, für sich selbst, als Arzt, die psychiatrische Erklärung
zum Leitgedanken der ärztlichen Praxis zu machen.“
„Aber, ..“ ich setzte zum Unterbrechen an, stellte jedoch fest, dass
der Professor noch nicht fertig war.
„Doch es gibt zwei weitere Perspektiven, die ich kurz schildern
möchte.“
Heise nahm jetzt Kreide in die Hand und stellte sich an die Tafel.
„Der Wahn kann für den Betroffenen Sinn machen.“
Er schrieb

Eigensinn

an die Tafel.
„Diesen Eigensinn wahrzunehmen, darf als Arzt nicht vernach-
lässigt werden. Sonst besteht die Gefahr, die Patienten im Sinne eines
Menschenbilds zu behandeln, das der Patient gar nicht anstrebt. Und

zwar nach einem Menschenbild, das der Patient auch nicht
anstreben würde, wenn er diesem Menschenbild entsprechen
würde. In diesem Sinne .. Behandeln, wenn jemand im Alltag nicht
zurecht kommt oder gar eine Gefahr für sich selbst oder andere ist:
Klar! Aber eine starre Idealvorstellung über das richtige Leben ist als
Psychiater zu vermeiden.“
„Das ist uns schon klar.“ sagte einer der Studenten.
„Gut. Die zweite Perspektive ist Ihnen vielleicht nicht so bewusst.“
Neben den Eigensinn setzte er

Mystik

„Man sollte nicht vergessen, dass der -ismus von Realität zwar – in
der Natur des Menschen angelegt – immer angestrebt wird,
wirklicher Realismus jedoch nicht erreicht werden kann. Wir können
sogar nicht wissen, um wieder zur psychotischen Erlebniswelt zu
kommen, ob die Menschheit – und in ihr der einzelne Mensch – alle
Entscheidungen allein fällen muss, oder kann. Also ohne Rat von
Geistern, Gott oder Außerirdischen.
Diese Ungewissheit zu beherzigen, wird im Idealfall aber nichts an
Ihrer Arbeit als Psychiater ändern. Lassen Sie einfach ein bisschen
Mystik zu, rate ich Ihnen. Natürlich ohne in eine Art Gegenrealismus
zu verfallen.“
„Radikal!“ sagte ich.
„Bitte?“ Heise schien genervt über diese erste Reaktion auf seinen
gefühlvollen Vortrag.
„Ach, das klingt radikal, aber nicht extrem. Sorry, bin da mal auf der
Webseite des Verfassungsschutzes drüber gestolpert. Im Gegensatz
zu Extremismus, sind radikale Ideen durchaus wünschenswert, oder,
legitim steht da glaube ich.“
„Sie halten meine Lehre für radikal?“
„Na, .., ja!“
„Wie Sie meinen.“ Heise steckte es weg. „Dann erzählen Sie mal
weiter von Ihrer Negativen-Scheiße-Energie.“
„Hab‘ die dann angezeigt. Ach nee, die Negative-Scheiße-Energie

habe ich nicht angezeigt, sondern die Strahlenkanonen. Irgendwann
nachts, nachdem ich ein paar Stunden durch die Stadt gepfffen bin,
hab ich das nicht mehr ausgehalten. Diese Negative-Scheiße- ..“
„.. Ja ja. Diese Schmerzen.“
„Genau. Ob die von Strahlenkanonen oder von irgendetwas ..
Gedanklichem kamen – ich war mir da nicht sicher. Aber die Poli-
zisten sollten sich etwas drunter vorstellen können ..“

„Seht ihr das? Es ist so weit. Felix geht zur Polizei.“ Mathilda und
Ingmar hatten Bart inzwischen in der Stadt aufgegabelt und standen
jetzt auf einem Parkplatz im Zentrum von Bremen und
beobachteten, abwechselnd über die Luftüberwachung, die
Sicherheitskameras der Stadt und live, was Felix so trieb.
„Ah ja.“ Im Bunker hatten sie es auch gerade mitbekommen. Oder
erst, nachdem Mathilda es gemeldet hatte. Es war nicht wichtig.
„Habt ihr eine Verbindung zu den Kameras in der Wache?“
„Das ist Bremen, Mathilda, die verstehen unter Datenschutz was
anderes, zumindest uns gegenüber. Keine Chance.“
„Mist.“
„Ich kann mal gucken ob wir wenigstens hinterher den Bericht aus
der Wache bekommen.“ stellte Rolf in Aussicht und verschwand aus
dem Raum.
Felix verschwand in der Wache.

„Und, hat die Polizei die Verfolgung aufgenommen?“ Heise war
launisch, seit meinem Radikalitätsvergleich.
„Nein.“ sagte ich langgezogen. „Unbekannte Flugobjekte seien nicht
deren Zuständigkeitsbereich, hat die Polizistin gesagt. Und die
Bundeswehr wollte sie auch nicht informieren. Aber aufgenommen
haben sie etwas. Und dann habe ich noch gesagt, dass ich mir ein
Hotel suchen wolle, aber die Zeche prellen müsse.“

„Ui! Was hat sie da gesagt?“
„Wo gedenken Sie zu nächtigen?“
„Hehe, die haben Sie nicht hochgenommen?“
„Nein.“

Der Polizeibericht las sich ganz lustig, fanden Rolf, Chris und Basti.
„Im Hotel Ramada will er also absteigen. Na, die werden sich freu-
en.“
„Hat vier Sterne. Nicht schlecht, Herr Specht.“ pflichtete Basti bei.
„Dann hack dich da aber jetzt mal rein. Ich schick auf jeden Fall
Mathilda hin. Die hat er noch nicht zu Gesicht bekommen.“

„Eigentlich hatte ich ja auch die Hoffnung, dass ich am nächsten
Tag Geld von meiner Bank bekommen würde.“

Felix betrat das Hotel um 23 Uhr 27. Er bat um ein Zimmer,
der Preis sei egal, aber es solle das billigste sein. Er konnte ein-
checken, ohne dass weiter über die Bezahlung gesprochen worden
wäre.
Mathilda ließ sich von Basti informieren, welches Zimmer Felix
bekommen hatte und tauchte fünf Minuten später selbst an der
Rezeption auf. Sie schaffte es, ein Zimmer neben dem ihrer
Zielperson zu bekommen, ohne damit aufzufallen.
Als er in seinem Zimmer ankam, fiel er angezogen aufs Bett, musste
aber zu viel nachdenken, um recht schlafen zu können. Da er in
seinem Erwachsenenleben vielleicht drei mal in einem Hotel
geschlafen hatte, wusste er nicht ob er rauchen durfte. Es gab keinen
Aschenbecher. Diesen Hinweis überging er allerdings. Er bastelte
sich einen aus dem Aluminium, mit dem der Schokoriegel

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Veröffentlicht vier weitere vier Seiten hier am 25. 3. 2022, ca. 1:30h CEWT

eingepackt war, der bereit stand, und den er gerade verputzt hatte.
Mathilda packte ihr Equipment aus und baute die Infrarot-Kamera
zwischen Fenster und Bett auf, so dass sie Felix durch die Wand
flmen konnte. Sie legte ihre Netzwerk-Box wegen des besseren
Empfangs in die Nähe des Fensters und verband die Kamera mit dem
Laptop, und den mit dem Bunker.
„Ok, wir sehen ihn.“ meldete Basti.
Mathilda ging ins Bad um sich ein bisschen frisch zu machen.
Von nebenan hörte sie Felix unter der Dusche mit gehobenen
Duschgesang-Niveau ‘Day by Day. You‘re making all my dreams come
true ..‘ singen.
Kurz danach setzte sich Felix auf sein Bett, mit dem Rücken an die
Wand gelehnt. Mathilda saß am kleinen Schreibtisch des
Hotelzimmers und beobachtete die Silhouette auf ihrem Computer.
Stück für Stück rutschte Felix ins Liegen und war offensichtlich
eingeschlafen.
Sporty schrieb noch aus dem Krankenhaus, dass Betty aus der
Narkose aufgewacht sei und er sie kurz besuchen konnte. Sie
kommunizierten über einen Tablet-Computer, da Betty tatsächlich
nicht sprechen konnte. Der Schuss hatte sie wirklich ungünstig
getroffen, auch wenn sie unfassbares Glück hatte, überhaupt noch
einmal aufgewacht zu sein.

„Am nächsten Morgen machte ich mich – natürlich zu Fuß ..“ die
Studenten lächelten. „.. auf den Weg zu einer Filiale meiner Bank.“
„Hatten Sie Geld auf dem Konto?“ fragte skeptisch Heise.
„Nein. Ich wollte einen Dispo oder Kredit. Ich habe mich aber
ziemlich schlecht benommen. Es endete mit den Worten: ‚Die
Außerirdischen landen erst, wenn das Wort Ausländer keine
Beleidigung mehr ist!‘“
„Oh weia, warum fnden Sie das Wort Ausländer eine Beleidigung?“
„Ja, da habe ich neulich erst wieder drüber nachgedacht.“
Antonia und ich lächelten uns an.

„Ähm, das war für mich wie der Satz ‘Kein Mensch ist illegal‘.
Außerdem wird das Wort doch fast immer verwendet, um
jemandem die Rechte eines Inländers abzuerkennen.“
„Ach, aber Inländer ist in Ordnung?“ Ich war überrascht. Der
Behindertenwerkstatt-Student hatte sich zu Wort gemeldet.
„Chapeau!“

Auf die Kameraüberwachung der Deutschen Bank hatten sie
sowieso Zugriff, es gab also wieder etwas zu senden. Da es keinen
Ton aus der Bank gab, mussten die Wichtel ihr Können im
Lippenlesen unter Beweis stellen. Jedenfalls folgten sie im Bunker,
Ingmar und Bart im Auto, und Mathilda im Hotelzimmer, sowie gut
100 weitere Geheimdienste, gespannt der Szene, wie einer der
bedeutendsten Menschen jener Tage bei seiner Bank kein Geld
bekommen würde. So viel war klar. Der Bankangestellte war schwar-
zer Hautfarbe.
ZP: Guten Tag. Ich wollte Sie fragen, ob Sie mir einen Dispo
gestatten können.
Bankangestellter: Dann bräuchte ich einmal Ihre Kontonummer.
ZP: Ok, da muss ich mal auf meine Waffe gucken.
„Oh mein fucking God!“ Chris war bestürzt. „Warum macht er jetzt
so einen ausgetickten Mist.“
Doch er holte bloß sein Mobiltelefon aus der Tasche.
„Fandet ihr das witzig?“ erkundigte sich Chris bei den anderen.
„Nein, das war Mist.“
„Warum macht er das? Ich meine, er ist die Weltpolizei. Er macht
doch seine ganze Arbeit kaputt. Ach, Scheiße!“
ZP: Entschuldigung, bitte lösen Sie keinen Alarm aus. Ich bin bloß
ein bisschen gestresst.
„Er weiß, dass er kein Geld bekommt. Er zieht ‘ne Show ab für uns.“
folgerte Basti.
Bankangestellter: Das ist nicht angenehm für uns, wenn Sie so
etwas sagen.

ZP nennt Kontonummer.
„Versteht ihr? Der ist beleidigt, weil er weiß, dass er so viel erreicht
hat. Jetzt hätte er gern ein bisschen Anerkennung.“ ergänzte Basti.
„Ja, da muss er aber jetzt durch.“
Bankangestellter: Ich kann Ihnen keinen Dispo geben, da Sie keinen
Gehaltseingang hatten diesen Monat.
ZP: Und kann ich einen Kredit beantragen?
Bankangestellter: Ich fürchte, der wird auch nicht bewilligt werden.
ZP: Ok. Danke. Als kleine Entschuldigung für mein Auftreten vorhin,
mache ich mich kurz etwas lächerlich für Sie: Die Außerirdischen
landen erst, wenn das Wort Ausländer keine Beleidigung mehr ist.
ZP verlässt Bank.
„Das sieht nicht gut aus. Das sieht nicht gut aus.“ rotierte es bei
Chris.
„Sag mal, kann es sein, dass das auch ein bisschen deine Aufregung
ist, wegen der er sich so verhält?“
„Nee, irgendwo muss auch mal eine Grenze sein. Er ist
verantwortlich für das was er tut. Und selbst wenn ich oder
irgendjemand ihm mitteilen würde, dass er so tun soll, als würde er
eine Bank überfallen, ist es seine verdammte Pflicht, das zu
ignorieren. Scheiße. Verdammt nochmal.“
„Hey hey hey, Chris. Er hat Anzeige gegen seine Stimmen erstattet.
Deshalb das Bohei um seine Person. Aber eine ganz normale
Reaktion hat er noch nicht bekommen. Keine. Er muss eine ganze
Menge Sachen mit sich selbst ausmachen. Nimm ihn nicht so hart
ran.“ forderte Basti ein.
„Ja ja. Was sind denn die Reaktionen auf der Liste?“
Rolf hatte während des Auftritts in der Bank bereits ein Auge
darauf. Jetzt las er nochmal quer und fasste zusammen:
„Ausländer ist ein Schimpfwort. Ausländer ist kein Schimpfwort.
Wenn Telepathie plötzlich Wirklichkeit wird, kann man bei dem
Scherz mit dem Smartphone schon mal beide Augen zudrücken ..“
Rolf drehte sich vom Monitor weg, den anderen zu:
„Er wird noch ein bisschen durchhalten müssen.“
„Also gut. Vielleicht bin ich auch etwas gereizt, weil sich da was

zusammenbraut in der Telepathie. Ich bin bald dran, bin mir sicher.“
versuchte sich Chris im Hinblick auf den Prozess vor dem
Weltgericht zu erklären.

Ich erzählte nicht genau, was in der Bank geschah, aus vielerlei
Gründen. Dass ich in einem arabischen Imbiss erfolgreich etwas zu
essen schnorrte, kam statt dessen als nächstes zur Sprache. Und dass
ich damit, zusammen mit den Snacks aus der Mini-Bar im Hotel,
über die Runden kam.
Im Hotel ging es schon wieder auf die Nacht zu. Und dann, das
müsse ich noch kurz schildern, hatte ich ein ähnlich beein-
druckendes telepathisches Erlebnis, wie damals im Wald.
Diese Edith hätte mir auf dem Weg von der Bank zum Hotel
jemanden vorgestellt. Es war ein junger Mann, nach meinem
Eindruck. Er erkundigte sich nach den Geschehnissen damals, wegen
der ich die Anzeige gegen unbekannt, beziehungsweise gegen die
Stimmen, erstattet hatte.
„Ich hatte ein gutes Gefühl bei ihm. Er erklärte mir, dass man sich
für meine Anzeige interessieren würde. Und zwar an höchster Stelle.“
„Ah, Sie hatten neulich schon etwas von einer telepathischen
Gerichtsverhandlung angedeutet?“
„Ja, genau. Er sei mein telepathischer Anwalt.“

„Es hat sich gefunden.“ sagte Chris. Er kam gerade aus seinem
Raum, wohin er sich eine Weile vorher entschuldigt hatte.
Rolf war ziemlich ungehalten. Er musste sich gerade damit ausein-
andersetzen, dass offensichtlich recht viele Agenten von verschie-
denen Geheimdiensten, das Hotel Ramada aufsuchten. „Waaas hat
sich gefunden? Verdammt nochmal. Du sollst nicht immer so schwa-
feln!“
„Ja ja ..“ Chris war nervös. „Das Weltgericht .. hat sich gefunden. Sie

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Noch vier weitere Seiten hier neu am 25. 3. 2022, ca. 1:30h CEWT

haben mich jetzt aus dem Netz ausgeschlossen. Irgendwann bald
werde ich wohl aussagen müssen. Aber erst mal wird Felix dran sein.“
Chris setzte sich und machte eine Sprechverbindung zu Mathilda
auf. Er erklärte ihr, was da seiner Meinung nach heute Nacht
vorgehen würde, im Zimmer nebenan.
Sie musste sagen, dass das ja alles überzeugend sei, was sie von der
Telepathie mitbekommen hatte. Dass sie aber keinen Zugang zu
dieser Welt habe.
„Wo gibt‘s denn was zu kiffen in Bremen?“ fragte Chris daraufhin in
den Raum hinein, der sich durch die Sprechverbindung bis nach
Bremen erstreckte.
„Ich will aber nicht kiffen!“
„Och komm, für den Weltfrieden .. du kannst auch einen Tee
trinken. Hmm, was sagst du? Sonst mache ich es zu einer Dienstan-
weisung.“
„Dann mach‘ es zu einer Dienstanweisung.“
„Rolf?“ Chris sprach Mathildas Chef an. „Rolf, kannst du Mathilda
bitte anweisen, einen Hasch-Tee zu trinken?“
„Hilft das?“
„Wieso, willst du auch?“
„Nein, einer sollte hier geerdet bleiben. Also gut ..“ Rolf ließ sich den
Hörer geben. „.. Mathilda, bitte tu es.“
„Ich versuch‘s ohne, Ok? Irgendwas werd‘ ich schon denken, das
nicht von mir kommt. Zum Beispiel denke ich gerade ich soll kiffen.“
„Mathilda, Kompromiss. Ich schicke Bart und Ingmar los, ein
bisschen Haschisch zu besorgen und du kannst dann immer noch
selbst entscheiden. Ok?“
„Ihr könnt mich mal. Na, dann besorgt den Stoff mal. Sagt Bescheid,
wenn ich runter kommen soll.“
Sie beendete die Verbindung und Rolf fragte Chris nach dem
Zusammenhang von Kiffen und Telepathie: „Kriegt sie eine bessere
Verbindung hin, wenn sie kifft?“
„Nicht die Bohne.“
„Naja ..“ Basti mischte sich ein. „Die Gedanken werden durchs
Kiffen schon irgendwie lauter.“

Chris war aufgestanden und klopfte Basti jetzt gegen den Kopf, was
der über sich ergehen ließ. „McFly-ay, jemand zu Hause? Die
Gedanken werden für dich selbst lauter. Aber nicht für die anderen.
Außerdem wird das Zuhören dadurch immer schwerer. Bekifft
telepathierst du vor allem mit dir selbst.“
Basti streifte Chris Hand dann doch weg von sich, die da irgendwie
noch rumbaumelte. „Glaub‘ ich nicht.“
„Dann glaub‘s nicht. Willst du auch kiffen?“
„Nein. Nicht jetzt.“
„Wieso nicht?“
„Weil ich dann zu schnell denke. Und jeden Gedanken total wichtig
fnde.“
„Würdest du bekifft mit dir telepathieren wollen?“
„Weiß nicht. Wieso?“
„Sagen wir‘s mal so. Ohne ist‘s auf jeden Fall schöner. Und ..“ Chris
ging mal wieder Tee holen. „.. lieber nüchtern nicht telepathieren, als
bekifft den Äther verstopfen.“
Er kam nochmal wieder: „Bei Mathilda mach‘ ich da ausnahms-
weise mal eine Ausnahme.“
„Warum?“ Diese Frage war noch nicht geklärt und Basti ließ das
nicht auf sich sitzen.
„Ja, weißt du. Ich würde mir wünschen, dass es da eine Kom-
ponente von Humor im Spiel gibt nachher, wenn Felix darüber
aussagt, dass ich versucht habe ihn zu ermorden. Das ist ja kein
klassisches Strafgericht. Das Weltgericht ist mehr eine moralische
Instanz, wie soll ich das sagen, das seine Strafen nur mittelbar
durchsetzt. Und ich habe vielleicht eine Strafe verdient, aber ..“
Sein Tee musste noch warten.
„.. ich bin nicht schuldig. Versteht ihr?“
Rolf verstand nicht. „Noch nicht.“
„Mit der Schuld in der US-Amerikanischen Befehlshierarchie ist
das so eine Sache. Man könnte sagen, am Ende ist oft der Schuld, der
keinen anderen verpfeifen kann. Ich meine .. ich habe meinen
Auftrag, Felix in den Selbstmord zu treiben, damals in einer stabilen
Struktur angenommen, die durch 9/11 nochmal an Straffheit

gewonnen hat. Also, ich weiß nicht, wer von mir damals hätte
verlangen können, dass ich den Auftrag hinterfrage. Ich hoffe die
Person nimmt heute nicht im Richterstuhl Platz.“
„Geschwafel. Ok, aber .. du willst, dass nachher jemand anderes die
Schuld bekommt. Warum soll Mathilda dafür kiffen?“
„Chaos.“
„Chaos?“
„Im Chaos liegt die Kraft.“

„Der junge Mann, der Anwalt .. ich weiß nicht wie sein Name war,
aber nennen wir ihn David. Der hat mir das vermittelt. Dass meine
Anzeige verhandelt wird. Vor eben dem Weltgericht.“
„Wie kommt man dahin? Ich hätte da auch was anzuzeigen.“ sagte
einer der Studenten.
„Hehe, das kann ich verstehen. Nun. Ich weiß es nicht. Also. Ich
erzähl‘s ja gerade.“
Ich überlegte kurz, bevor mir einfel zu fragen: „Was würden Sie
denn anzeigen wollen?“
„Ach, nee, war nur ein Scherz.“

Ingmar und Bart fuhren ins ‚Viertel‘ von Bremen, um Haschisch zu
kaufen. Für Mathilda. Weil der BND es so wollte. Sie hatten da einen
guten Tipp in einer entsprechenden Datenbank gefunden, und in
einem Internetcafé an der Ecke Taubenstraße und Im krummen Arm,
schnell Erfolg.
Mathilda traf die beiden in einer mittelalterlichen Gasse hinter dem
Hotel. Sie brachten eine Thermoskanne mit.
„So, Mathildchen. Wie sieht‘s aus. Willst du den Auftrag aus-
führen?“
„Ich weiß es doch nicht.“
„Du müsstest dich bald entscheiden, weil das ein Stündchen

braucht bis du richtig high bist.“

// Das ist nicht Thema zur Zeit.

„Und wenn ich‘s doch rauchen will?“
Bart griff in die Innentasche seiner Jacke und zückte einen Joint.“
„Dann nimmste den hier.“
„Ok, Feuer?“ fragte Mathilda aufmerksam.
Bart gab ihr eine Packung Streichhölzer: „Alles vorbereitet“.
In dem Moment ging eine SMS bei Mathilda ein.
„Betty schreibt!“ Mathilda las die Nachricht durch und fasste
zusammen: „Sie will wissen, was wir so treiben. Hat die Anweisung
bekommen sich rauszuhalten. Aber sie weiß, dass wir in Bremen
sind.“
Mathilda senkte die Hand mit dem Telefon. „Was soll ich ant-
worten?“
„Frag sie doch erst mal, wie es ihr geht.“

„David, also der Anwalt, sagte dann, dass ich bald vor dem
Weltgericht aussagen dürfe. Und, das war ja letzten Endes mehr, als
ich mir mit der Anzeige erhofft hatte.“
„Also ..“ Eine Studentin äußerte Zweifel daran, dass meine
Erzählung ausreichend refektiert war. „Also, nochmal für Dumme.
Wie kann es sein, dass es ein telepathisches Weltgericht gibt, von
dem nie etwas in der Zeitung steht. Von dem hier im Raum
vermutlich noch nie jemand außer Ihnen gehört hat. Ich meine ..“ sie
spielte aufgeregt mit ihren Fingern am Mund rum. „Wie kann das
sein. Dass ich mich da so ernsthaft reinzudenken versuche, bereitet
mir schon Kopfschmerzen.“
„Ich fürchte, wir schaffen nicht mehr alles, was wir uns vor-
genommen haben, wenn ich da jetzt drauf eingehe.“ richtete ich als
Frage an Professor Heise.
„Dafür sollten wir uns die Zeit nehmen.“
„Also gut. Für mich ist das ein Dauerthema. Fast ein ständiger
Kampf zwischen dem was logisch ist, und dem, was ich erlebt habe
und erlebe. Obwohl, logisch ist das falsche Wort. Das was ich erlebt

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Und vier weitere Seiten, welche ich am 25. 3. 2022, ca. 1:45h CEWT zur Veröffentlichung vorbereite

habe ist ja auch logisch für mich. Ok, also .. was ist das eigentlich für
ein Bild von der Gesellschaft, das ich damit entwerfe. Wenn ich sage,
dass es da dieses Weltgericht gibt, oder, dass es da überhaupt Dinge
gibt, über die nichts in der Zeitung steht.
Ich glaube übrigens an die Qualität der Zeitungen hierzulande. Auf
keinen Fall unterstelle ich ihnen zumindest bösen Willen dabei, nicht
über so etwas zu berichten. Es muss einfach schier unmöglich sein,
so etwas wie Telepathie ins Blatt zu bekommen. Ich meine, stellen Sie
sich eine Redaktionskonferenz beim Spiegel mal vor, bei der einer
der Journalisten sagt, er hat einen Prozess beim telepathischen
Weltgericht mitverfolgt.
Vielleicht passt dieses Wissen einfach nicht auf Papier. Vielleicht ist
das Wissen über diese Techniken, mit dem Aufkommen der
Schriftlichkeit, sogar zu weitgehend verdrängt worden. Vielleicht
passt Telepathie sogar einfach nicht mit Sprache zusammen.“
„Telepathie funktioniert doch mit Sprache, sagen Sie.“ warf Heise
ein.
„Neben Bildern und Gefühlen erlebe ich in der Telepathie auch
Sprache, das stimmt. Aber vielleicht kam die Sprache auch erst
später, oder parallel zum Gesprochenen, in dieser Gedankenwelt,
dieser gemeinsamen Gedankenwelt, vor. Ich weiß es nicht. Ich mag
mich da auch irren.“
„Ja, Sie mögen sich da irren.“
„Oder auch nicht.“
„Oder auch nicht .. Die Veranstaltung war auch eigentlich nicht
dazu gedacht, so konkret über die Möglichkeit nachzudenken, dass
diese ganzen Phänomene wirklich existieren. Es ist die plastische
Erzählweise von Herrn Longolius, die uns ein Stück weit in diese
Welt entführt hat. Aber dann ist das jetzt nun mal so.“
„Ja, man muss sich ja auch ein Stück weit der Lächerlichkeit Preis
geben, wenn man sich so wie ich hinstellt und sagt, ja, ich
telepathiere. Und, ehrlich gesagt, so viel wie ich mich da wirklich
geirrt habe in meinem Leben .. ich bin ..“
Jetzt wird es heftig, dachte ich.
„Ich habe mich da ja ganz eklatant geirrt in meinem Leben. Ich

habe doch schon davon erzählt, aber das gehört jetzt auch zu diesem
Gedanken. Ich habe mich sehr viel geirrt. Und die einzige
Möglichkeit, dass Telepathie trotzdem existiert, ist, dass die starken
Telepathen die Schwachen auch mal verarschen.“
„Sie sind ein schwacher Telepath?“
„Das wollte ich damit sagen.“

Betty schrieb, dass es ihr den Umständen entsprechend einiger-
maßen gut gehe.
„Den Umständen entsprechend .. einigermaßen.“ Mathilda war
besorgt. „Meint ihr sie kann uns in dem Zustand gerade helfen?“
„Sie hat unzweifelhaft eine Verbindung zu Felix. Und warum soll sie
denn da untätig rumliegen im Krankenhaus. Außerdem willst du ihre
Nachrichten ja wohl nicht blockieren.“
„Naja, nein.“ Mathilda reichte den Joint weiter, aber die anderen
beiden lehnten ab. Ohne einen weiteren Kommentar nahm sie auch
noch die Thermoskanne und machte sich bereit für den Weg zurück
in das Hotelzimmer. „Was haltet ihr denn vom Weltgericht?“
„Welches Weltgericht?“
„Habt ihr das nicht mitbekommen? Felix Anzeige wird da verhan-
delt.“
„Sag mal, bist Du sicher, dass du den Tee auch noch mitnehmen
willst?“
„Ach, ihr seid blöd. Fragt mal in der Zentrale nach. Mein Zimmer-
nachbar sagt heute Nacht vorm telepathischen Weltgericht aus.“
Mathilda lächelte breit und zog los.
Ingmar und Bart blieben zurück und gingen zum Auto.
„Was denkst du darüber?“
„Wird mir alles ein bisschen zu verworren.“ Bart drückte auf die
Fernsteuerung für die Türverriegelung. „Wollen wir auch einen
durchziehen?“
„Wie? Ich dachte du hast alles Mathilda gegeben?“
Ein weiteres breites Lächeln folgte als Antwort.

Auf der Mailingliste wurde es derweil still. Der Plan, dass Russland
und China gegen politische oder zumindest informelle
Zugeständnisse wieder zusehen wollen würden, ging nicht auf. Es
war davon auszugehen, dass sie sich anderweitig Zugriff auf die
Streams verschaffen konnten. Vielleicht hatten sie auch gar kein
Interesse mehr, was aber unwahrscheinlich schien.
Im Bunker mussten weitgehende Kompromisse eingegangen
werden. Das kleine Team – immerhin war Sporty aus dem
Krankenhaus wiedergekommen – konnte nur einen Bruchteil der
vorhandenen Kommunikation und Informationen auswerten. Dies
musste man den anderen Teams überlassen, den feißigen Wichteln,
und wem auch immer sonst noch. Man musste sich stattdessen auf
die Überwachungsdaten und die Versendung derselben
konzentrieren.
„Wir senden aus einer Blase.“ beschrieb es Basti, als Sporty um eine
Zusammenfassung der Situation bat.
„That‘s show business“ kommentierte Chris, der das Gespräch der
jungen Kollegen mitgehört hatte.
„Und was sendet ihr so?“
„Na, was wir so kriegen können. Momentan Felix, in seinem
Hotelzimmer auf dem einen Kanal, und den Film ‚Ghost‘ mit Patrick
Swayze auf dem anderen.“
„Wie seid ihr denn darauf gekommen? Und was ist mit dem
Manray-Terminal?“
„Der Film war natürlich Chris Idee.“
Chris lächelte herüber.
„Den Manray-Terminal kannst du dir ja mal ansehen. Sieht nicht so
aus, als brächte der momentan einen Nutzen, außer den
Kryptographen der anderen Dienste eine Beschäftigung zu geben.“
Sporty schaute sich den Terminal an und sah tatsächlich nur
chaotisch wirkendes Blinken.
„Kriegt er davon was mit?“
„Wir sind uns nicht sicher. Wenn er etwas davon mitbekommt,
dann ist die Bestrahlung der totale Reiz-Overkill. Tausend Ameisen.“
Chris mischte sich nochmal ein. „Lassen uns nicht mehr

zuschauen. Aber im Visier haben sie ihn mit Sicherheit noch. So. Ich
glaube, Felix ist jetzt dran.“

„Dann kam ich dran.“ Ich knüpfte in meiner Erzählung wieder bei
dem an, das ich als Weltgericht bezeichnete.
„Die Erzählzeit und die erzählte Zeit klaffen an dieser Stelle
allerdings gewaltig auseinander. Also, gedauert hat das ganze
vielleicht eine Minute. Wenn nicht weniger. Ich wurde gebeten mich
kurz vorzustellen. Und dann kamen die eigentlichen Fragen. Zwei
Fragen. Ob es stimme, dass ich damals dachte, Selbstmord begehen
zu müssen und .. dann die offenbar wichtigere Frage ..“
„Wir sind gespannt.“ Heise füllte die Pause die ich ließ.
„Ja, die eigentlich Frage war, ob ich denke, dass die Telepathen mich
damals wirklich umbringen wollten.“

Felix wurde eben befragt. Haltet euch fest. Die eigentliche Frage
ging darum, dass er sich NICHT umgebracht HAT.
Mathilda wurde das dann zu viel. Sie rief den Bunker an und sagte
Rolf, der das Gespräch angenommen hatte, was Betty ihr gerade
geschrieben hatte.
„Ja, Betty hat uns das auch geschrieben. Und, hast du etwas
mitbekommen?“
„Nee, nicht wirklich. Felix saß kurz ganz still da. Jetzt ist er
aufgestanden und geht hin und her. Was hat das zu bedeuten, was
Betty geschrieben hat?“
„Chris ist auf jeden Fall ziemlich sauer. Er meint die Telepathen
wollen sich weißwaschen.“
„Mathilda, kannst du mich hören?“
Chris war ans Mikro getreten und wirkte ziemlich aufgebracht.
Mathilda bejahte

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Hier neue vier Seiten am 25. 3. 2022, ca. 18:30h CEWT

„Ich weiß, du bist unzufrieden damit, was du von der Telepathie
mitbekommst. Aber stell es dir bitte einfach vor. Felix braucht jetzt
unsere Unterstützung. Deine Unterstützung. Beim Weltgericht
behaupten sie gerade, dass Felix gar nicht in den Selbstmord
getrieben werden sollte, sondern, dass alles unter Kontrolle war. Das
heißt, die wollen die Verhandlung vorzeitig abbrechen.“
„Und was kann ich tun?“
„Ruhe. Was wir gerade brauchen ist Ruhe. Felix darf keinen Mist
bauen jetzt. Also in Worten könntest du einfach denken: Es wird alles
gut. Die Wahrheit wird sich durchsetzen. Bleib ruhig. Und du hör‘ auf
Betty.“
Mathilda spürte, dass sie diese Ruhe trotz des Joints und des
Hasch-Tees umsetzen könnte, zumindest für sich selbst. Und Bettys
Rat war ihr auch teuer.

„Ich meine, natürlich wollte ich mich nicht umbringen. Aber die
Atombombe flog doch angeblich auf Hamburg zu. Und, dass von
meinen Verwandten welche erschossen wurden, hieß es.“
„Ok ok ok, Sie müssen das nicht erzählen.“ beruhigte mich Heise.
Aber ich wollte das gern mal loswerden.
„Ich habe so was von versucht mich umzubringen. Ich meine, die
haben behauptet, dass das alles meine Schuld sei.“
„Ok, wie haben Sie es versucht?“
Jetzt hatte ich gesagt, dass ich es erzählen wollte, da war Heises
Frage nur konsequent.
„Erst habe ich mit einem Messer an mir rumgeritzt. Hat man
eigentlich an den Fußgelenken einen Puls?“
„Ok, wir können es uns vorstellen.“
„Dann habe ich mir eine Plastiktüte über den Kopf gezogen. Im
letzten Moment hieß es aber, ich solle das lassen. Oder ich habe das
von selbst gemacht. Ich weiß es nicht mehr so genau.“

Rolf berief eine Sitzung mit seinen eigenen Chefs ein, weil Chris
darum gebeten hatte. Er wollte etwas mitteilen. Sie trafen sich zu
fünft in einem holzvertäfelten Büro, nochmal zwei Stockwerke tiefer.
Ein Assistent, der noch Kaffee und Wasser auf den Tisch gestellt
hatte, verschwand, und Chris wurde gebeten zu sprechen.
„Ich hatte den Auftrag, ihn umzubringen. Dazu bezogen wir in
Hamburg Stellung. Zunächst sollten wir die Stimme, die sich bei
Longolius als französischer UN-Botschafter ausgab, kaltstellen. Das
haben wir getan.“
„Wie?“ fragte einer der drei anwesenden Vorgesetzten ernst.
„Das entzieht sich meiner Kenntnis. Wahrscheinlich wurden die
hinter der Stimme stehenden Personen erpresst, vielleicht gab es
Entführungen.“
„Mord?“
„Es wäre möglich, dass sich die Gruppe, die sich als Vereinte
Nationen dargestellt hatte, deshalb zurückzog.“
„Eine CIA-Operation auf deutschem Boden, Erpressung,
Entführung, möglicherweise Mord. Um jemanden telepathisch in den
Selbstmord zu treiben. Das ist ja mal was. Was können Sie uns noch
erzählen?“
„Die Anzeige ist Ihnen bekannt?“
„Er gab an, dass ihn eine Stimme fragte ..“
Der Vorgesetzte suchte in den Akten.
„.. Wen fndst‘n gut.“ Er schaute nicht auf. „Nachdem ihm die
Stimme, in der Tat laut seiner Anzeige ein UN-Botschafter, mehrere
Wochen Unterricht im Telepathieren gegeben hatte.“
„Genau. Das war dann mein Part. Wir wussten von einer
ehemaligen Schulfreundin, an die er sehr viel dachte. Ich redete ihm
ein, dass sie sich seinetwegen das Leben genommen hatte.“
„Ist uns bekannt. Auf grausame Weise.“
„Jedenfalls .. wenn beim Weltgericht jetzt behauptet wird, das sei
alles unter Kontrolle gewesen ..“
„.. Jaja, das Weltgericht.“
„Hören Sie, wollen wir jetzt von vorn anfangen?“

Das war ja dann genau die Frage. Ob man mich im letzten Moment
davon abhielt, oder ob ich mich weigerte, mich umzubringen.“
„Wenn wir annehmen, es gibt Telepathie und dann auch dieses
Gericht, eine zynische Frage.“
„Ja, genau. Schließlich haben sich schon so viele Schizophrene
wirklich das Leben genommen.“
„Ach, so meinen Sie das. Ja.“

„Die wollen das so darstellen, als wäre es alles nicht so schlimm
gewesen!“
„Wer sind ‘die‘?“
„Diejenigen, die gerade in der telepathischen Welt die Überhand
haben. Also, die alte Riege. Man will da natürlich nicht schlecht
dastehen am Ende. Und deshalb soll ich jetzt nicht mehr aussagen.“
„Was würden Sie denn aussagen?“
„Dass meine Befehle zu dem telepathischen Anschlag von ganz
oben kamen, zum Beispiel.“
„Aus dem Weißen Haus?“
„Natürlich.“

„Aber wenn wir jetzt davon ausgehen, dass es Ihr eigenes Gehirn
war, das sich diesen Prozess vorgespielt hat. Was sagt uns das
darüber, dass Sie sich gefragt haben, ob Sie wirklich Selbstmord
begehen sollten.“
Heise merkte es selbst.
„Oh, ich komm da gerade ziemlich durcheinander. Wenn Sie sich
das selbst vorgespielt haben, gab es natürlich gar keinen Anlass, sich
umzubringen. Den es natürlich sowieso nie gibt.“

„Hab‘s mir aber nicht vorgespielt.“
„Haben Sie wahrscheinlich doch .. Aber bevor wir jetzt streiten ..
Wie ging es weiter?“
„Der Anwalt, oder ich nenne ihn wieder David, war aufgeregt. David
erklärte mir, für einen Moment hätten sich ziemlich viele Leute
gleichzeitig mit meinem Fall beschäftigt. Das war auch wirklich
ziemlich krass. Ich kam mir im Moment der Aussage wirklich vor, wie
vor einem Gericht. Einem unendlich großen, sehr hohen
Gerichtssaal, in dem mich eine Stimme fragt, ob ich glaube, dass der
Selbstmord-Plot kontrollierbar war.“
„Ok ok, Sie haben uns in Ihrem Bann.“

Nachdem Chris die Vorgesetzten von seiner Geschichte
überzeugen konnte, war der Plan, mit einer weltweiten Anstrengung
die Übermacht beim Weltgericht zu erlangen. Und den Prozess dann
richtig zu Ende zu führen.
Die Schwäche derer, die eigentlich ein Interesse daran hatten, den
Fall aufzuklären, lag zum einen an mangelnder Erfahrung in der
telepathischen Welt. Aber zum anderen konnte man sich einfach
nicht vorstellen, in dieser Welt jemals einen Punkt gegen die kon-
servativen Netze zu erlangen.
Die Südamerikaner waren am lethargischsten. Die Kirchen und bei
den Chinesen hingegen, hatten viele wohl die Befürchtung, nach
einem ersten Prozess gegen Gedankenverbrechen, als nächstes dran
zu sein.
Die Muslime hatten aber auch ein Interesse an der politischen
Komponente hinter dem Prozess. Dem Zusammenhang mit den
Kriegen in ihren Ländern. Die Hoffnung war, dass sie also, trotz der
Gefahren für ihre Macht, den Prozess wahrnehmen würden. Und
durch ihre Teilnahme die Überlegenheit der alten US-Regierung
dämpften.

// Das ist vorschlau, ich war noch nicht so alt. Ich kann jetzt mehr Zusammenhalt, Zuversicht, Selbstverständlichkeit mit meiner kommunikativen Arbeit herstellen, ohne dass sich jemand verstecken muss.

Und und und und und ich spiele mit Ihrer Missbilligung meiner zuweisenden Allgemeinplätze und der Schönheit der Überraschung, dass der Mensch wie selbstverständlich klüger als meine Schemata hier sind.

Viele mussten als weitere, zumindest neutrale, Beobachter
gewonnen werden. Damit die Europäer, allen voran die Spanier,

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Vier neue Seiten hier am 25. 3. 2022, ca. 19:00h CEWT

Wort- oder Gedankenführer bei der Zusammenkunft werden
könnten. Damit die Aufklärer ausreichend Raum erhielten.
Im Livestream wurde der kollektive Gedanke konzertiert. Mit
kreativen Mitteln. Willy Brandt wurde eingeblendet. Dann wieder
lebende Köpfe, die sich nach dem Willen des BND aktiv einmischen
sollten. Später Gorbatschow.
Der bekam dies offenbar mit, vielleicht auch nur, weil er von
Vertrauten darauf hingewiesen wurde. Jedenfalls wurde Basti eine
angebliche E-Mail von ihm zugespielt.
Jedoch kritisierte er darin das Schauspiel, das der BND
veranstaltete, scharf. Schließlich habe das Weltgericht in der
Vergangenheit auch ohne extra Fernsehsender funktioniert. Und was
sollen die Leute denken, deren Schicksale in Zukunft so verhandelt
werden? Dass dazu jedes Mal die halbe Welt den Fernseher
einschalten müsse? Nein, da würden zwei Welten miteinander
verschmolzen, die besser getrennt geblieben wären. Aber jetzt sei es
zu spät. Abschließend sagte er überraschend, er hoffe, dass
Gedankenverbrechen irgendwann zu einem regulären Straftat-
bestand werden. Denn wahre Freiheit würde zu allererst in den
Gedanken ausgefochten.
Inzwischen war es vier Uhr morgens.
Was würde bloß aus der ganzen Sache werden.

„Und? Was ist aus der Sache geworden?“ fragte der Student, der
auch gern etwas beim Weltgericht anzeigen würde.
„Irgendwann sagte Dick Cheney aus. Der Vize-Präsident von Bush
und, nach allem was man weiß, der Strippenzieher bei den
Rachefeldzügen in Afghanistan und dann im Irak. Ja, der wurde dann
gegrillt.“
„Also irgendwo müssen wir dann jetzt auch ehrlich sein mit Ihnen.
Wir hören Ihnen zu und lassen Sie etwas untätig Ihre Geschichte
erzählen. Mit der Gefahr, dass Sie hinterher wieder an Ihren Wahn
glauben, weil wir Ihnen nicht widersprechen. Müssen wir uns da

Sorgen machen? Was denken Sie?“
„Naja, ich war ja nicht gemein zu irgendjemandem. Den Cheney
habe ich später sogar vom Selbstmord abgehalten.“
„Entschuldigung, so war das eigentlich nicht gemeint .. aber .. Sie
haben was?!“
„Kennen Sie den unendlichen Durchblicksstrudel aus dem Roman
‚Per Anhalter durch die Galaxis‘?“
Ein leises Ahja ging durch die Reihen, so leise, das davon
ausgegangen werden konnte, dass ihn höchstens vier Studenten
kannten.
„Im unendlichen Durchblicksstrudel sieht man sich selbst im
Verhältnis zum Universum, was bei jedem, der in ihn gerät, zum
Selbstmord führt. Außer bei Zaphod Beeblebrox, aber das lassen wir
mal außen vor. Jedenfalls ..“
„Ja ja.“ Heise ging lächelnd, eher sogar lachend, offenbar gerade auf,
dass er seit knapp zwei Monaten einen Spinner seinen Irrsinn
erzählen ließ. Ich guckte ihn fragend, aber auch lächelnd an.
„Erzählen Sie nur weiter. Das macht den Kohl auch nicht fett.“

Irgendwann sagte Chris den anderen Dreien, sie mögen mal in
Richtung Texas denken. Er meinte das wörtlich und schrieb knapp
rechts unter den Schriftzug New York groß Cheney an die Wand.
„Wie?“ fragten die anderen.
„Stellt Euch ungefähr vor, ihr seid Moslems, und Texas ist jetzt mal
Mekka.“

„Ok, also ich und die anderen Telepathen haben Cheney in eine Art
Durchblicksstrudel geschickt. Aber einen, bei dem er sich im
Verhältnis zu seiner Schuld sieht. Ach.“
Ich lehnte mich mit den Ellenbogen auf dem Tisch mit meinem
Mund gegen meine gefalteten Hände.

„Irgendwie lässt mich der Erfolg, den ich in dem Zusammenhang
erinnere, daran zweifeln, dass das real war. Ich erinnere es nämlich
so, dass wir den Cheney wirklich gebrochen haben. Dass wir in die
USA eingedrungen sind und dort den Landsitz von Cheney umstellt
haben – im Geiste. Dass die amerikanischen Kriegsgegner die Chance
ergriffen und, ja, genau, so war das. Eigentlich habe ich Cheney nicht
selbst in die Mangel genommen, sondern die Amerikaner dabei
beraten. Jedenfalls habe ich es alles angesehen.
Und als er dann zur Waffe greifen wollte. Um sich jämmerlich
selbst zu richten. Da bin ich dazwischen gegangen. Und habe ihm
gesagt, ja, viele würden heute noch leben, wenn die USA ihre Taktik
mehr an dauerhaftem Frieden orientiert hätten. Aber es gibt einen
Weg mit der Schuld zu leben und sie ein bisschen wieder gut zu
machen.
Das klingt doch alles so, als hätte ich es mir ausgedacht, oder?“
„Das wollte ich vorhin sagen. Aber mal wieder .. sehr eindrücklich.
Wenn es real wäre, wäre es vermutlich so passiert, wie Sie es
erzählen. Da bin ich sicher.“
„Danke, das ist nett.“

Der Tag war mal wieder geschafft. Gegen halb sieben waren alle
bereit, sich ne Runde auf‘s Ohr zu hauen.
Nur Chris war aufgedreht, wie nach einer Sportveranstaltung, bei
der sein Lieblingsteam gewonnen hat:
„Und dann hat Felix eingegriffen. Er sagt Dick Cheney, der, wie wir
jetzt wissen, den direkten Auftrag gab, Felix in den Selbstmord
treiben zu lassen. Er sagt seinem Mörder .. ‘Herr Cheney, schießen Sie
nicht. Die Welt kann Sie zwar nicht brauchen, aber schießen Sie
nicht.‘ Und Cheney jammert.“
„Gute Nacht, Chris. Bis später. Ich muss mich jetzt wirklich
hinlegen.“ musste Basti sagen.
„Ja ja, gute Nacht. Aber er hat wirklich ‘Herr Cheney‘ gesagt.“
„Wird das nicht übersetzt?“

„Ich glaube, die Unterhaltung haben die beiden ziemlich direkt
miteinander geführt.“
„Und was wird das Weltgericht jetzt machen? Wird sich überhaupt
etwas ändern?“ fragte Sporty, der noch ein bisschen wach war.
„Nein. Leider nicht. Irgendwann wird sich etwas ändern. Aber in
den Köpfen hat sich heute viel bewegt. Wir gucken die nächsten Tage
mal aufmerksam in die Zeitungen. Dann wissen wir mehr.“

„Ok, aber wie sind Sie dann ins Krankenhaus gekommen?“
„Oh, das hat noch ein bisschen gedauert. Erst habe ich mich ein
paar Wochen wirklich geirrt. Und zwar dachte ich, ich bin im
Fernsehen. Im Weltfernsehen. Das waren wirklich irre Tage.“
„Au weia, ok, aber das dann ganz schnell jetzt, bitte.“
„Lange Rede, kurzer Sinn .. Ja, ich hatte dann irgendwann Probleme
mit der Polizei, weil ich keine Lust mehr hatte. Da saß ich dann. Ich
habe denen nicht gesagt, was mit mir los war. Ich habe einfach
gesagt, dass ich eine Diagnose als Schizophrener habe und auf der
Flucht vor einer Betreuung sei.
Dann kam irgendwann ein Mitarbeiter vom Gesundheitsamt, auch
wenn ich misstrauisch war, ob er wirklich dort arbeitete. Gemeinsam
haben wir dann auf einen Krankenwagen gewartet. Und dann ging es
ins Krankenhaus.
Die haben mich da behalten. Am nächsten Tag kam ein Richter.“

Maria, die Justizbeamtin die Frank zuarbeitete, bereitete den
Widerspruch für seine Ansicht vor. Sie machte es wie immer, wenn
jemand beim Bundesgerichtshof gegen seine Unterbringung vorging.

Es war schade, dass es so zu Ende ging. Denn auf meinem Weg in

##
Die folgenden vier Seiten sind hier neu am 25. 3. 2022, ca. 23:00h CEWT

die Realität würden mir die Studenten folgen, und dabei die
Faszination des Wahns vergessen.

„Ja, das war‘s dann wohl.“ sagte Rolf.
Chris stapelte gerade den achten oder neunten leeren Pizza-Karton
übereinander. Sie hatten schlimm gehaust in dem Chaos der letzten
Tage, die sie Felix nach seiner Flucht aus Hamburg auf seiner Reise
begleitet hatten. „Er hat tapfer durchgehalten. Und vielleicht hätten
wir es wirklich machen sollen.“
„Ja, es wäre eine sichere Sache gewesen, denke ich.“ sagte Mathilda
überzeugt, und nahm Chris den Müll ab. „Aber was soll man machen.
So ist der Planet nochmal am Weltfernsehsender vorbei geschlittert.“

„Wenn ich Ihnen das bloß vermitteln könnte. Ich habe mich zwar
in den Tagen vor dem Krankenhaus geirrt damit, dass mich alle im
Fernsehen sehen. Aber da war auch etwas Wahres dran. Und es war
einfach super-unterhaltsam. Ich würde jedem wünschen, das auch
einmal zu erleben. Denn die Tage im Weltfernsehsender waren, als
würde mein Leben komplett durchleuchtet, im positiven Sinne. Alle
meine Erinnerungen waren unendlich wichtig.
„Ähm, Herr Longolius. Wir sollten mal gucken, womit wir die Zeit
füllen, die uns noch bleibt. Haben Sie vielleicht Fragen an unseren
Gast?“
Heise bat die Studenten, sich zu beteiligen.
Eine ergriff das Wort.
„Wozu haben Sie die Aufmerksamkeit des Fernsehens noch
genutzt?“

Das war eine gute Frage, auf die ich schöne Dinge antworten
konnte.
„Der Druck, dass jedes Wort von mir, ja, vor allen Dingen sogar
jeder Gedanke, so unglaublich viel Aufmerksamkeit erhielt .. Den
Druck fand ich meist sehr angenehm.“

Frank würde gleich in die Besprechung mit den anderen
Mitgliedern des Senats gehen müssen. Da rief seine Büroleiterin von
nebenan, ein Herr Kramer vom Verfassungsschutz sei am Telefon.
„Danke, Maria, na, dann geben Sie mal her.“
Er nahm den Hörer ab.
„Richter.“
„Rolf Kramer, Bundesamt für Verfassungsschutz. Guten Tag Herr
Richter.“
Frank klemmte sich den Hörer zwischen Schulter und Ohr und
band sich gleichzeitig die Krawatte, was zu einer ziemlichen Ver-
renkung führte. „Was verschafft mir die Ehre?“

„Ich dachte halt, ich könnte die Geschicke der Welt lenken wie ..
wie in einem Puppenhaus. Wobei. Anspruchsvoll war das schon.
Mehrmals die Stunde wollten sich irgendwelche wichtigen Leute mit
mir unterhalten. Staatsleute, Persönlichkeiten, Unternehmensbosse.
Und jedes mal, oder fast jedes mal, ging das Gespräch mit Misstrauen
los und endete in Wohlgefallen. Nur der Ahmadinedschad, der war
echt ‘ne harte Nuss.
Der wollte einfach ernsthaft nicht wahrhaben, dass der Holocaust
stattgefunden hat und den habe ich ganz schön angeschrien
manchmal. Wenn ich mich überhaupt mit ihm unterhalten wollte.“
„Hatten Sie da eine Wahl.“
„Oh ja. Irgendwann hatte ich einen kleinen Stab von Leuten um
mich rum, als wäre ich ein wichtiger Mann. Die haben mich dann

gefragt, ob ich für jenen oder jenen Zeit habe.
Und manchmal wollte ich mich unbedingt mit jemandem
bestimmen unterhalten. Weil die Leute mich alle vom
Weltfernsehsender kannten, war das auch kein Problem. Die Google-
Gründer etwa, die waren richtig froh, dass da mal jemand ist, der
auch mächtig ist. Und so weiter und so fort. War eine harte Zeit, das
können Sie mir glauben. Hat aber auch ein wahnsinnig gutes Gefühl
gemacht.
Nur hatte ich schließlich Hunger und kein Geld um ordentlich zu
schlafen oder weiter zu reisen. Und immer noch diese Schmerzen
überall. Das war frustrierend.“
„Weil Sie im Weltfernsehsender waren, aber .. vermutlich niemand
Sie darauf ansprach?“
„Ja, so war das. In der Welt der Stimmen war alles in Einklang. Aber
in der realen Welt – wissen Sie, ich dachte ja, das muss so sein. Dass
mich niemand darauf anspricht. Eigentlich so wie damals, als ich
dachte die Nachbarn wollen alle, dass ich mich umbringe. Aber mich
niemand darauf ansprach.
So, und das habe ich dann halt irgendwann nicht mehr
ausgehalten.“

Vier Monate waren inzwischen vergangen, seit Chris und die
anderen, und vor allem Rolf selbst, mit ansahen, wie Felix sich der
Betreuung ergab und ins Krankenhaus ging. Seit dem fehten ihn vor
allem die jungen Kollegen an, etwas für Felix im Krankenhaus zu tun.
Das wollte er nun umsetzen.
„Ja, Sie haben da momentan einen Fall vorliegen, Betreuungs- und
Unterbringungssache, Longolius gegen Hamburg.“
„Über laufende Verfahren kann ich keine Auskunft geben, das
sollten Sie auch wissen.“
„Aber ich darf Ihnen ja etwas dazu sagen.“
„Wenn ich Sie nicht davon abhalten kann ..“
„Er stand unter unserer Beobachtung.“

Wer?“
„Der Antragsteller. Longolius.“

Frank Richter mochte es nicht, wenn ihm jemand in seine
Urteilsfndung reinredete. Und was dieser Herr Kramer zu berichten
hatte, klang für ihn nach wirrem Zeug.
Der Antragsteller habe sich nichts zu Schulden kommen lassen.
Die einzig richtige Antwort die Frank geben konnte: Ein
Betreuungsverfahren ist auch keine Strafe, sondern eine Hilfe-
stellung, mit schwierigen Situationen im Leben zurecht zu kommen.
Das sei dem Mann vom Verfassungsschutz bewusst, aber in diesem
Fall sei nicht der Betroffene verrückt, sondern die Welt.
„Maria, hat der Anrufer gerade seine Telefonnummer unterdrückt?
Sonst würde ich Sie bitten, mal zu recherchieren, wo der Anruf
herkam.“
Maria gab die Nummer in die Rückwärtssuche des Telefonbuchs
ein.
„Nichts zu fnden.“
„Haben Sie die letzten Stellen durch eine Null ersetzt?“
„Nein, noch nicht. .. Ach, warten Sie. Doch doch. Der Verfassungs-
schutz in Köln. Frank, Sie müssen zur Besprechung des Senats.“

„Und die haben mich dann da behalten. Kein Ausgang. Und weil ich
freiwillig keine Medikamente nehmen wollte, kam dann die
Zwangsmedikation. Mein Problem war ja nicht, dass ich psychotisch
war, sondern dass mir keiner Anerkennung für meinen Auftritt im
Weltfernsehsender zollte.“
„Das war Ihr subjektives Erleben der Situation.“
„Ja. Aber muss man mich deshalb mit sechs, sieben Leuten auf ein
Bett zerren, mich festhalten, und mir eine Spritze in den Hintern
setzen? Ich fnde nein.“

##
Und vier weitere Seiten neu hier am 25. 3. 2022, ca. 23:00h CEWT

„Wie wurde denn das begründet?“
„Obdachlosigkeit. Aber wäre da eine Wohnung nicht die logische
Lösung?“
„Ich nehme an, man hat Ihnen nicht zugetraut, allein Ihr Leben zu
meistern. In dem Zustand in dem Sie sich befanden.“
„Ja ja, und es kann sein, dass ich doch etwas mehr Mist gebaut
habe, als ich bisher erzählt habe. Aber das dürften die im Kranken-
haus eigentlich nicht gewusst haben.“

„Er hat was?!“ Basti, Mathilda und Bart hatten sich nochmal im
Bunker eingefunden, und waren jetzt ziemlich perplex. „Wie kann
das sein, dass er Tine diese Nachrichten schreiben konnte, ohne das
wir das mitbekommen haben? Haben die Wichtel uns das
vorenthalten?“
„Das, und noch ein paar andere Sachen. Was ihn jetzt in die Fänge
der Psychiatrie treibt, ist vermutlich vor allem das hier ..“ Rolf reichte
einen Polizeibericht über den Schreibtisch.
Die drei lasen gemeinsam, was es zu sehen gab. Basti erfragte mit
seinen Blicken, ob die anderen fertig gelesen hatten, und stellte dann
seine, die offensichtliche Frage. „Wenn er einen ‘Termin für die
Revolution‘ vorgeschlagen hat und dann zur Polizei gegangen ist, um
sich selbst dafür anzuzeigen .. Könnte das der eigentliche Grund sein,
warum wir ihn beschützen sollten?“

Der Vorsitzende Richter fasste die vorangegangenen Überlegungen
zusammen. „Der Widerspruch wird also zurückgewiesen. Der An-
tragsteller ist behandlungsbedürftig, worauf sein Verhalten gegen-
über den vorinstanzlichen Gerichten schon hindeutet. Normaler-
weise wären auch mehrere Strafverfahren für den ganzen Mist
angebracht, den er verzapft hat. Aber weil er vor Gericht unter
Umständen sein Schweigen zu dem Termin für die Revolution

brechen würde, wird davon offenbar abgesehen.“
Frank müsste jetzt seine Meinung abgeben, bevor der Beschluss
diktiert würde. „Die Vorinstanzen haben dem Antragsteller die
Betreuung nicht ganz sauber aufgedrückt, und dadurch wurde der
schwere Verlauf seiner Psychose noch begünstigt, das müssen wir
zugeben.“
Der Vorsitzende Richter klappte ganz leicht zustimmend die offene
Hand nach vorne, ohne etwas dazu zu sagen.
„Aber ich stimme der Ablehnung des Widerspruchs dennoch zu.“

„Ja, warum ich dich aber eigentlich angerufen habe, Betty, ist, .. wir
bekommen ein Baby!“
„Ach nee, das freut mich ja unendlich. Mensch!“
Mathilda war sich erst nicht sicher. Auch wenn Bart ein prima Vater
sein würde. Ach, mehr als Pflichtzweifel, ob ein Kind das richtige ist
gerade, waren es aber eigentlich nicht.
Betty und Mathilda hatten sich ein gutes halbes Jahr nicht ge-
sprochen. Seit ihr Projekt, durch Felix Einzug in der Unterbringung,
so sehr an Fahrt verlor, dass das Team verkleinert werden sollte.
„Seid ihr eigentlich noch an ihm dran?“
„Ja ja, aber es ist ziemlich langweilig geworden. Seit drei Wochen ist
er immerhin jetzt auf einer offenen Station und macht Gartenarbeit.
Ansonsten schläft er viel und guckt abends fern. Er hat 120 Kilo.
Nachts hat er manchmal Herzrhythmusstörungen. Und er sabbert
wie nichts.“
„Ist er noch auf diesem Medikament?“
„Leponex, ja.“
„Woher wisst ihr das mit dem Sabbern?“
„Och du. ..“

„So lange waren Sie dann untergebracht?“ Heise äußerte ein wenig

Mitleid.
„Naja, die gingen schon zu Recht davon aus, dass ich die Medi-
kamente sofort wieder absetzen würde. Und dann wieder Geld und
Nerven kosten würde. Schließlich ging ich davon aus, dass ich ein
politischer Patient bin.“
„Bitte?“
„Kein politischer Häftling, sondern ein politischer ..“
„.. Patient. Verstehe. Nun, ein bisschen mag das stimmen.“
Heise blickte auf die Uhr und sagte das unausweichliche. „Wir
müssen zu einem Ende kommen. Herr Longolius, ich glaube ich
spreche für alle hier, wenn ich Ihnen sage, dass die Sitzungen mit
Ihnen einfach faszinierend waren.“
Eine der Studentinnen holte einen Blumenstrauß unter ihrem Sitz
hervor, den ich schon lange gesehen hatte, und brachte ihn nach
vorne.
„Vielen Dank, das ist lieb. Ja, ich möchte mich auch bedanken. Für
die Aufmerksamkeit, für die tollen Fragen und einfach .. für die
Möglichkeit, mich mit Ihnen gemeinsam an die Zeit zu erinnern.“

Meine Wohnung war ziemlich winzig, aber gemütlich und
praktisch eingerichtet. Wir legten abends die schmale und dünne
Matratze vom selbstgebauten halbhohen Bett auf den Boden, und
alles andere an Decken und Kissen, was zu fnden war, drunter und
drumherum. So kam ein ganz passables Nachtlager zusammen.
Bei dem einzigen Lieferdienst, der so spät noch geöffnet hatte,
bestellten wir ziemlich willenlos, was den Belag betraf, nach
Mitternacht noch eine Flasche Wein und eine Pizza.
Wir hatten den Abend rumgeblödelt. Uns darüber unterhalten, wie
sich ‘Normalos‘ wohl eine Psychose vorstellen.
Wir konnten uns auf einen gemeinsamen Gegner einigen: Den
Kommilitonen, der das überfüssig fand, eine Psychose ausleben zu
dürfen. Diesen ‚Sand in der kapitalistischen Verwertungsgesellschaft‘,
spielte Antonia seine hochnäsige Karikatur, ‚wollen wir hier nicht

haben‘.“
Ich wollte ja mitblödeln, sagte aber als nächstes, dass sie das Wort
‚Getriebe‘ vergessen hat. ‚Sand im Getriebe der kapitalistischen
Verwertungsgesellschaft‘ müsse es heißen. Und, ja, Antonia hatte
Recht damit, dass ich das schon verstanden hatte und sie nicht für
einen Auftritt im politischen Kabaratt übe, sondern die Vorführung
gerade in diesem Moment stattfnden würde.
Doch mich so fallen zu lassen, in die Lust des Moments, fiel mir
schon länger schwer.

In Essen schließlich, war er das erste Mal mit den Kräften am Ende.
Felix hatte im Hotel Ramada gesagt, dass er ohne zu zahlen aus-
checken müsse und man die Polizei rufen möge, die ihn nach
Aufnahme der Personalien weiterziehen ließ. Er hatte sich jetzt in
den Kopf gesetzt, und zwar höchstselbst, nach Karlsruhe zum Bun-
desgerichtshof fahren zu wollen, um gegen die Betreuung vorzu-
gehen.
Hätten die Agenten in seinen Kopf gucken können, wäre zu
erfahren gewesen, dass er selbstverständlich mit Regionalzügen und
nicht mit dem ICE fuhr, um den Steuerzahler nicht so viel Geld zu
kosten. Denn die Fahrt nach Karlsruhe war ja in seinen Augen quasi
Notwehr, gegen die Willkür des Staats.
Er foh nicht nur vor der Zwangsbehandlung. Er floh auch davor, in
einem unfairen Prozess für verrückt erklärt worden zu sein, und
deshalb keinen Halt mehr in der Gesellschaft zu fnden. Und vor dem
Obermedizinalrat, der das ganze ins Rollen brachte. Damit floh er
eigentlich auch vor seinen Verwandten, die den Obermedizinalrat
anstifteten.
Er floh vor den Bäckern, die abends das übrigegebliebene Brot an
die Tafeln gaben, und nicht ihm. Und er floh vor sich selbst, der er
sich nicht mal in das alternative System der Obdachlosenhilfe
einsortieren konnte.
Betty war ganz zu Anfang ihres Auftrags aufgefallen, dass sich Felix

##
Noch vier weitere Seiten am 25. 3. 2022, ca. 23:30 CEWT

brechen würde, wird davon offenbar abgesehen.“
Frank müsste jetzt seine Meinung abgeben, bevor der Beschluss
diktiert würde. „Die Vorinstanzen haben dem Antragsteller die
Betreuung nicht ganz sauber aufgedrückt, und dadurch wurde der
schwere Verlauf seiner Psychose noch begünstigt, das müssen wir
zugeben.“
Der Vorsitzende Richter klappte ganz leicht zustimmend die offene
Hand nach vorne, ohne etwas dazu zu sagen.
„Aber ich stimme der Ablehnung des Widerspruchs dennoch zu.“

„Ja, warum ich dich aber eigentlich angerufen habe, Betty, ist, .. wir
bekommen ein Baby!“
„Ach nee, das freut mich ja unendlich. Mensch!“
Mathilda war sich erst nicht sicher. Auch wenn Bart ein prima Vater
sein würde. Ach, mehr als Pflichtzweifel, ob ein Kind das richtige ist
gerade, waren es aber eigentlich nicht.
Betty und Mathilda hatten sich ein gutes halbes Jahr nicht ge-
sprochen. Seit ihr Projekt, durch Felix Einzug in der Unterbringung,
so sehr an Fahrt verlor, dass das Team verkleinert werden sollte.
„Seid ihr eigentlich noch an ihm dran?“
„Ja ja, aber es ist ziemlich langweilig geworden. Seit drei Wochen ist
er immerhin jetzt auf einer offenen Station und macht Gartenarbeit.
Ansonsten schläft er viel und guckt abends fern. Er hat 120 Kilo.
Nachts hat er manchmal Herzrhythmusstörungen. Und er sabbert
wie nichts.“
„Ist er noch auf diesem Medikament?“
„Leponex, ja.“
„Woher wisst ihr das mit dem Sabbern?“
„Och du. ..“

„So lange waren Sie dann untergebracht?“ Heise äußerte ein wenig

Mitleid.
„Naja, die gingen schon zu Recht davon aus, dass ich die Medi-
kamente sofort wieder absetzen würde. Und dann wieder Geld und
Nerven kosten würde. Schließlich ging ich davon aus, dass ich ein
politischer Patient bin.“
„Bitte?“
„Kein politischer Häftling, sondern ein politischer ..“
„.. Patient. Verstehe. Nun, ein bisschen mag das stimmen.“
Heise blickte auf die Uhr und sagte das unausweichliche. „Wir
müssen zu einem Ende kommen. Herr Longolius, ich glaube ich
spreche für alle hier, wenn ich Ihnen sage, dass die Sitzungen mit
Ihnen einfach faszinierend waren.“
Eine der Studentinnen holte einen Blumenstrauß unter ihrem Sitz
hervor, den ich schon lange gesehen hatte, und brachte ihn nach
vorne.
„Vielen Dank, das ist lieb. Ja, ich möchte mich auch bedanken. Für
die Aufmerksamkeit, für die tollen Fragen und einfach .. für die
Möglichkeit, mich mit Ihnen gemeinsam an die Zeit zu erinnern.“

Meine Wohnung war ziemlich winzig, aber gemütlich und
praktisch eingerichtet. Wir legten abends die schmale und dünne
Matratze vom selbstgebauten halbhohen Bett auf den Boden, und
alles andere an Decken und Kissen, was zu fnden war, drunter und
drumherum. So kam ein ganz passables Nachtlager zusammen.
Bei dem einzigen Lieferdienst, der so spät noch geöffnet hatte,
bestellten wir ziemlich willenlos, was den Belag betraf, nach
Mitternacht noch eine Flasche Wein und eine Pizza.
Wir hatten den Abend rumgeblödelt. Uns darüber unterhalten, wie
sich ‘Normalos‘ wohl eine Psychose vorstellen.
Wir konnten uns auf einen gemeinsamen Gegner einigen: Den
Kommilitonen, der das überfüssig fand, eine Psychose ausleben zu
dürfen. Diesen ‚Sand in der kapitalistischen Verwertungsgesellschaft‘,
spielte Antonia seine hochnäsige Karikatur, ‚wollen wir hier nicht

haben‘.“
Ich wollte ja mitblödeln, sagte aber als nächstes, dass sie das Wort
‚Getriebe‘ vergessen hat. ‚Sand im Getriebe der kapitalistischen
Verwertungsgesellschaft‘ müsse es heißen. Und, ja, Antonia hatte
Recht damit, dass ich das schon verstanden hatte und sie nicht für
einen Auftritt im politischen Kabaratt übe, sondern die Vorführung
gerade in diesem Moment stattfnden würde.
Doch mich so fallen zu lassen, in die Lust des Moments, fiel mir
schon länger schwer.

In Essen schließlich, war er das erste Mal mit den Kräften am Ende.
Felix hatte im Hotel Ramada gesagt, dass er ohne zu zahlen aus-
checken müsse und man die Polizei rufen möge, die ihn nach
Aufnahme der Personalien weiterziehen ließ. Er hatte sich jetzt in
den Kopf gesetzt, und zwar höchstselbst, nach Karlsruhe zum Bun-
desgerichtshof fahren zu wollen, um gegen die Betreuung vorzu-
gehen.
Hätten die Agenten in seinen Kopf gucken können, wäre zu
erfahren gewesen, dass er selbstverständlich mit Regionalzügen und
nicht mit dem ICE fuhr, um den Steuerzahler nicht so viel Geld zu
kosten. Denn die Fahrt nach Karlsruhe war ja in seinen Augen quasi
Notwehr, gegen die Willkür des Staats.
Er foh nicht nur vor der Zwangsbehandlung. Er foh auch davor, in
einem unfairen Prozess für verrückt erklärt worden zu sein, und
deshalb keinen Halt mehr in der Gesellschaft zu fnden. Und vor dem
Obermedizinalrat, der das ganze ins Rollen brachte. Damit foh er
eigentlich auch vor seinen Verwandten, die den Obermedizinalrat
anstifteten.
Er foh vor den Bäckern, die abends das übrigegebliebene Brot an
die Tafeln gaben, und nicht ihm. Und er foh vor sich selbst, der er
sich nicht mal in das alternative System der Obdachlosenhilfe
einsortieren konnte.
Betty war ganz zu Anfang ihres Auftrags aufgefallen, dass sich Felix

beim Einwohnermeldeamt informiert hatte, wie er sich mit seinem
neuen Status als Obdachloser am Besten verhalten sollte. Er wollte
offenbar vor allen Dingen dafür sorgen, dass er postalisch zu
erreichen war. Zum Beispiel, damit mit seiner Webseite alles seine
Ordnung hatte. Denn er hatte niemanden, dessen Adresse er hätte
angeben können. Vielmehr wollte er auch keine c/o-Adresse,
sondern dass der Staat gefälligst eine Lösung für das Problem hat.
So etwas schrieb er auch in seinem Widerspruch zu dem
Betreuungsverfahren. Er machte sich konkret Sorgen, dass ihm die
Stadt keine Adresse geben würde, wenn er eine Betreuung hat. Dass
er das auf Englisch tat, war wohl kein kluger Schachzug:
I veto the procedure of care. In planing to apply for a postal
address with the Bezirksamt Hamburg Mitte on tuesday, Nov 2nd,
late noon, I hereby ask you to check if there is any interfering data to
such an apply.
Beim Amt meldete er seine alte Wohnung ab, und ein Stempel auf
den Personalausweis gedrückt, auf dem keine Straße, sondern
lediglich ‘20097 Hamburg‘ für die Postleitzahl des Bezirks Mitte
stand. Außerdem wurde ihm die Adresse einer privaten Obdach-
losenhilfe genannt, die freiwillig Post für Leute ohne eigene Adresse
annahm.
Es half alles nichts.
Als er das Schreiben vom Gericht mit der Betreuungsanregung
zufällig in seinem alten Briefkasten fand, hatte er zwei Gedanken. Der
eine Gedanke handelte davon, dass er ziemlich viel Zeit auf die
Verhinderung dieser blöden Betreuung verwenden müsste. Und der
andere lautete darauf, dass er das allein schaffen musste. Dass er sich
keinen Anwalt sucht. Weil Leute, die zu unrecht zwangsbetreut
werden sollen, das in Deutschland nicht nötig haben sollten, sich
einen Anwalt zu suchen.
Betty hatte es zunächst gewundert, dass er sich keine Hilfe gesucht
hatte. Mathilda klärte aber dann auf, dass psychisch Kranke zwar eine
kleine Lobby haben würden, um gegen solche Gerichtsverfahren

##
Vier weitere Seiten hier neu am 26. 3. 2022, ca. 18:45h CEWT

vorzugehen. Solche Hilfe aber oft zur Voraussetzung hätte, die
bestehenden Verhältnisse anzuzweifeln. Oder anders gesagt: Die
Anti-Psychiatrie von den Kranken zu unterscheiden, ist in etwa so
schwierig, wie die andere Möglichkeit: Sich von staatlichen Stellen
dabei helfen zu lassen, gegen eine Zwangsbehandlung vorzugehen.
Letzteres war Felix Vorgehensweise.
Er meldete sich, seit er seine Wohnung verloren hatte, einmal die
Woche bei der Polizei. Um mitzuteilen, dass es ihm gut geht. Um zu
fragen, ob er von der Betreuungsbehörde gesucht wird. Und einfach
um sich zu versichern, dass ihn zwar vielleicht alle Verwandten gern
in der Geschlossenen sehen würden, aber nicht das Gewaltmonopol.

„Toni?“
„Was ist Felix?“
„Ich bin breit.“
„Du hattest eine halbe Flasche Wein.“
„Bei mir reicht das.“
Antonia drehte sich zu mir und war offenbar selbst betrunken
genug, um sich nicht an meiner Fahne zu stören, als sie mir mit zwei
Hand Abstand in die Augen sah.
„Was ist los, Felix?“
„Ich habe Angst. Wenn ich mich umschaue .. Also wenn ich durch
die Wände gucke und mir die Stadt angucke. Und durch den
Planeten. Und alles angucke. Dann weiß ich nur ein kleines bisschen,
dass ich gerade keine Angst haben muss.“
„Angst wovor?“
„Vor der Betreuung.“
„Wenn das deine einzige Angst ist, ist‘s ja gut. Du hast keine
Betreuung mehr, also kein Grund zur Sorge. Stell dir mal vor ..
jemand würde die Tür eintreten, und steht dann plötzlich hier drin.
Und macht dich an, von wegen: Weltpolizei. Von wegen: Du schützt
die bestehenden Verhältnisse. Und schreit dich an: Wir wollen eine
Revolution!“ Antonia füsterte das ziemlich lustig. „Wir wollen ..

Linksverkehr auf der ganzen Welt! Und .. ganz viel Lametta und .. wir
wollen, dass man die Frauen unterdrücken darf und .. alle müssen
Angst vor der Hölle haben, wenn sie diese Menschenrechte unter-
stützen. Und dann schreit er dich an: Wir wollen keine
Menschenrechte!“
Ich fühlte mich so wohl. Was Antonia da gerade gesagt hatte, war
sowas von meine Wellenlänge. Genau der alberne ernste Humor, von
dem ich gar nicht wusste, dass ich ihn liebe, weil ich ihn noch nie
gehört hatte.
Aber dann kniff ich die Augenbrauen zusammen und wurde nach-
denklich. „Eine Tür eingetreten hab‘ ich selbst schon. Und wenn hier
einer eine Revolution macht, dann bin ich das.“
„Wann hast du denn eine Tür eingetreten.“
Ich erklärte ihr, dass ich 2003 auf der Suche nach Tine war, weil
der UN-Botschafter mir eingab, dass ich sie beschützen müsse. Da
hätte ich irgendwo in Barmbek, in irgendeinem Haus, irgendeine Tür
im dritten Stock eingetreten.
„Und? War sie da?“
„Ob sie auf LSD war und sich irgendwelche Leute gerade an ihr
vergehen wollten?“
„Felix?“
„Ja?“
„Hat es einen Einfuss auf dein Leben, ob ich jetzt sage, dass die
Betreuung damals wohl ganz gut war?“
„Ja.“
„Welchen?“
„Ich kann jedenfalls gerade nicht mehr durch die Wände gucken.“

Der Winter war endgültig eingebrochen und Felix strandete auf
dem Weg von Bremen nach Karlsruhe erst einmal in Hannover. Es
fuhr praktisch kein Zug mehr. Angeblich, weil die Gleise verschneit
waren, doch er war da skeptisch.
Ein paar Stunden lang versuchte er einen Zug zu bekommen. Denn

der Hauptbahnhof in Hannover ist wirklich ein unangenehmer Ort,
um in so einer Eiseskälte zu stranden. Es kam ihm vor, als würde
grundsätzlich kein Zug in seine Richtung fahren, außer denen, die er
im letzten Moment verpasste.
Ein Intercity wurde ausgerufen, der ihn fast ans Ziel bringen würde.
Doch bis er sich überwunden hatte, sein Prinzip über Bord zu
werfen, mit Regionalbahnen das Betreuungsverfahren günstig halten
zu wollen, fuhr auch dieser Zug vor seiner Nase weg.
Hätte er gewusst, dass Chefs Chefs sich inzwischen in die
Einzelheiten seiner Flucht einmischten, wäre es ihm wohl auch nicht
besser gegangen. Dass sie Kontakt mit der Bahn-Leitstelle auf-
genommen hatten, um Felix Flucht ein bisschen Pfff zu geben und
die angeschlossenen Dienste zu beeindrucken. Dass man die Züge
vor seiner Nase abfahren ließ, und andere vor ihm verheimlichte,
indem die wichtigen Durchsagen immer so ausgerufen wurden, dass
er sie nicht hörte. Das war ihr ganz besonderer Beitrag zum Welt-
frieden.
Felix wusste, dass er beobachtet wurde. Man muss sich das mal
vorstellen. Nur aus einer Laune der Geschichte, musste er da gegen
die Kälte ankämpfen, während sich wohl ein Dutzend – vielleicht
mehr – Geheimagenten aus allen Herren Ländern, die seinen
Standort aus dem Geheimdienstfernsehen kannten, verfolgten und
ihn eigentlich abfeierten damit.
Und er musste frieren.
Doch man konnte sich so herrlich darüber unterhalten in den
Geheimdienstkreisen.
Irgendwann nach Mitternacht standen auf der Abfahrtsanzeige nur
noch Züge für den nächsten Morgen. Er entschied sich, in die Stadt
zu gehen.

Antonia machte das kleine Licht an meinem Schreibtisch an und
erzählte. Dass sie ja damals auch in diese angeblich kranke Welt
katapultiert wurde. Sie ohne Drogen. Und ohne weltpolizei.de.

Im Grunde, das hatte sie mir schon damals im Restaurant erzählt,
war das gar nicht so unterschiedlich von meinen Erlebnissen. Klar,
die Melodie war eine andere. Aber der Ton in der fantastischen Welt,
war ähnlich.
Da war erst dieses besondere. Die Autos, die mit so viel Bedeutung
Gas gaben, wenn man gerade aus der Haustür kam. Auch die Sachen,
die im Radio gesagt wurden, wenn man es einschaltete, um etwas
über sich selbst zu erfahren. Die Leute auf der Straße, die erst nur so
aussahen, als verhalten sie sich merkwürdig. Und sich dann ein paar
Tage später tatsächlich merkwürdig verhielten, weil sie bemerkten,
wie man sie ansieht.
Wie die Welt zur Bühne wird, weil da irgendwas einen die ganze
Zeit beobachtet. Und die Menschen merken das nicht! Aber das kann
nicht sein. Die Menschen müssen doch merken, dass man jetzt
gerade dran ist. Dass man gerade auf der Bühne ist.
Und dann die Logik. Wenn mir das widerfährt, dann haben das
auch schon andere erlebt. Dann sind einige schon auf der Bühne
gewesen, und die anderen wissen es wirklich nicht. Deshalb.
Deshalb. Sind. Manche. Menschen. Nett. Und. Andere. Nicht.
Da gibt es verschiedene Typen.
Es gibt die, die selbst nicht auf der Bühne waren, aber wissen, dass
es so etwas bestimmt gibt. Der Typ lieber Krankenpfeger in der
Geschlossenen in der Nachtschicht. Wenn man Glück hat. „Du weißt
was ich meine.“
„Und wenn die nett sind, ohne zu glauben, dass man wirklich was
besonderes erlebt hat?“
„Gibt‘s auch.“
Wir fanden noch andere Typen. Aber dann rückte etwas anderes in
den Vordergrund. Uns fel auf, dass bei uns beiden die Wahne
vereinbar waren. Dass sich das auch widersprach. Aber nicht mehr,
als sich Gesunde auch widersprechen.

Es war die vor-vorletzte Nacht vor Weihnachten, und Felix suchte

##
Weitere vier Seiten neu hier am 26. 3. 2022, ca. 20:30h CEWT

in der Stadt einen Ort, an dem er Kraft tanken konnte, um sich den
nächsten Ort suchen zu können, um nicht zu frieren, und so weiter.
„Ohne Geld bist du nichts.“ Mathilda hatte sich von Bart eine
Zigarette geben lassen, weil es sie nervös machte, Felix, im wahrsten
Sinne des Wortes sehenden Auges, so frieren zu lassen. Und auf
Grund des Gedankens daran, dass gerade hunderte, wenn nicht
tausende Obdachlose auf deutschen Straßen froren. Weiter reichte
ihre Fantasie nicht, auch wenn die Zahl der Leidenden auf dem
Planeten endlich war.
‘Die Zahl der Leidenden im Universum ist endlich.‘ dachte hingegen
Felix gerade. Er unterhielt sich mit den Außerirdischen.

Ich konnte mein Glück noch nicht fassen. Da lag sie schlafend vor
mir. Eine Person, eine weibliche noch dazu, die gerade noch von
Außerirdischen sprach, an die man glauben müsse, um sie
wahrzunehmen. Und die über Glaubenstechniken fachsimpelte.
‚Offenbar können die Außerirdischen nicht wollen, sich bei Leuten
ins Leben einzumischen, die nicht an einen Kontakt glauben.‘
Und das alles, ohne mich in Internetforen mit Verschwörungs-
theoretikern rumschlagen zu müssen. Bei uns stand das erlebbare
Phänomen im Vordergrund und wir hielten uns nicht mit Ge-
schichten auf, ob russische Kosmonauten in den 80ern in Experi-
menten Spielkarten auf der Erde raten konnten, oder Schlimmerem.
Und dann ergänzte sie noch meinen einen Satz aus dem Seminar:
‘Die Außerirdischen hätten auch den Dinosauriern das Sprechen
beibringen können. Und dann hätten sie wahrscheinlich noch den
Meteor von seinem Kollisionskurs mit der Erde abgebracht, und es
hätte uns nie gegeben.‘
„Glaubst du, die haben den Meteor gesehen, der die Dinos
aussterben ließ?“
„Schwierig.“ antwortete ich. „Ich tippe mal, Geschichtsschreibung
ist archetypisch damit verbunden, dass man sich nach einer Zeit
nicht mehr sicher sein kann.“
Ich holte mein Smartphone vom Tisch.
„Mal sehen .. Wikipedia sagt, der Chicxulub-Krater in Mexiko .. wird
mit dem Aussterben der Dinosaurier in Verbindung gebracht ..
Entstanden vor 65 Millionen Jahren.“
Ich legte das Telefon wieder zurück.
„Wenn die Außerirdischen so alt werden, dann wissen sie es noch.
Wenn da schon viele Generationen dazwischen liegen, dann bin ich
skeptisch. Ich mein, stell dir vor, vor 30 Millionen Jahren fangen ein
paar Außerirdische an, zu behaupten, der Meteor wurde in
Wirklichkeit extra auf die Erde gelenkt. Was weiß ich, vielleicht
hatten sie den Dinosauriern das Sprechen beigebracht, aber ihre
Umgangsformen gefelen ihnen nicht. Nee, wie willst du die Infor-
mation über so eine lange Zeit retten.“

Antonia wusste genau was ich meine. „Naja, die Information zu
retten ist vielleicht noch möglich. Aber von mehreren Varianten, die
richtige Information, noch nach 65 Millionen Jahren zu erkennen. Ja,
ich glaube auch, das ist schwierig. Gute Nacht.“
Sie drehte sich auf die andere Seite.

Limmerstraße, Café Net(t), Dienstag, zwei Uhr dreißig morgens.
Felix fragte den Barista nach heißem Wasser – einen Becher und Tee
habe er selbst dabei, sowie ein Tee-Ei – und ob er sein Telefon
aufaden dürfe.
„Klar. In zwanzig Minuten mach ich aber zu hier.“
Bart hätte es interessant gefunden, zu erfahren, was der Mann
hinter der Bar über Felix dachte. „Warum will keiner wissen, was er
da macht? Ich meine, da kommt mitten in der Nacht eine Gestalt in
deinen Laden und will heißes Wasser ..“ Er klappte den Laptop mit
den Überwachungskameras des Ladens zu und nahm die Kopfhörer
ab, auf denen Felix Smartphone-Mikrofon lag, das inzwischen in der
Nähe der Kasse zum Aufaden lag. Denn der Bunker rief an.
Basti erkundigte sich, was sie gerade so trieben und über ein
bisschen technischen Schnick-Schnack zur Qualität der Verbindung
zu den Überwachungsdaten.
Bart beschrieb, dass Felix versuche die Nacht rumzukriegen, und
dabei absolut anonym in der Stadt bleibe. „Sind eigentlich irgend-
welche Kollegen in der Nähe?“
„Ihr seid im Auge des Orkans. Wir können gerade 34 Agenten iden-
tifzieren.“
„Und was machen die so?“
„Du, die machen Völkerverständigung .. ein Geheimdienstfestival.
Argentinien hat sich ja zum Beispiel vorhin mit China beim Block
House unterhalten.“
„Woher wisst ihr das?“
„Ach, ihr habt das ja gar nicht mitbekommen .. Frankreich saß am
Nachbartisch, hat das ganze geflmt und uns einen Stream zur

Verfügung gestellt. Und die Chefetage gibt uns glücklicherweise
inzwischen zusätzliche Infos von den Wichteln. Wir versuchen hier
halt irgendwie, uns einen Überblick zu verschaffen.“
„Ok, moment. Schritt zurück, bitte! Worüber haben sich Argen-
tinien und China denn unterhalten?“ .. Bart schaltete das Gespräch
jetzt auf die Freisprechanlage und rief Ingmar und Mathilda dazu auf,
zuzuhören.
„Naja, das geht jetzt halt alles seinen Gang. China sagte zum
Beispiel, es wünscht sich mehr lateinamerikanische Lebensfreude für
seine Leute. Aber das ist mehr für die Kameras. Und es deutet sich an,
dass der UN-Sicherheitsrat reformiert werden soll.“
„Ach so. Bloß eine neue Weltordnung.“ sagte Ingmar lapidar. Fügte
dann aber hinzu: „Sag mal, spinnt ihr? Über so was müsst ihr uns
doch informieren!“
„Ist gut. Wir halten euch auf dem Laufenden. Jedenfalls ist Felix erst
mal raus. Wir sagen Bescheid, wenn wir wieder Bilder aus eurer
Richtung brauchen.“
„Ja ja.“ Bart legte genervt auf und drehte sich zu den anderen
beiden. „Wisst ihr, was ich glaube?“
„Dass wir gerade miterleben wie Geschichte gemacht wird?“
„Ja ja. Nein. Ich glaube, das könnte sich noch als sehr nützlich
erweisen, dass die da aus einem Atombunker senden.“

Ich klappte die Toilette zu und setzte mich mit meinem Notebook
hin. So würde ich sie nicht aufwecken.
Bei der dritten oder vierten Anhörung zur Unterbringung im
Krankenhaus war mir der Kragen geplatzt. Ins Krankenhaus kam
nämlich der selbe Richter, der in erster Instanz die Betreuung
beschlossen hatte. Ich fand das damals unfair. Er schrieb später in
den Anhörungsvermerk:
Der behandelnde Arzt führte sachverständig aus, der Zustand des
Betroffenen habe sich verbessert. Gleichwohl sei die Behandlung

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Und weitere vier Seiten neu hier am 26. 3. 2022, ca. 21:00h (22:30h) CEWT

nicht abgeschlossenen. Die formalen und inhaltlichen
Denkstörungen dauern an. Zielgenaues Denken sei dem Betroffenen
nicht möglich. Er schweife ab, verliere den Faden und trage gestelzt
vor. Eine Krankheitseinsicht habe sich überhaupt noch nicht
eingestellt. Wenn er das Krankenhaus verlassen könnte, würde er die
Medikation sofort absetzen und der zur Aufnahme führende Zustand
sich umgehend wieder einstellen. Die Behandlung sollte im
Krankenhaus noch für zumindest sechs Wochen fortgesetzt werden.
Eine Entlassung sollte in eine Einrichtung zur Wiedereingliederung
erfolgen. (Auf Nachfrage:) Es müsste wohl eine geschlossene
Einrichtung sein.
Der vorläufge Betreuer erklärte, es möge im Rahmen der
anstehenden Begutachtung zur Hauptsache auch sachverständig der
Frage nachgegangen werden, ob im Anschluss an die Krankenhausbehandlung
eine geschlossene Wohneinrichtung zur
Wiedereingliederung angezeigt sei.
Nachfolgend verlangte der Betroffene die wortgenaue Protokollierung
einer Erklärung und einer Selbstanzeige, die jedoch derart
denkgestört vorgetragen wurde, dass ich in meinem Notizzettel
lediglich das Wort „Revolution“ zu notieren vermochte und sich auch
nicht aufklären ließ, was mit der „Selbstanzeige“ inhaltlich gemeint
oder gewollt war.
Der Richter wusste natürlich genau, um welche Selbstanzeige es
sich handelte, die ich da ein Jahr zuvor beim Polizeikommissariat 22
vorgetragen hatte, und die auch aufgenommen wurde. Vermutlich
wurde die Geschichte dieses Arms der Galaxie beeinflusst, weil ich
mir das Aktenzeichen der Anzeige nicht geben ließ. Jedenfalls
schwieg ich danach zu der Sache ziemlich eisern. Ich glaube, ich
erzählte es ein Jahr lang nur einem Pfleger im Krankenhaus. Und
dann dem Richter.
Vielleicht könnte ich morgen Antonia für die Geschichte
begeistern. Ich schaltete den Computer wieder aus und versuchte
selbst zu schlafen.

Das Café wurde geschlossen und um halb vier war er wieder am
Bahnhof. Sein Zustand war, je nach Betrachter, mitleiderregend oder
nervig.
Er hatte gerade keine Kraft, sich Zutritt zum McDonalds zu
verschaffen. Denn er war derart konditioniert auf das Gebot, dass es
obligatorisch ist, in einer Gaststätte etwas zu konsumieren, als hätte
er in seiner Kindheit Stromschläge verpasst bekommen, wenn er sich
in einem Restaurant hinsetzte, ohne etwas bestellen zu wollen.

Antonia wachte morgens eine halbe Stunde nach mir auf und war
nicht begeistert von der Geschichte. Da war ich schon enttäuscht.
Was, wenn sie mich als revolutionär anerkannt hätte. Wenn sie
mich dabei unterstützt hätte, die biologischen Voraussetzungen des
menschlichen Daseins zukünftig besser zu nutzen, als man es
derzeit, auf Grund des Laufs der Geschichte, zu tun gezwungen war.
Ich gab sie noch nicht auf.
„Ich habe das alles durchgespielt in der Psychose. Und alle waren
begeistert. Eine Basisdemokratie wie bei Mr. T-Cup‘s
Abstimmungsapparat. Liquid Democracy. Die Kontinente haben sich
schon ausgesucht, wie sie ihre Abstimmungen durchführen wollen.
Sie wollten in Polen, also mit Moskau in der Mitte Europas, einen
Apparat bauen, von dem aus Taue über den ganzen Kontinent
gespannt werden. Jeweils zwei. Eines, um bei den Abstimmungen für
‘Ja‘ und eines um für ‘Nein‘ zu stimmen. An den Tauen sollte man
dann ziehen müssen, um abzustimmen. Das hätte auch gleich etwas
für die Fitness der Leute gebracht.“
Ohne eine Reaktion zu zeigen stand Antonia auf und ging erst mal
ins Bad. Ich erzählte durch die Tür weiter.
„So, das alles war dazu da, um die demokratischen Strukturen .. zu
revolutionieren.“ Vor dem Wort ‘revolutionieren‘ plusterte ich mich
ein bisschen auf, um den Begriff zu betonen.

„Die andere Schiene war das Gewaltmonopol. Wir einigten uns auf
Weltpolizei-Hauptquartiere auf jedem Kontinent. Die sollten dann
von den jeweils anderen Kontinenten bestückt werden. Verstehst du?
Die Kontinente kontrollieren sich gegenseitig!“

„Was macht er?“
„Er überlegt, sich in das McDonalds-Restaurant zu setzen.“
Felix Longolius fror im kalten Bahnhof. Gleichzeitig wollte er nicht
aus dem Laden geworfen werden. Die einzig vernünftige Lösung kam
ihm jedoch plötzlich in den Sinn.
„Ah, er geht rein.“
Basti schaltete um auf die Kameraüberwachung drinnen und legte
optimistisch das Gesprächsprotokoll daneben auf die Leinwand.
Es erschien ihnen wundersam, doch die Wichtel waren in der Lage,
zu transkribieren, was Felix am Tresen zu sagen hatte.
Er fragte, ob er sich einen Moment aufwärmen dürfe, auch wenn er
kein Geld habe.
Er durfte. Und er durfte sich ein Getränk aussuchen.
Er bekam einen Kaffee.
Da saß er nun.
Chris kam hereingeplatzt. „Oh Leute, jetzt wird es spannend,
spannend, spannend!“
In dem Moment rief das Außenteam an. Betty habe wieder
geschrieben. Im Bunker hatten sie die Nachricht auch erhalten und
Basti legte den SMS-Eingang neben das Kamerabild und das
Gesprächsprotokoll.
Oh Leute, jetzt wird es spannend, spannend, spannend!
schrieb Betty.
„He he.“ sagte Chris. Und klärte die beiden anderen auf. Ungefähr
seit Felix in dem Café in der Limmerstraße war, fand im tele-
pathischen Weltkongress, so nannte er es, eine bilderreiche Disku-

ssion darüber statt, wie man das mit der Weltpolizei in Zukunft
machen könnte.
Betty schrieb wieder.
Chris, lass mich es ihnen erklären.
Chris gab Basti auf, ihr zu antworten, dass sie das gern tun möge.
Ok, sechs Kontinente: Europa, Asien, Afrika, Süd- und Nord-
Amerika und, tada, die vereinigten Inseln. Jeder Kontinent bekommt
eine Weltpolizei-Zentrale, die von den jeweils anderen Kontinenten
verwaltet wird. Es fängt gerade die Abstimmung an, welche Städte
den Zuschlag bekommen. Und ein Kontinent wird Sitz des Haupt-
qaurtiers.
Sporty und Basti sahen Chris fragend an.

Antonia kam ohne ein Wort zu sagen aus dem Bad und ging zur
Küchenzeile. Sie nahm sich ein Glas aus dem Schrank, was sie jedoch
nicht abschließend befriedigte. „Kannst du nicht erst mal einen
Kaffee machen?“

„Confrmed.“ sagte Chris zu Bettys Nachricht trocken. Da kam
schon ihre nächste Nachricht rein.
In Europa sieht es momentan nach Paris aus. Vor allem Afrika, Süd-
Amerika und Asien sind spannend. Er ist für Casablanca, Brasilia und
dafür, auch in Pakistan eine Stadt auf dem Reißbrett zu entwerfen.
Also, man kann sagen was man will, aber er wird hier ziemlich ernst
genommen

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Weitere vier Seiten neu hier am 26. 3. 2022, ca. 21:15h (22:30h) CEWT

Erst war davon auszugehen, seine Miene hätte sich auf Grund des
Kaffees zum freundlichen gewandelt. Das erschien so in einem
anderen Licht. Wahrscheinlich war es beides.

Der Kaffee war hilfreich und sie konnte ein gewisses Mindestmaß
an Interesse für meine Geschichte aufbringen.
„Wenn ihr da eine neue Weltordnung beschlossen habt ..“ so fragte
sie etwas schnippisch, „.. wie soll die aus der Telepathie in die echte
Welt kommen? Sorry, bin da vielleicht gerade überkritisch.“
Ich sagte, das würde ich auch von mir manchmal kennen und
wünschte ihr erst mal einen guten Morgen und ging Brötchen holen.

Was denn eigentlich so auf der Liste passiere, fragte Mathilda
stellvertretend für das Außenteam.
Rolf war gerade auch mal wieder da, der sonst mit den Chefs das
Geschehen von anderer Stelle aus beobachtete. Er hatte das Ge-
spräch angenommen und gab weiter an Basti, der den Maileingang
im Auge behielt.
„Auf der Liste geht es gerade um ausgefallene Sportarten. Hunde-
rennen und solche Sachen. Mehr los ist im Spam-Ordner. Allen
voran aus russischen Botnetzen, kommen allerlei Steckbriefe an-
geblich einsamer Frauen und Millionengewinne. Die sind wohl für
Felix gemeint – kleine Aufmunterung oder was.“
Auf Mathildas Nachfrage, wie das denn gehe, erläuterte Basti
nochmal die Natur einer Mailingliste.
„Also, es gibt diese eine E-Mail Adresse der Liste.“
„Wie geht die nochmal?“
„liste-sicherheitsdienste@weltpolizei.de“
„Ach ja.“
„Ja. Wenn da jemand hinschreibt, der auf der Liste ist, wird die Mail
direkt an alle anderen auf der Liste weiterversendet. Aber natürlich

kann man auch mit jeder anderen E-Mail an die Adresse schreiben.
Und das ist dann Spam.“
„Okay, und weil die Adresse eigentlich nur die Dienste kennen, seid
ihr euch sicher, dass die Spams von denen kommen?“
„So und nicht anders.“
Auf der Leinwand, in dem Fenster mit Bettys Kurznachrichten,
ploppte ein neuer Eintrag auf:
Nord-Amerika scheint sich für San José an der US-mexikanischen
Grenze entschieden zu haben, oder Chris? Ich glaube es ist San José.
Bei den Inseln sieht‘s für mich nach Australien und zwar Sidney aus.
„Schreib ihr, dass ich auch gerade dachte, dass es San José wird,
bitte.“
„Chris, ich kann ihr das schreiben. Aber, wie kommst du darauf?“
„Das habe ich doch schon erklärt, oder habe ich nicht? Betty und
ich sind nun mal irgendwie aufgenommen worden in diese Gedan-
kenwelt. Ich sag euch gleich: ich weiß nicht wie. Aber unser
Unbewusstes kriegt den Gedanken mit. Und, wenn ich mich nicht
allzu sehr wehre, dann kommt der Gedanke auch in mein Bewusst-
sein.“
Süd-Amerika kriegt Buenos Aires!
„Sehe ich genau so.“ war Chris Reaktion auf Bettys neueste
Nachricht.
„Menno.“ sagte Sporty genervt. „Das will ich auch können.“
„Ich schlage vor, du legst dich mal ‘ne halbe Stunde hin. Kannst ja
mal versuchen an der Abstimmung für Europa teilzunehmen. Kleiner
Tipp: Bist du für Paris, Rom oder Budapest?“
„Ok. Kann eh nicht schaden.“
Sporty verließ das Büro Richtung Ruheraum und Chris wandte sich
wieder Basti zu, der zwar nicht aktiv mitmachte in der Welt der
gemeinsamen Gedanken. Dem es aber leicht fel, an die Kunst von
Betty und Chris zu glauben.

„Chris? Die Briten haben gerade einen Wetterbericht von Sidney an
die Liste gesendet.“
„Ah, und?“
„Bedeutet das etwas?“
„Wie ist denn das Wetter?“
„Ach so, nun, ..“ Basti las die Nachricht nochmal unter diesem
Gesichtspunkt. „.. 28 Grad, sonnig, leichter Ostwind.“
„Dann bedeutet es etwas.“
„Sidney ist es geworden?“
„Sieht für mich so aus. Und, dass die Briten lieber zu den
vereinigten Inseln gehören wollen, als zu Europa.“ Er schüttelte leicht
verwundert den Kopf.
„Die Frage soll nicht doof wirken, aber warum schreiben sie nicht
einfach, dass Sidney die Weltpolizei-Zentrale der Inseln wird?“
„Oh, come on.“
„Was?!“
„Solch große Ideen müssen sich erstmal in den Köpfen ausbreiten.
Damit, so etwas aufzuschreiben, muss man sehr behutsam umgehen.
Das Reich der Ideen. Platon. Schon mal was von gehört?“
Außer den Pakistanis selbst, will glaube ich ganz Asien, dass es
Islamabad wird. Wunderschöne Bilderwelt. Die Drachen der
Chinesen sind der Oberhammer.
„Was ist das jetzt schon wieder?“ Basti überging Platon mal einfach.
„Du kannst dir nicht vorstellen, wie wunderschön die Chinesen
denken können. Zumindest die zehntausend, die wissen wie das
geht.“
Rolf wurde angepiept und musste sich entschuldigen. Er bestätigte
aber noch: „Die scheinen wirklich ziemlich gute Gedanken zu haben
da drüben.“ Beiläufg zeigte er auf die Stelle der Wand, an der Peking
stand.
Chris korrigierte und erklärte, wie so ein Globus von innen
funktioniert. „Peking ist ein bisschen weiter unten. Eher dort ..“ Er
zeigte auf eine Stelle auf dem Boden.

„Ja ja. Ok, ich muss los. Die wollen bestimmt die Politik informieren.
Das will ich mir nicht entgehen lassen.“ Er öffnete die Tür. „Sag mal,
ist Merkel gut im Telepathieren?“
„Soll ich das jetzt in einem Satz sagen, oder kommst du nochmal
rein?“
„Ok.“ Rolf schloß die Tür wieder von innen und setze sich.
„Also. Merkel ist auf Europa der größte Nussknacker.“
„Aha. Toll. Ich glaube nicht, dass ich für sowas gerade Zeit habe.“
„Warte. Ich erklär‘s dir. Also. Wenn jemand mit Telepathieguthaben
an die Merkel denkt, dann sieht er vor sich Europa von oben. Ein
Europa, auf dem riesige Nussknacker stehen, .. mit den Köpfen quasi
im Weltall. Auf Frankreich steht derzeit ein Sarkozy-Nussknacker
und auf Deutschland ein Merkel-Nussknacker. Und die sind die
ganze Zeit am Plappern. Felix hat für eine Zeit mal erfolgreich den
Lauterbach daneben gestellt, aber das hat sich nicht durchgesetzt.“
„Aaargh! Na gut. Und wer steuert die?“
„Die werden von allen Telepathen gesteuert, die gerade Lust dazu
haben. Ist eine Art Volkssport. Und die einzige Möglichkeit, den
Politikern den Kopf frei halten. Also, unterm Strich: wer telepathiert,
telepathiert eben. Und die Merkel ist gedanklich genau, wie sonst
auch.“
„Also sind die Nussknacker dazu da, die Aufmerksamkeit von den
bekannten Leuten wie der Merkel abzulenken?“
„So kann man‘s sagen. Unter anderem.“
„Man lernt nie aus. Ok, bis später.“ Rolf zog recht zufrieden von
dannen.

Nein, auch mit Brötchen, führten meine Erzählungen zur
ausgedachten neuen Weltordnung, selbst bei Antonia, zu einer
Meinungsverschiedenheit. So ein Gespräch erreicht dann einen ganz
bestimmten Punkt. Zurück von diesem Punkt kommt man
normalerweise nur mit ein paar Tagen Abstand. Und über den Punkt
hinaus ist es für mich, wie gegen eine Wand zu reden.

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Der Schluss von „Das Märchen vom Weltpolizisten“, hier neu am 26. 3. 2022, ca. 22:45 CEWT

„Ja ja. Ok, ich muss los. Die wollen bestimmt die Politik informieren.
Das will ich mir nicht entgehen lassen.“ Er öffnete die Tür. „Sag mal,
ist Merkel gut im Telepathieren?“
„Soll ich das jetzt in einem Satz sagen, oder kommst du nochmal
rein?“
„Ok.“ Rolf schloß die Tür wieder von innen und setze sich.
„Also. Merkel ist auf Europa der größte Nussknacker.“
„Aha. Toll. Ich glaube nicht, dass ich für sowas gerade Zeit habe.“
„Warte. Ich erklär‘s dir. Also. Wenn jemand mit Telepathieguthaben
an die Merkel denkt, dann sieht er vor sich Europa von oben. Ein
Europa, auf dem riesige Nussknacker stehen, .. mit den Köpfen quasi
im Weltall. Auf Frankreich steht derzeit ein Sarkozy-Nussknacker
und auf Deutschland ein Merkel-Nussknacker. Und die sind die
ganze Zeit am Plappern. Felix hat für eine Zeit mal erfolgreich den
Lauterbach daneben gestellt, aber das hat sich nicht durchgesetzt.“
„Aaargh! Na gut. Und wer steuert die?“
„Die werden von allen Telepathen gesteuert, die gerade Lust dazu
haben. Ist eine Art Volkssport. Und die einzige Möglichkeit, den
Politikern den Kopf frei halten. Also, unterm Strich: wer telepathiert,
telepathiert eben. Und die Merkel ist gedanklich genau, wie sonst
auch.“
„Also sind die Nussknacker dazu da, die Aufmerksamkeit von den
bekannten Leuten wie der Merkel abzulenken?“
„So kann man‘s sagen. Unter anderem.“
„Man lernt nie aus. Ok, bis später.“ Rolf zog recht zufrieden von
dannen.

Nein, auch mit Brötchen, führten meine Erzählungen zur
ausgedachten neuen Weltordnung, selbst bei Antonia, zu einer
Meinungsverschiedenheit. So ein Gespräch erreicht dann einen ganz
bestimmten Punkt. Zurück von diesem Punkt kommt man
normalerweise nur mit ein paar Tagen Abstand. Und über den Punkt
hinaus ist es für mich, wie gegen eine Wand zu reden.

Wie sich das für die Gegenseite anfühlt, von jemandem, den man
für verrückt hält, Geschichten erzählt zu bekommen, weiß ich ehrlich
gesagt nur ungenau. Es ist vermutlich genau so furchtbar, wie an
außerirdische Einfüsse zu glauben und nicht als verrückt gelten zu
wollen.

In dem Moment, in dem er den McDonalds verlässt, soll die
Abstimmung offenbar beendet werden.
Schrieb Betty, als Sporty gerade, vom Liegen mit einem wilden
Haar-Spoiler geschmückt, vom Denken wieder kam. „Also, wenn ihr
mich fragt, gibt es in Europa ein Kopf-an-Kopf Rennen zwischen
Belgrad, Bratislava und Zagreb. Ähm, wo liegt nochmal Bratislava?“
„Wie bist du bitte durch den Eignungstest gekommen? Bratislava ist
die Hauptstadt von Slowenien.“
„Ok, dann bin ich für Bratislava.“

Es half doch alles nichts. Ich stand als hoffnungsloser Spinner da.
Ich würde Antonia nicht glücklich machen können. Und sie mich
nicht. Ich musste das ansprechen. „Toni. Ich bin wie eine Topfpfanze,
die man regelmässig mit Psychose gießen muss. Ich brauche diese
Gespräche über die neue Weltordnung. Und ich brauche auch mal
Anerkennung dafür, was ich im Reich der Gedanken geleistet habe.
Fogh Rasmussen hat mich mal einen Gedankenhacker genannt. Also
in meinen Gedanken. Oder ich sollte vielleicht einfach eingehen. Und
gehen.“
Antonia hatte gerade die Tüte mit den Brötchen genommen und
hielt jetzt dabei inne, sie ziemlich sorgfältig in einem tiefen Teller zu
drappieren. Für eine Schüssel oder einen Brotkorb war meine
Wohnung leider zu klein. „Feeelix. Du wirst meine Weltpolizei. Da
bin ich mir ziemlich sicher. Aber du solltest dich auch mal um deine

eigene Welt kümmern. Ich glaube deine Gedanken reichen dir nur
deshalb als Lebensinhalt, weil du alle Fünfe gerade sein lässt, was die
Realität betrifft. Und ich meine .. deine Wohnung ist echt gemütlich,
aber. Auf Dauer?“
„Nein.“ Ich lehnte mit der Seite vom Kinn auf meiner Hand. Dann
strich ich mir durchs Gesicht und hielt mir dabei kurz die Augen zu,
hielt mir dann mit vermutlich leeren Augen die Hand vor den Mund.
„Ich weiss nicht, ob ich das kann.“

„Warum bist du nicht für Belgrad. Oder Zagreb.“ wollte Chris von
Sporty wissen.
„Wenn Zagreb und Belgrad ausgewählt werden, weckt das schlechte
Erinnerungen. Krieg, Unruhe und so weiter. Lieber Bratislava.“
„Diesen Pessimismus kenne ich gut. War mit den UN in Bagdad
nicht anders. Falls du Recht hast, dass das die neuen Favoriten sind,
werde ich mich für Belgrad einsetzen.“
„Sein Kaffee ist gleich leer. Dann ist das jetzt die entscheidende
Phase, oder?“
Dass gewissermaßen im McDonalds-Restaurant des Hauptbahn-
hofs Hannover eine neue Weltordnung beschlossen werden sollte,
war schon komisch.
„Ok, schaltet auf Felix.“ sagte Rolf hastig, als er wieder in das Büro
gestürmt kam.

Ich wurde noch nachdenklicher und versuchte Antonia entgegen
zu kommen. „Ist es vielleicht sogar wichtig, dass psychische
Krankheit gesellschaftlich so geächtet ist? Würde sonst nicht jeder
bekiffte Hip-Hopper sein Glück in der Querulanz suchen? Also, mit
dem kategorischen Imperativ komme ich jedenfalls nicht weiter,
wenn ich darauf bestehe, verrückt sein zu dürfen, ohne als verrückt
gelten zu wollen.“

Antonia nahm das Gedankenspiel auf. „Wenn alle schizophren
sind, wer sind dann die Ärzte, die einen wieder runter holen?!“
„Oder braucht man vielleicht keine Ärzte, wenn alle so sind. Naa!“
ich schüttelte den Kopf. „Naa! Ich will ja, dass meine Wünsche aus
der Psychose Wirklichkeit werden. Wenn alle psychotisch sind. Und
von allen die Wünsche in Erfüllung gehen sollen. Das ist glaube ich
physikalisch unmöglich.“
Wir lachten beide.

Sporty hatte inzwischen offenbar auch eine Idee davon, wie das
mit dem kollektiven Gedanken funktionierte. Basti war dazu zu
beschäftigt mit der ganzen Technik. Aber das genügte ihm auch an
Teilhabe.
Das Außenteam wartete derweil immer noch auf Anweisungen,
hatte aber einen guten Netzempfang und bekam deshalb alles mit.
Über die Überwachungsdaten alles physische. Und über Bettys
Nachrichten einen Einblick in das psychische. Es war jetzt halb fünf
Uhr morgens.
Die waren ziemlich diszipliniert.
Felix holte derweil an seinem Platz sein Telefon aus der Tasche und
rief die Karten-App auf. Locker lächelnd wischte er sich bis nach
Afrika. Er zoomte auf den Osten, auf Uganda, schließlich auf die
Hauptstadt.
„Kampala?!“ bemerkte Sporty mit gewissem Nachdruck.
„Er wirfts offenbar mal ins Rennen.“

Und eigentlich halte sie das ja auch für möglich, dass ich damals
vom BND beobachtet wurde. Erst diese Anzeige gegen die Stimmen.
Das ist ja schon krass. „Und dann hast du noch dich selbst angezeigt?
Wegen diesem Termin auf deiner Webseite? Das war aber schon
ziemlich Kopfkino, oder? Also, du bist zur Polizei gegangen und hast ..

was gesagt?“
Also, die ganze Geschichte habe zwei Jahre vorher angefangen. Da
hätte ich auf weltpolizei.de einen Blogpost geschrieben. Ich hob die
Hände zu angedeuteten Anführungszeichen: „Termin für die
Revolution. An dem Datum, an dem ich damals den Krieg verhindern
wollte, nur viele Jahre später. In ferner Zukunft, so, dass sich alle
lange darauf vorbereiten können. Aber so früh, dass meine Mutter
die Revolution noch mitbekommen kann. Ok, das hat nicht ganz
geklappt.“
Ob der Tag schon war, fragte Antonia mit dem Kaffeebecher am
Mund.
„Nein, sechs Jahre noch.“ Ich atmete tief durch. „Dann kam mir
beim chatten mit meinem Onkel in den Sinn, was wäre, wenn ich
mich dafür anzeige.“
„Was hat er gesagt?“
„Tu das bloß nicht. Da kriegst du nur Ärger.“
„Langweiler.“
„Eben. Aber ich hab‘s dann erstmal wirklich nicht gemacht. Bis 2010.
Da wurde ich psychotisch. Oder von den Außerirdischen zum
Dienst gerufen. Jedenfalls fiel mir im Gespräch mit den Stimmen erst
auf, dass mein Horrortrip mit der Atombombe wohl vielleicht ein
Mordanschlag gewesen sein könnte.“
„Von wem nochmal?“ Sie schmierte sich ein Brötchen mit
Frischkäse und roter Marmelade. Das mochte ich auch.
„Von wem auch immer. Anzeige gegen Unbekannt.“
„Ok ok. Und dann?“
„Dann hieß es Ecke Osterstraße und Schwenckestrasse vor der
Heymann-Buchhandlung: ‚Und jetzt zeigen wir uns mal an.‘“
„Buff.“ sagte Antonia lautmalerisch.
„Ja, buff. Das ist meine Lebensversicherung, dachte ich. Ja, ich
dachte, dass ich irgendwie in Gefahr bin. Wegen der Anzeige gegen
die Stimmen. Das war natürlich Paranoia, aber ich hab‘s halt so
erlebt. Dann bin ich gleich zur Wache gegangen. PK22. Die gibt‘s
heute nicht mehr. Ich bin da rein und meinte, ich will mich anzeigen,
weil ich auf meiner Webseite diesen Termin stehen habe. Der ältere

Beamte hat dann seiner jüngeren Kollegin aufgetragen, das
aufzunehmen. Aber erst haben sie gefragt, ob ich das nicht einfach
runternehmen könne von der Seite. Es ist so bescheuert.“
„Ja, das Internet vergisst ja nicht so schnell.“
„Das habe ich auch gesagt. Aber, nein, es ist so bescheuert, dass
mich der Mist in die Obdachlosigkeit getrieben hat, in fast zwei Jahre
Psychiatrie und mich überhaupt so verrückt gemacht hat. Ich habe
das ja niemandem erzählt, damals. Ich habe die ganze Zeit mit mir
herumgeschleppt, dass ich den ultimativen System-Hack
herausgefunden habe. Aber wahrscheinlich würde gar keiner
Revolution machen, wenn‘s ernst wird. Also war das alles ein Pfurz in
meinem Hirn.“
„Wie ging‘s weiter?“
„Uff, also ein paar Tage später bin ich aus so ‘nem Restaurant
geflogen, weil ich meine mitgebrachte Limo nicht vom Tisch nehmen
wollte. Den Wirt wollte ich dann wegen Missbrauchs des Hausrechts
anzeigen. Ich ging davon aus, dass die Polizei jede Anzeige an-
nehmen muss. Das war nicht sonderlich erfolgreich. Aber ich hab‘s
versucht. War bei drei, vier Wachen und habe da vorgesprochen.
Habe den Notruf angerufen, weil die Polizisten meine Anzeige nicht
aufnehmen wollten. Aber der hat mich abgewimmelt.“
„Was hat er gesagt?“
„Wir müssen uns hier um Leute mit Messer im Rücken kümmern.
Naja.“
„Blödmann.“
„Danke. Bei der Lerchenwache haben sie die Anzeige sogar
zunächst aufgenommen. Aber ich wollte dann eine Kopie der
Anzeige, was die nicht wollten. Irgendwann spät abends war ich
dann noch beim Präsidium. Die wollten die Anzeige auch nicht
annehmen. Stattdessen kam da ein Polizist raus und meinte, er sei
gerade aus dem Gefängnis entlassen worden.“
„Das wird mir zu wirr. Mensch Felix. Hast dich da halt etwas
verkalkuliert.“

Belgrad, Islamabad, Sidney, Kampala, Buenos Aires und San José
schienen dann erstmal festzustehen. Sporty und Chris entschul-
digten sich, um in den Ruheraum zu gehen. Sie wollten sich voll und
ganz auf die jetzt folgende Abstimmung konzentrieren. Denn jetzt
würde noch entschieden, welche der Städte das neue Hauptquartier
wird.

„Die Abstimmung zum Weltpolizei-Hauptquartier war voll schön.“
Antonia hatte danach gefragt, also konnte ich es erzählen.
„Da gab es die sechs Kandidaten. Also die Zentralen der einzelnen
Kontinente. Und die haben wir im Kongress nebeneinander aufge-
stellt.“
„Was für ein Kongress?“
„Ein telepathischer. Das musst du erlebt haben. Immer eines der
schönsten Erlebnisse, die ich mir vorstellen kann, wenn es zustande
kommt. Zumindest bei sowas. War da das erste Mal 2003 drin, als
der UN-Botschafter mir das Telepathieren beigebracht hat. Erinnerst
dich?“
„Ja, also. Hehe. Du hast echt Glück, dass du mich kennengelernt
hast. Ich höre dir zu.“ sagte sie gönnerhaft.
„Ok, ja. Ich muss sagen, ich habe lange darauf gewartet, das
jemandem erzählen zu können. Im telepathischen Weltkongress
veranstalteten wir also ein Wettrennen der Städte. Wir haben da für
jede ein Maskottchen aufgestellt. Also für Sydney ein Känguru,
Kampala hatte einen Buschmann, Brasilia so einen tollen bunten
Fantasievogel. San José hatte Speedy Gonzalez.“
„.. Eine Disney-Figur?“
„Na, ich saß ja auch in einem McDonalds-Restaurant während der
Abstimmung. Europa, also Belgrad, hatte Mr. T-Cup und für
Islamabad ging eine Kuh ins Rennen. Wenn du dich fragst, warum
eine Kuh? War die Idee der Inder.“
„Und die sind dann losgerannt? In deinen Gedanken?“

Belgrad, Islamabad, Sidney, Kampala, Buenos Aires und San José
schienen dann erstmal festzustehen. Sporty und Chris entschul-
digten sich, um in den Ruheraum zu gehen. Sie wollten sich voll und
ganz auf die jetzt folgende Abstimmung konzentrieren. Denn jetzt
würde noch entschieden, welche der Städte das neue Hauptquartier
wird.

„Die Abstimmung zum Weltpolizei-Hauptquartier war voll schön.“
Antonia hatte danach gefragt, also konnte ich es erzählen.
„Da gab es die sechs Kandidaten. Also die Zentralen der einzelnen
Kontinente. Und die haben wir im Kongress nebeneinander aufge-
stellt.“
„Was für ein Kongress?“
„Ein telepathischer. Das musst du erlebt haben. Immer eines der
schönsten Erlebnisse, die ich mir vorstellen kann, wenn es zustande
kommt. Zumindest bei sowas. War da das erste Mal 2003 drin, als
der UN-Botschafter mir das Telepathieren beigebracht hat. Erinnerst
dich?“
„Ja, also. Hehe. Du hast echt Glück, dass du mich kennengelernt
hast. Ich höre dir zu.“ sagte sie gönnerhaft.
„Ok, ja. Ich muss sagen, ich habe lange darauf gewartet, das
jemandem erzählen zu können. Im telepathischen Weltkongress
veranstalteten wir also ein Wettrennen der Städte. Wir haben da für
jede ein Maskottchen aufgestellt. Also für Sydney ein Känguru,
Kampala hatte einen Buschmann, Brasilia so einen tollen bunten
Fantasievogel. San José hatte Speedy Gonzalez.“
„.. Eine Disney-Figur?“
„Na, ich saß ja auch in einem McDonalds-Restaurant während der
Abstimmung. Europa, also Belgrad, hatte Mr. T-Cup und für
Islamabad ging eine Kuh ins Rennen. Wenn du dich fragst, warum
eine Kuh? War die Idee der Inder.“
„Und die sind dann losgerannt? In deinen Gedanken?“

dass er sich schließlich in einer kollektiven Fantasie zum Nach-
denken unter einen Baum setzte.
Süd-Amerikas Vogel fiegt einfach über alle hinweg. Aber, wenn ihr
mich fragt, soll das zur Qualifkation führen. Extra. Das Hauptquartier
kommt wohl nicht nach Brasilia.
„Wollen wir Wetten abschließen?“ fragte Bart. „Ich tippe auf
Kampala. Wer hält dagegen.“
„Die Inseln. Fünfzig Euro.“ forderte Ingmar.
„Ich halte dagegen und tippe auf Islamabad.“ stieg Mathilda ein.
„Aber Europa könnt‘s auch gut werden.“ fügte sie hinzu.

„Ach Toni, komm schon. Wirklich. Wunderschön, eigentlich.“
„Ja, ich kann‘s mir langsam vorstellen.“
„Und dann bin ich ganz langsam Richtung Ausgang. Willst du
wenigstens wissen, wer gewonnen hat?“

„Frag‘ mal Betty bitte, wozu die Weltpolizei gut sein soll.“
Basti sah Rolf skeptisch an, da er vermutete, der wolle sich lustig
machen.
„Interessiert mich, was sie dazu denkt.“
Die Antwort kam prompt.
Eine echte neutrale, bisschen unpersönliche, aber liebevolle
Weltpolizei, die einfach da ist. Die Menschen haben überwiegend eh
keinen Einfuss auf die Weltgeschehnisse. Da kann es auch einfach
sicher sein.
Rolf fand das gut.

Ok, der bunte Vogel sitzt jetzt bei T-Cup auf der Schulter und der
kann nicht mehr richtig aufstehen. Das soll wohl heißen, dass sich
Europa auch zurückzieht. Speedy Gonzalez ist ein bisschen zu
präsent, zu angeberisch. Ich glaube Nord-Amerika sieht sich auch
nicht als Hauptquartier.
„Sind ja alle von uns noch im Rennen.“
Das Känguru lief derweil demonstrativ ins Meer. Immer tiefer, bis
es schließlich unter Wasser war. Eine aufwendige Fantasie, bei der
riesige, dreckige Industrie-Anlagen den Meeresspiegel steigen ließen,
machte klar, dass die Inseln auch noch andere Probleme hatten, als
für den Weltfrieden zu sorgen.
Der San (steht in Wikipedia als korrekte Bezeichnung für
Buschleute) versucht gerade das Känguru vor dem steigenden
Meeresspiegel durch die Erderwärmung zu retten. Die Kuh sorgt
derweil dafür, dass sie nicht so viel Methan ausstößt. Das kann ich
jetzt nicht in Worten ausdrücken. Oh, der San kann selbst nicht
schwimmen.
In einem weiteren komplizierten Bild senkte sich der
Meeresspiegel wieder, indem Speedy Gonzalez quasi Schornsteine in
Wasserpumpen verwandelte. Und wiederum ganz viele Ku-Klux-
Klan Anhänger Autos nur noch schoben oder Fahrrad fuhren. Doch
nachdem es gerettet war, setzte sich das Känguru neben Mr. T-Cup
und dem Vogel unter den Baum und schaute dem Rennen der
verbliebenen zwei zu.
Felix ging derweil im Zeitlupentempo auf den Ausgang zu.
Der San holt auf.

„Na gut, wer hat gewonnen?“

„Also.“ sagte ich mit Genugtuung. „Es war ein spannendes Rennen
zwischen Afrika und Asien. Der Buschmann gegen die Kuh. Das Ziel
in Sicht. Ich noch drei Schritte vom Ausgang entfernt. Die Kuh liegt
weit vorn und sieht aus, wie der sichere Sieger.“

Speedy Gonzalez zählt der Kuh auf, was sie alles ändern muss,
bevor sie ins Ziel darf. Jetzt spielt er einen Sketch mit dem Vogel, bei
dem sie besoffen von einem Minarett singen. Argh. Scheiß Politik.
„Frag sie mal, was die singen.“ bat Rolf Basti.
Was singen die?
New York, New Yoooork von Sinatra.
Rolf stimmte mit ein: „Scheiß Politik“.
Felix setzte zum vorletzten Schritt an. Die Kameraüberwachung
zeigte, wie er schon die Tür in die Hand nahm. Die Kuh stieg auf die
Hinterbeine und schwang einen Zauberstab. Wunderschön war da
plötzlich eine Kirche, vielleicht Notre-Dame in Paris. Konfetti flog
durch die Luft. Ein Drache flog über den Potala-Palast in Lhasa und
dann weg. Menschen in KZ-Uniform standen mahnend an der
Ziellinie, nickten aber leicht. Die Kuh berührte mit dem Rumpf das
Band, das über die Ziellinie gespannt war.
Es ist Kampala!!!!
Schrieb Betty. Chris und Sporty kamen ins Büro gelaufen. Sporty
war sehr aufgeregt. „Chris, hast du das auch gesehen?“
„Jap, das war ziemlich knapp.“
„Würde uns jemand aufklären?“ bat Rolf.
„Der Afrikaner kam plötzlich von hinten angeflogen. Er wurde
getragen von .. ja, was war das?“
„Es war jedenfalls ziemlich mächtig.“

„Dann glaubst du es eben nicht. Aber die Außerirdischen haben
nachgeholfen. Kampala wird das Hauptquartier der Weltpolizei.“
Antonia nahm die Kaffeekanne und schenkte sich nach.
Stille.
„Und was ist dann passiert?“ fragte Antonia, nicht ohne den
Eindruck zu vermitteln, das zu 10 Prozent aus Höfichkeit, nur zu 20
Prozent aus Neugierde, zu 30 Prozent aus purer Zuneigung und zu
40 Prozent genervt, zu fragen.
„Dann haben wir noch über die demokratischen Strukturen einer
besseren Welt abgestimmt.“

„Muss er nicht mal schlafen?“ fragte Ingmar besorgt, da sie wieder
seine Verfolgung aufnehmen mussten. Doch Felix lief in be-
schwingtem Obdachlosenzustand gerade die Unterführung vom
Hauptbahnhof zur Station Kröpcke während die Sonne aufging. Es
hatte noch ein wenig geschneit die letzten Stunden.
„Euphoriiie!“ rief Mathilda leise.
Doch plötzlich drehte er sich um und ging zurück zum
Hauptbahnhof.
Dort angekommen, druckte er sich einen Fahrplan aus. Basti
konnte das ziemlich schnell rekonstruieren. „Er will nach Karlsruhe.
Siebeneinhalb Stunden. Wenn ihr mich fragt .. das wird nichts. Die
Züge, die nicht wegen des Wintereinbruchs ausfallen, um die
kümmern sich die Chefs. Es sei denn, sie haben ein Herz mit ihm.
Es ist egal wo er hinfährt. Wenn es nach ihm geht, wird jetzt eine
neue Demokratie beschlossen.
Basti war etwas unwohl dabei, dass Betty jetzt eindeutig wusste,

was er gerade gesagt hatte, obwohl sie es nicht gehört haben kann.
Er hat das mal in den Raum geworfen. Ob die Kontinente nicht ein
Interesse daran hätten, ihre Bürger mehr einzuspannen in die
politischen Prozesse. Das ist hier echt gerade Deep Thought.
„Tja.“ sagte Rolf. „Der BND hat da so seine Meinung dazu.“
Welche das denn sei, wollte Basti wissen.
„Naja, unsere Untersuchungen haben ergeben, dass Basis-
demokratie nicht gut für die Familie ist. Kann man sich ja vorstellen,
wenn Tante, Vater und die Kinder den ganzen Tag nur noch über
Politik diskutieren.“
„Aha. Und nun. Also, abgesehen davon, dass ich fnde, die Familie
sollte so etwas aushalten können.“
„Nun wird er glaube ich endgültig einfahren.“

„Hast Du denn irgendwann einmal eine Rückmeldung bekommen
von deinen telepathischen Freunden?“
„Ey, warum bist du jetzt so. Ich dachte, du kannst das
nachempfinden? Und: Nein, nicht wirklich. Zufrieden?“
„Ich kann mir das vorstellen, wie du das erlebt hast. Aber von der
Wahrhaftigkeit halte ich nicht viel.“
„Ach? Die Wahrhaftigkeit! Vermutlich war da auch vor dem Urknall
einfach nichts! Ach, was red‘ ich überhaupt mit dir darüber. Es bringt
dir nichts und mir nichts. Überhaupt nichts. Rein gar nichts.“
„Och komm, ich habe dir schon mal gesagt, ich finde das toll, dass
du den Konfikt aufnimmst, aus deiner Fantasie Wirklichkeit zu
machen.“
„Aber du findest, ich bin zum Scheitern verurteilt, oder nicht?“
„Ich finde, du hast dir da tolle Sachen ausgedacht, aber jetzt solltest
du dich entweder um die Verwirklichung kümmern, oder um dein
Leben. Vielleicht am besten in .. umgekehrter Reihenfolge.“
„Ich denke halt, wenn du daran auch glauben würdest und ganz

viele. Dann würde das auch wirklich werden.“
„Wenn du willst, dass die Leute an deine Geschichte glauben,
müssen sie gleichzeitig an deinen Glauben glauben. Das ist ein
ziemlich dickes Brett, fürchte ich.“
„Aber es wäre eine bessere Welt.“
„So eine bessere Welt haben sich schon andere vor dir ausgedacht.“
„Aber nicht im 21. Jahrhundert.“
„Dann schreib‘s auf.“
„Ja, mach ich irgendwann.“

Betty rief morgens an, so gegen zehn Uhr. Sie ließ es nur klingeln,
da sie noch lange nicht wieder sprechen konnte. Dann, nachdem sie
Sporty und Basti wach hatte, schrieb sie ihnen.
Die spielen Felix jetzt vor, er sei im Fernsehen. Versuche ihn vom
Gegenteil zu überzeugen. Aber gestern Nacht ist ihm wohl zu Kopf
gestiegen.
„Chris?“
Chris stöhnte unter Bastis Weckversuchen.
„Chris, du musst aufstehen.“
„Was?“ Er war noch ganz benebelt.
„Die haben Felix erzählt, er sei im Fernsehen.“
„Oh nein!“ Plötzlich war er hellwach. „Das Programm ist Mist.“
Es dauerte einen Moment, bis sie das System wieder auf ihn
eingestellt hatten, doch dann hatten sie wieder ein Bild von ihm. Er
war gerade in Kassel zum Umsteigen.
Chris besann sich einen Moment. Dann erläuterte er, dass die
Stimmung im Netz umgeschlagen sei. „Die Dienste tun so, als wäre
nichts gewesen letzte Nacht. Was steht denn so auf der Liste?“
Der Rhythmus von Bastis Tastatureingaben deutete daraufhin, dass
er mehrere Sachen ausprobierte, die alle nicht funktionierten. „Es
gibt keine Liste mehr!“ musste er feststellen.

Sporty kam ran und versuchte ihn zu überzeugen, dass das nicht
sein kann.
„Lass es. Wir können nichts tun.“
„Christian, was soll das heißen?!“
„Letzte Nacht hat nicht stattgefunden. Und ich heiße Christopher.“
Auf den Monitoren sahen sie, dass Felix mit sich selbst, oder mit
den Kameras, oder mit eingebildeten Kameras, sprach.

„Ok, wir sagen den Russen als Franzosen, dass die Deutschen
zusammen mit den USA beschlossen haben, die
Freiheitsstatue in rot-gelb-grün anzustrahlen. Dann
geben wir San Francisco die Kontrolle über das chinesische Netz und
verbinden das mit den Saudis. Wenn die Russen bei den Saudis
nachfragen, ob sie etwas von einem Konzert im Fernsehen
wissen, lassen wir diesen einen Kerl aus der Psychiatrie in Teheran –
ihr wisst schon – für die Saudis denken. Dann lassen wir bei allen
einen richtig schönen Mr. T-Cup in den Köpfen erscheinen, der auf
der ganzen Erde die Basisdemokratie fordert. Das sollte so viel Chaos
im Haus der Menschen bringen, dass sie begreifen, dass sie ihre
Gedanken mal neu möblieren sollten.“
Der Außerirdische, der auf dieser Mission nun schon 11.478
Sonnenumrundungen der Erde beobachten musste und den
Decknamen Karl Marx abbekommen hatte, formte demonstrativ drei
Rauten mit seinen Händen. Mit der siebten Hand befüllte er gerade
den Behälter für den Ersatzstoff der beliebtesten Droge seines
Heimatplaneten. Die achte führte er flach zur Stirn.
Seine elf Kollegen taten es ihm gleich. Sie wünschten sich so sehr,
dass sich ihre Idee durchsetzen würde. Dass man sich auf ihrem
Baby, der Erde, irgendwann mit der flachen Innenseite der Hand
sanft an der Stirn, begrüßen würde.

Felix Longolius, 2013 bis 2016

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